IGH zu Israel Anhörungen zur Politik in palästinensischen Gebieten
Verstößt Israels Besatzungspolitik gegen Völkerrecht oder nicht? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Internationale Gerichtshof. Israel selbst weist den Vorwurf entschieden zurück.
Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag haben Anhörungen zur Rechtmäßigkeit von fast 60 Jahren israelischer Besatzung der palästinensischen Gebiete begonnen. Zum Auftakt sprach der palästinensische Außenminister Riad Al Malki.
Er warf Israel vor, in den besetzten Gebieten "eine Politik der Apartheid und des Kolonialismus" zu betreiben. "Mehr als 3,5 Millionen Palästinenser im Westjordanland, einschließlich Jerusalem, sind der Kolonisierung ihres Territoriums ausgesetzt und rassistischer Gewalt, die dies ermöglicht."
In der UN-Charta sei das Recht von Völkern auf Selbstbestimmung verankert. Dieses werde den Palästinensern jedoch seit Jahrzehnten vorenthalten. Die Palästinenser argumentieren, dass Israel dagegen verstoßen habe, indem es im großen Stil besetzte Gebiete annektiert habe.
"Diese Besatzung ist Annexion", sagte al-Malki. Er sprach von einer absichtlichen, zynischen Pervertierung des Völkerrechts. Die einzige Lösung sei ein sofortiges und bedingungsloses Ende der israelischen Besatzung in palästinensischen Gebieten.
Seitdem hat es neben weiteren Kriegen zahlreiche Friedensbemühungen gegeben. In den Osloer Verträgen einigten sich Israelis und Palästinenser 1993 zunächst auf eine friedliche Koexistenz und gegenseitige Anerkennung, einschließlich des Existenzrechts Israels. Die Palästinenser sollten in einer Zwischenphase den Gazastreifen und das Westjordanland selbst verwalten, während Israel sich aus den Gebieten zurückzieht. Ziel war die schrittweise Vorbereitung einer Zwei-Staaten-Lösung. Umgesetzt wurde das Abkommen trotz vieler Bemühungen nicht. Seit 2014 hat es keine ernsthaften Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern mehr gegeben.
Israel bezeichnet Anhörung als "Missbrauch"
Israel selbst bleibt den Anhörungen fern. In einer über das Gericht veröffentlichten schriftlichen Stellungnahme weist das Land allerdings die Anhörung als "Missbrauch des internationalen Rechts" zurück.
Demnach hätte Israel "das Recht und die Pflicht, seine Bürger zu schützen" und verweist auf die fortwährende Gefahr für seine Bürgerinnen und Bürger durch palästinensische Terroristen. Die Stellungnahme Israels war bereits nach Angaben des Gerichts im Juli 2023 abgegeben worden, also noch vor dem Terrorakt der Hamas am 7. Oktober.
UN-Vollversammlung hat Gutachten angefordert
Bei den Anhörungen geht es nicht um den aktuellen Gaza-Krieg, sondern um die grundsätzliche Frage, ob Israels Besatzungspolitik rechtmäßig ist oder gegen Völkerrecht verstößt. Dazu hatte die UN-Generalversammlung im Dezember 2022 ein Gutachten des IGH gefordert. Es ist zwar nicht bindend, kann den internationalen Druck auf Israel im aktuellen Krieg aber weiter erhöhen.
Sechs Tage lang werden Vertreterinnen und Vertreter von rund 50 Staaten und Organisationen Stellung beziehen. Es wird erwartet, dass sich die Richter mehrere Monate Zeit nehmen werden, bevor sie ein Gutachten vorlegen.
Neben Israel verzichtet auch Deutschland auf eine Beteiligung an dem Verfahren. Wie Israel und die USA sowie 23 andere Staaten hatte es damals gegen die Resolution der Generalversammlung gestimmt.
Palästinenser fordern unabhängigen Staat
Israel hatte 1967 das Westjordanland und Ost-Jerusalem erobert. Dort leben heute inmitten drei Millionen Palästinensern etwa 700.000 israelische Siedler. Die Palästinenser beanspruchen die Gebiete für einen unabhängigen Staat mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt.
Die Vereinten Nationen hatten Palästina 2012 den Status als Beobachterstaat eingeräumt. Von 193 UN-Mitgliedsstaaten haben bisher 139 Palästina als unabhängigen Staat anerkannt.
In einer früheren Version schrieben wir, Israel habe den "Vorwurf des Völkermordes zurückgewiesen". Tatsächlich hat das Land die Anhörung als "Missbrauch des internationalen Rechts" zurückgewiesen. Ein Völkermord-Vorwurf steht in diesem Verfahren nicht im Raum. Wir haben den Fehler korrigiert.
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen