Ein Gefangenentransporter an einem Militärgefängnis nahe Jerusalem (Archivbild)
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Abkommen zwischen Israel und Hamas Wie der Geiseldeal umgesetzt werden soll

Stand: 18.01.2025 13:25 Uhr

In Israel hat die Regierung dem Abkommen für eine Waffenruhe mit der Hamas zugestimmt. Wann soll die Feuerpause beginnen? Welche Geiseln kommen frei? Und wie stabil ist der Deal? Ein Überblick.

Seit mehr als einem Jahr dauert der Krieg im Gazastreifen an. Zehntausende Menschen wurden getötet, das Küstengebiet liegt weitgehend in Trümmern. Der Konflikt hat massive Auswirkungen in der Nahost-Region.

Jetzt zeichnet sich zumindest ein vorübergehendes Ende der Kämpfe ab. Nach dem israelischen Sicherheitskabinett hat nun auch die gesamte Regierung das Abkommen mit der Terrororganisation Hamas für eine Waffenruhe im Gazastreifen und den Austausch von Geiseln gegen palästinensische Häftlinge gebilligt.

Wie geht es nun weiter?

Ein Sprecher des katarischen Außenministeriums teilte mit, die Waffenruhe solle am Sonntagmorgen um 7.30 Uhr deutscher Zeit in Kraft treten. Zuvor war von einem etwas späteren Zeitpunkt die Rede gewesen.

Das Büro von Israels Premier Benjamin Netanjahu kündigte an, mit der Freilassung der ersten Geiseln werde ebenfalls am Sonntag gerechnet. Israelischen Medien zufolge könnte dies um 15.00 Uhr deutscher Zeit passieren.

Aus dem Hamas-Umfeld hieß es, das Rote Kreuz werde die Menschen voraussichtlich am Sonntagabend gemeinsam mit ägyptischen und katarischen Teams in Empfang nehmen. Sie würden dann nach Ägypten gebracht und dort der israelischen Seite übergeben, die dann auch ihre medizinische Untersuchung übernehme.

Was sieht das Abkommen vor?

Der Deal zwischen Israel und der Hamas umfasst mehrere Phasen. Die Feuerpause im Gazastreifen gilt zunächst für 42 Tage. In dieser Zeit sollen 33 der insgesamt 98 verbliebenen Geiseln in der Gewalt der Hamas freigelassen werden. Im Gegenzug dafür kommen israelischen Angaben zufolge Hunderte palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen frei. Israels Militär soll sich zudem aus den dicht bevölkerten Gebieten des Gazastreifens zurückziehen.

Während dieser ersten Phase verhandeln beide Seiten über die konkreten Schritte der darauffolgenden Phasen, die zum vollständigen Rückzug des israelischen Militärs, der Freilassung der letzten Geiseln und zu einer palästinensischen Selbstverwaltung im Gazastreifen führen sollen. Wird keine Einigung erzielt, könnte der Krieg weitergehen.

Könnte der Deal noch gestoppt werden?

Gegen das Abkommen gibt es innerhalb der israelischen Regierung Widerstand. Der rechtsextreme Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, drohte damit, mit seiner Partei aus der Regierung auszusteigen, sollte die Waffenruhe umgesetzt werden. Schafft er es, Mitstreiter zu finden, könnte die Regierungskoalition wanken. Für diesen Fall hat allerdings Oppositionsführer Jair Lapid Hilfe angeboten. Seine Partei Jesch Atid würde sich notfalls mit Netanjahu zusammentun.

Gegner des Abkommens können zudem juristisch dagegen vorgehen. Nach israelischem Recht dürfen Angehörige von Terroropfern gegen die Freilassung bestimmter palästinensischer Häftlinge Einspruch einlegen. Für eine solche Petition beim Obersten Gericht haben sie 24 Stunden nach einem Regierungsbeschluss Zeit. Es wird allerdings erwartet, dass die Richter keinen Grund für ein Eingreifen des Obersten Gerichts gegen den Beschluss der Regierung sehen werden.

