Heil und Schulze in Westafrika Nach Deutschland? "Zur Not auch"
Ghana und die Elfenbeinküste haben Arbeitskräfte und Agrarrohstoffe wie Kakao im Überfluss. Beides braucht die deutsche Wirtschaft dringend. Was kann der Besuch der Minister Heil und Schulze in der Region bewirken?
Schwarze, rote, gelbe Luftballons hängen am Türrahmen, und dazu kommen noch ein paar grüne: Damit sind alle Farben vorhanden, mit denen man die beiden relevanten Landesfarben darstellen kann - die von Deutschland und Ghana. Immer wieder geht es in den Reden um eine "win-win-Situation" und immer wieder wird dabei von allen Seiten wohlwollend genickt.
Dann ist es soweit: Entwicklungsministerin Svenja Schulze und EU-Botschafter Irchad Razaaly enthüllen in Ghanas Hauptstadt Accra das "Ghanaisch-Europäische Zentrum für Arbeitsplätze, Migration und Entwicklung".
Der Name ist Programm: Es geht um wichtige Themen für Ghana und Deutschland, darunter eben auch um Arbeitskräfte-Migration, ein Reizthema zumindest in Teilen der deutschen Gesellschaft.
Ein Zentrum als Signal
Arbeitsmarktforscher haben ermittelt, dass eine "Nettozuwanderung" von 400.000 Menschen pro Jahr nötig sei. Wenn man die Abgänge aus Deutschland einrechne, müssten es sogar mehr als eine Million sein.
Überall fehlen schon heute Fachkräfte, von der IT-Fachkraft bis zur Krankenschwester. Die könnten nicht alle aus Europa kommen, so die Forscher. Also auch aus Ghana?
Jedenfalls soll das Zentrum in Accra eine Blaupause werden für acht weitere in Marokko, Tunesien, Ägypten, Jordanien, Nigeria, Irak, Pakistan und Indonesien. 150 Millionen Euro hat das Schulze-Ministerium dafür vorgesehen.
Das Interesse: übersichtlich
Jahrzehntelang war das Motto Richtung Afrika: Bleibt, wo ihr seid! Nun also: Kommt, wenn Ihr was könnt! Doch diejenigen, die Fachwissen haben oder auf dem Weg dahin sind, sind zurückhaltend. Viele junge, gutausgebildete Ghanaer spüren keine tiefere Bindung zu Deutschland, wo Englisch eben keine Amtssprache und ein Sprachkurs geboten ist. So bleibt das Interesse verhalten.
An den Imbissständen in der Nähe einiger Uni-Institute im Zentrum kann man sich leicht schlau machen. Bernhard Kopo etwa, der International Business studiert, kann sich in den USA einen Arbeitsplatz vorstellen, sein Freund Collin Apiya will nach Kanada. Deutschland? Na ja, gehe zur Not auch, sagen die beiden.
Hürden prägen das Bild
Ein paar Kilometer weiter testet IT-Ingenieurin Anita Twumasi Ankrah von Ghana aus online Software für deutsche Unternehmen. Auch sie will nicht unbedingt nach Deutschland.
Sprachkenntnisse und bürokratische Hürden schrecken ab - und eigene Erlebnisse auch: "Als ich mit meinen Eltern vor Jahren versucht habe, zur Hochzeit meines Bruders nach Deutschland zu fahren, wurde uns das Visum verweigert. Ich hatte das Gefühl, es ist wohl nicht so einfach, nach Deutschland zu kommen."
Auf die Frage, ob das Erlebte ihre Sicht auf Deutschland beeinflusse, sagt sie mit ernstem Gesicht: "Ja - das ist so!"
"Migration wird weiter zunehmen"
Für Gilbert Houngbo, Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und Reisebegleiter von Schulze und Heil, ist das Ministerduo jedenfalls auf dem richtigen Weg:
Es ist klar, dass die globale Migration von Arbeitskräften wegen der strukturellen Ungleichheit weiter zunehmen wird. Wir sehen, wie die Gesellschaften im Norden altern, vor demographischen Herausforderungen stehen. Und im globalen Süden haben wir gleichzeitig Jugendarbeitslosigkeit.
Wenn es um faire Lieferketten geht, geht es immer auch um Kakao. Über Anbaubedingungen informierten sich Schulze und Heil in der Elfenbeinküste.
Die zweite Baustelle: das Lieferkettengesetz
Es wird nicht einfach werden mit den Fachkräften aus dem Süden. Das gilt auch für das zweite Thema der Handlungsreisenden aus dem Norden: das Lieferkettengesetz, das Kinderarbeit etwa auf den Kakaoplantagen in Ghana und Elfenbeinküste ausmerzen, faire Preise für die Bauern und überhaupt bessere Arbeitsbedingungen bringen soll.
Das Gesetz verlangt straffe Buchführung, weil die Produktionskette vom Bauern bis zum Hersteller dargestellt werden muss - mit dem Nachweis, menschenrechtlich einwandfrei zu sein. Die Industrie lehnt sie ab, weil sie Investitionen behindere.
Schulze und Heil sehen dagegen auch hier eine "win-win"-Situation, mit der Deutschland und die EU in der Welt von morgen punkten können.
Für beide Themen gilt: Das Anliegen ist löblich, die Hürden aber sind hoch. Es wird etwas Zeit brauchen, um zu sehen, ob mit den Paradigmen auch die Realität wechselt.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, Deutschland sei historisch nicht mit Ghana verbunden. Ghana hat historische Verbindungen zu Deutschland, und wir haben die Passage ersetzt.