Trotz Hinrichtungen im Iran Vier Monate Protest - und kein Aufgeben
Im Iran nehmen die Verhaftungen und Verfahren gegen regimekritische Demonstranten nicht ab. Den Protest kann das nicht ersticken. Eine Erkenntnis der Betroffenen: Öffentlicher Druck kann wirken - und internationale Hilfe.
Hinrichtungen finden im Iran in den frühen Morgenstunden statt, kurz nach dem Azan, dem Ruf zum Morgengebet. Viele Iraner greifen daher seit Wochen morgens direkt zum Handy mit einer bangen Frage: Wurde ein weiteres Todesurteil vollstreckt?
Vier Demonstranten wurden seit Anfang Dezember hingerichtet, zuletzt vergangenes Wochenende - alles junge Männer, denen das Regime vorwarf, Einsatzkräfte verletzt oder getötet zu haben. Menschenrechtsorganisationen sprechen hingegen von Schauprozessen, weit entfernt von rechtsstaatlichen Grundprinzipien.
Patenschaften sollen schützen
Im Netz kursieren Listen mit den Namen von Demonstranten, gegen die die Todesstrafe ausgesprochen wurde oder denen sie droht. In den sozialen Medien vermitteln Aktivisten verschiedener europäischer Ländern politische Patenschaften an Abgeordnete, auch in Deutschland. Die schreiben wiederum an iranische Behörden, fordern Freilassungen und anwaltlichen Beistand, betreiben Lobbyarbeit. Mehr als 250 Politiker haben inzwischen eine solche Patenschaft übernommen.
"Das Regime fordert die Familien von Gefangenen dazu auf, ruhig zu sein, nicht öffentlich zu sprechen", sagt Mariam Claren, eine der Organisatorinnen in Deutschland. Ihre Mutter, Nahid Taghavi sitzt selbst seit Herbst 2020 als politische Gefangene im Teheraner Evin-Gefängnis.
Claren ist der Meinung, laut zu sein, Öffentlichkeit zu schaffen, schütze die Betroffenen, diese Erfahrung habe sie im Kampf um ihre Mutter gemacht. "Deswegen ist es besonders wichtig, dass Politiker ihren Einfluss und ihre Reichweite nutzen."
Lautstarker Protest mit Wirkung
Dass sich das Regime von öffentlichem Druck beeindrucken lassen könnte, zeigt auch der Fall zweier junger Iraner, deren Hinrichtung vor wenigen Tagen laut Aktivisten unmittelbar bevorstand.
Vor dem Gefängnis der Stadt Karaj, Nordwestlich von Teheran, versammelten sich daraufhin laut Augenzeugen Menschenmengen und protestierten lautstark gegen die drohenden Hinrichtungen. Bisher wurden sie nicht vollstreckt.
Journalisten unter Druck
Währenddessen geht die Regierung auch weiter gegen Journalisten vor. Mitte der Woche soll die Reporterin Nassim Sultan Beygi am Teheraner Flughafen festgenommen worden sein. Später taucht die Meldung auf, dass sie ins berüchtigte Evin-Gefängnis gebracht wurde und dort in Einzelhaft sitzt.
Fast 90 Verhaftungen von Journalisten hat die NGO "Komitee zum Schutz von Journalisten" seit Ausbruch der Proteste im September 2022 nach dem Tod der jungen Kurden Jina Mahsa Amini gezählt.
Wegen eines zu locker getragenen Kopftuchs soll die 22-Jährige damals von der Sittenpolizei festgenommen worden sein. In der Haft verstarb sie. Aktivisten und die Familie machen Polizeigewalt dafür verantwortlich, der Staat streitet das ab.
Im Alltag angekommen
Seitdem wird im Iran protestiert, lange Zeit heftig und laut auf der Straße, mittlerweile hat der Protest Einzug in den Alltag vieler Iraner gefunden. Dazu gehört auch, dass in vielen Städten Frauen ihr Kopftuch nicht mehr tragen. Wohlwissend, dass sie das auch weiterhin in große Gefahr bringen kann.
Erst diese Woche wies der Generalstaatsanwalt die Behörden im Land an, deutlich entschiedener gegen Verstoße gegen die islamische Kleidungsordnung vorzugehen. Immer wieder im Gespräch sind dabei neue Überwachungstechnologie, etwas Videokameras im öffentlichen Raum nach dem Vorbild Chinas, einem engen Verbündeten.
Umgesetzt wird die Überwachung bereits im Verkehr: Frauen, die ohne Kopftuch Auto fahren, werden über das Kennzeichen ermittelt und bekommen Strafen per SMS zugeschickt.
Kommen weitere Sanktionen?
Im Zuge der Entwicklungen berät die europäische Politik erneut über Sanktionen gegen den Iran. Außenministerin Annalena Baerbock kündigte auf Twitter an, man werde vor allem den Druck auf die Revolutionsgarde erhöhen - die militärische Eliteeinheit, die zugleich Wirtschaftsimperium und Wächter über alles ist, was in der Islamischen Republik geschieht.
Wegen ihr waren EU und die Bundesregierung immer wieder in die Kritik geraten. Opposition und Aktivisten fordern eine Einstufung als Terrororganisation, wie in den USA. Vor der "Listung" müssten aber rechtliche Hürden genommen werden, argumentiert Baerbock. Man habe Kontakt zur EU aufgenommen, um die Voraussetzungen zu klären.
Fast paradox erschien da eine Meldung der Industrie- und Handelskammer, die nur einen Tag nach Baerbocks Äußerungen erschien: Deutschland ist auch 2022 Irans wichtigster Handelspartner in Europa.