Wie stabil ist das Abkommen?

Die Vereinbarung steht auf wackeligen Füßen - schon allein, weil sich Israels Regierung und die Hamas gegenseitig geschworen haben, einander zu vernichten. Angesichts des tiefen Misstrauens ist offen, ob sich beide Seiten über Wochen an die vereinbarten Schritte halten werden und ob etwa bestimmte Passagen jeweils anders ausgelegt werden. Auch der Ausgang der Verhandlungen in den nächsten Phasen des Abkommens über ein dauerhaftes Ende des Krieges und einen Abzug Israels aus dem Gazastreifen ist ungewiss.

Beobachter warnen deswegen, dass nach der ersten Phase der Waffenruhe die Kämpfe wieder beginnen könnten - zumal es auf beiden Seiten Befürworter einer Fortsetzung des Krieges gibt. Andererseits gibt es in der palästinensischen Zivilbevölkerung im Gazastreifen wie auch in Israel eine große Sehnsucht danach, dass die Waffen nach 15 Monaten Krieg schweigen. 

Was ist über die Geiseln bekannt?

Zu den 33 der insgesamt 98 verbliebenen Geiseln, die in der ersten Phase des Abkommens freigelassen werden sollen, gehören Frauen - darunter Soldatinnen - sowie zwei Kinder unter fünf Jahren, ältere und kranke Menschen. Nach Medienberichten sind darunter auch zwei Israelis, die seit mehr als zehn Jahren im Gazastreifen festgehalten werden. 

Ungewiss ist weiterhin, wie viele der Geiseln, am 7. Oktober 2023 in den Gazastreifen verschleppt worden waren, noch am Leben sind. Israelische Krankenhäuser haben sich auf die Aufnahme zutiefst traumatisierter und teilweise auch kranker und verletzter Geiseln vorbereitet. Am 16. Tag der Waffenruhe sollen laut Plan die Verhandlungen über die zweite Phase - und damit die Freilassung der restlichen Entführten - beginnen. 

Was hat Israel im Geisel-Deal zugesagt?

Die israelische Regierung gab bekannt, dass in den sechs Wochen, die die Waffenruhe andauern soll, insgesamt 1.904 palästinensische Häftlinge freikommen sollen.

Bei 1.167 Häftlingen handelt es sich den Regierungsangaben zufolge um Personen, die im Gazastreifen festgenommen worden seien, aber nicht an dem blutigen Überfall der Hamas im Oktober 2023 beteiligt gewesen waren. 737 weitere Häftlinge, die freikommen sollen, seien wegen leichterer Delikte verurteilt worden. Aber auch Verurteilte, die wegen schwerer Straftaten wie Mord in Haft sitzen, sollen freikommen.

Allein in der ersten Phase der Waffenruhe sollen laut israelischem Justizministerium etwa 730 Häftlinge entlassen werden. Die ersten 95 sollen noch am Sonntag, nach Inkrafttreten der Waffenruhe, freigelassen werden.

Die Jerusalem Post nannte unter Berufung einer von der Regierung veröffentlichten, aber nicht vollständigen Liste auch konkrete Namen. So soll zu den Häftlingen, die freigelassen werden sollen, auch Sacharia Subaidi zählen. Er war während der zweiten Intifada ab 2000 Befehlshaber des militärischen Arms der Fatah-Bewegung, der Al-Aksa-Brigaden, in Dschenin im nördlichen Westjordanland. In den Jahren 2000 bis 2005 wurden etwa 3.500 Palästinenser getötet, mehr als 1.000 Israelis starben bei Anschlägen von Palästinensern.

Auf der Liste der freizulassenden Häftlinge steht demnach auch Mahmud Atallah, der eine lebenslange Haftstrafe plus 15 Jahre für die Ermordung einer Palästinenserin verbüßt, die der Kollaboration mit Israel beschuldigt wurde. Weitere Namen sind Wael Kassem und Wisam Abbasi, die an Bombenanschlägen in Israel mit Dutzenden Toten beteiligt gewesen sein sollen.

Nicht freigelassen werden soll hingegen der prominenteste palästinensische Häftling in Israel, Marwan Barghuti aus der Führungsebene der Fatah-Bewegung. Er war 2004 wegen fünffachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Kommt jetzt mehr Hilfe in den Gazastreifen?

Das ist zumindest die Hoffnung der Zivilisten und der Hilfsorganisationen, die sich um Zugang in das von Israel abgeriegelte Küstengebiet bemühen. Der wichtige - und seit acht Monaten geschlossene - Grenzübergang Rafah zwischen dem Gazastreifen und Ägypten könnte in Kürze wieder öffnen. Entsprechende Vorbereitungen laufen ägyptischen Sicherheitsquellen zufolge auf Hochtouren. Es werde intensiv daran gearbeitet, Einrichtungen, Straßen und Gebäude an dem Grenzübergang instand zu setzen. Dutzende Lastwagen seien bereits in Stellung gebracht worden, um bei Öffnung des Übergangs Hilfsgüter in den Gazastreifen zu bringen.

Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist katastrophal. Mehr als 90 Prozent der palästinensischen Bevölkerung leiden nach UN-Angaben starken Hunger. Es fehlt an Wasser, Notunterkünften, Arzneimitteln und Dingen des täglichen Bedarfs. Medienberichten zufolge sollen laut der Vereinbarung jeden Tag 600 Lastwagen Hilfsgüter in den Gazastreifen bringen. Wegen der Kämpfe, Plünderungen, Auflagen Israels und fehlender Lastwagen wie Fahrer kamen zuletzt viel weniger Hilfsgüter dorthin als benötigt.

Kann der Wiederaufbau im Gazastreifen beginnen?

Dafür ist es noch zu früh. Ein Wiederaufbau soll nach Worten von US-Präsident Joe Biden erst in der dritten Phase der Waffenruhe beginnen - also nach Phase zwei, in der alle verbliebenen Hamas-Geiseln freikommen sollen. Ägypten hat zwar eine internationale Konferenz zum Wiederaufbau in Aussicht gestellt. Aber bevor ein möglicher Termin, die Liste der Teilnehmer oder gar mögliche finanzielle Zusagen festgezurrt werden könnten, gilt es noch viele Hürden in dem Konflikt zu überwinden. Über allem steht das Risiko, dass neue Kämpfe ausbrechen könnten.

Wer hat künftig die Macht im Gazastreifen?

Israel und die Hamas liegen in dieser Frage weit auseinander. Israel lehnt eine weitere Hamas-Herrschaft kategorisch ab und droht, es könne den Kampf wiederaufnehmen, bis die Macht der schon stark dezimierten Terrororganisation endgültig gebrochen sei. Die Hamas hingegen fordert eine Garantie, dass der Krieg endet - wohl auch, um sich neu aufzustellen und ihre alte Machtposition wieder einzunehmen. Oder um aufs Neue aufzurüsten, wie Israels Rechte befürchtet.

Der scheidende US-Außenminister Antony Blinken hatte zuletzt einen Plan für die Zukunft des Gazastreifens mit folgenden Kernprinzipien skizziert: Zum einen brauche es eine von Palästinensern geführte Regierung, die den Gazastreifen mit dem Westjordanland vereint und der dortigen Autonomiebehörde unterstellt ist. Zum anderen dürfe es langfristig keine militärische Besetzung des Gazastreifens durch Israel geben, auch keine Verkleinerung des Gazastreifens oder Versuche, ihn nach dem Konflikt zu belagern oder zu blockieren.

Mit Material der Nachrichtenagentur dpa und Informationen von Bettina Meier, ARD-Studio Tel Aviv