Wiesenthal-Zentrum Kanye West und documenta auf Antisemitismus-Liste
Das Wiesenthal-Zentrum hat die schlimmsten antisemitischen Vorfälle des Jahres angeprangert: An der Spitze steht Rapper Kanye West, auch die Kunstausstellung documenta ist vertreten. In Deutschland würden Tabus weiter gebrochen, hieß es.
US-Rapper Kanye West steht nach Einschätzung des Wiesenthal-Zentrums mit seinen Äußerungen an der Spitze der zehn schlimmsten antisemitischen Vorfälle des Jahres 2022. West, der sich heute Ye nennt, habe neben ständigen antisemitischen Äußerungen auch seinen enormen Einfluss in sozialen Medien dazu missbraucht, "Hass, Fanatismus und Ignoranz als Waffen einzusetzen", hieß es in dem Bericht. West habe dazu beigetragen, dass Judenhass Teil des Mainstreams in sozialen Medien geworden sei.
Im Oktober hatten Instagram und Twitter die Accounts des Rappers zum ersten Mal gesperrt. Elon Musk hob die Sperre nach Übernahme des Kurznachrichtendienstes kurzzeitig auf, suspendierte West dann aber im Dezember erneut, weil der 45-Jährige offenbar das Bild eines Hakenkreuzes verbreitet hatte. Sein Account zählte zuletzt rund 30 Millionen Follower.
Adidas kündigte Zusammenarbeit mit West
Auch offline sorgte West immer wieder für Aufsehen: Bei der Pariser Fashion Week trug er ein T-Shirt mit dem Slogan "White Lives Matter". Die Anti-Defamation League stufte den Satz als rassistische Reaktion auf die "Black Lives Matter"-Bewegung ein. Ende Oktober kündigte der Sportartikelhersteller Adidas die Zusammenarbeit und stellte die Produktion der Marke "Yeezy" ein.
Im November sorgte dann ein gemeinsames Abendessen mit dem früheren US-Präsidenten Donald Trump und dem rechtsextremen Nationalisten Nick Fuentes für Schlagzeilen.
Documenta steht auf Platz acht
Auf Platz acht der Liste steht die 15. Ausgabe der Kunstausstellung documenta in Kassel. "In Deutschland werden die Tabus rund um Judenhass weiter gebrochen, angeheizt von Teilen der deutschen Regierung und einer Kunstelite, die den Einschluss antisemitischer Darstellungen bei der renommierten documenta durch eine Gruppierung erlaubte, die den Boykott Israels unterstützt", hieß es.
Dass es überhaupt zu der Ausstellung des Werkes kommen konnte zeige, dass es insbesondere in der "kulturellen Elite" in Deutschland Menschen gebe, die glaubten, "Juden ungestraft verhöhnen, verleugnen, bedrohen und attackieren zu können", erklärte das Zentrum.
Die documenta in Hessen war vor und während ihrer Laufzeit von immer neuen Antisemitismus-Vorwürfen erschüttert worden. Kurz nach der Eröffnung Mitte Juni wurde eine Arbeit mit antisemitischer Bildsprache entdeckt und abgebaut. Auch danach wurden Werke mit antijüdischen Stereotypen gefunden. In der Kritik stand das Kuratorenkollektiv der documenta, Ruangrupa, dem unter anderem eine Nähe zur Israel-Boykott-Bewegung BDS vorgeworfen wird.
Angriffe auf Synagogen in Bochum und Essen
In einem Unterpunkt der Liste werden auch allgemein Angriffe auf Juden in Deutschland geführt, wie die auf die Synagogen in Bochum und Essen. Gewarnt wird vor einem weiteren Anstieg antisemitisch motivierter Straftaten in Deutschland. Der Bundesregierung wird außerdem eine zu enge Zusammenarbeit mit dem "Holocaust-leugnenden und mit Völkermord drohenden Regime im Iran" vorgeworfen.
Auf der Liste erschienen zudem etwa der UN-Menschenrechtsrat, dem Israel immer wieder unfaire Einseitigkeit vorwirft, und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. An letzter Stelle erscheint der Telegram-Kanal, der den Angaben zufolge von Antisemiten zum Verbreiten ihrer Hassbotschaften genutzt wird.
Liste gilt in Deutschland als problematisch
Die jährliche Liste des Wiesenthal-Zentrums gilt in Deutschland als problematisch. Im vergangenen Jahr war der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte Michael Blume darauf genannt worden. Die Autoren warfen ihm vor, in Beiträgen und in Netzwerken Zionisten mit Nazis verglichen und "antijüdische, israelfeindliche und verschwörerische Twitter-Accounts" mit Likes versehen zu haben. Blume erhielt daraufhin viel Zuspruch aus jüdischen Kreisen. Die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland erklärte: "Eine solche Entscheidung erweist sich als kontraproduktiv in der Bekämpfung des sich in diesen Zeiten verschärfenden Antisemitismus." Es handle sich "wohl um einen Irrläufer" des Zentrums, der korrigiert werden sollte.
An der Liste des Zentrums gab es schon häufiger Kritik. So stand 2013 der Publizist Jakob Augstein darauf, was der Zentralrat der Juden in Deutschland als ungerechtfertigt bezeichnete. Auch die Aufnahme des deutschen UN-Botschafters Christoph Heusgen 2019 sorgte für Unverständnis, ebenso 2020 die Nennung des Goethe-Instituts und der Kulturstiftung des Bundes.
Das Simon-Wiesenthal-Zentrum wurde 1977 mit dem Ziel gegründet, den Holocaust und den Hass gegen Juden im historischen und aktuellen Kontext zu erforschen. Es wurde nach dem österreichisch-jüdischen Publizisten Simon Wiesenthal (1908 bis 2005) benannt, der jedoch an der Gründung nicht beteiligt war.