Nach Irans Angriff auf Israel "Für den Iran war das ein Testlauf"
Die Abwehr des iranischen Angriffs war für Israel ein "Erfolg", sagt Nahost-Experte Peter Lintl. Jordanien schoss Drohnen ab, weitere arabische Länder öffneten den Luftraum. Doch kann die Zusammenarbeit gegen den Iran halten?
tagesschau.de: Das israelische Kriegskabinett hat bislang keine Entscheidung getroffen, wie auf diesen Angriff zu reagieren ist. Welche Optionen hat Israel denn überhaupt?
Peter Lintl: Ich glaube, man muss hier unterscheiden zwischen den Optionen, die es gibt, und den politischen Positionen, die im Kriegskabinett vorherrschen. Bei den politischen Positionen ist es so, dass Benny Gantz und Gadi Eizenkot - die beide dem Kriegskabinett angehören - laut Medienberichten vorgeschlagen hatten, dass Israel gleich, während der iranische Angriff läuft, einen Gegenschlag ausführt. Das wäre eher symbolischer Art, der Angriff damit abgegolten gewesen. Das wurde aber von den anderen Mitgliedern des Kriegskabinetts offenbar abgelehnt. Aus zwei Gründen: Erstens, weil zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar war, wie viel Schaden der iranische Angriff anrichten würde. Und zweitens, weil es den anderen Mitgliedern als zu geringe Antwort erschien.
tagesschau.de: Welche Möglichkeiten gäbe es denn jetzt?
Lintl: Es gibt natürlich immer die Möglichkeit eines direkten Angriffs mit Raketen - das ist aber eher unwahrscheinlich. Dann gibt es das, was Israel in der Vergangenheit gemacht hat: Cyberangriffe. Die dritte Möglichkeit sind Angriffe auf iranische Stützpunkte oder Verbündete außerhalb des Irans. Und viertens eine Geheimdienstoperation, wie wir sie auch schon der Vergangenheit gesehen hatten. Die große Frage ist, wie umfangreich kann und soll eine solche Antwort aussehen? Insbesondere die USA, die Europäer, aber auch die regionalen Verbündeten üben massiven Druck auf Israel aus, dass eine mögliche Antwort verschoben wird und der Umfang relativ gering sein sollte, damit es zu keiner weiteren Eskalation der Situation kommt.
tagesschau.de: Welchen Einfluss hat dieser Druck von außen denn auf die Entscheidung Israels?
Lintl: Sicherlich wird die Meinung der USA in Israel gehört. Aber wichtig ist auch die Einschätzung der militärischen Lage: Wie sehr sieht sich das israelische Militär gezwungen zu reagieren? Und natürlich auch die politische Lage, von der ja in den letzten Monaten sehr viel abhängt: Was glaubt Ministerpräsident Netanyahu aus innenpolitischen Gründen machen zu müssen? Wo hat er Angst, dass er seine Koalition riskieren könnte? Ich glaube, das sind die Faktoren, die man betrachten muss. Aber natürlich ist der Druck der USA schon sehr groß. Falls Israel diese Warnungen in den Wind schießen und zu einer Eskalation beitragen würde, wären natürlich auch die Konsequenzen für die Verbündeten weitreichend. Niemand kann sich derzeit eine weitere regionale Eskalation vorstellen oder wünschen.
tagesschau.de: Israel ist es ja erstaunlich gut gelungen, diesen Angriff des Iran abzuwehren – auch weil sich mit Jordanien ein arabischer Staat auf die Seite Israels geschlagen hat. Was bedeutet das strategisch?
Lintl: Aus israelischer Sicht war das ein Erfolg. 99 Prozent dieser Geschosse und Drohnen sind abgewehrt worden. Insbesondere, dass sich Jordanien am Abschießen der Drohnen beteiligt hat, ist gerade vor dem Hintergrund der Spannungen, die es zwischen Israel und Jordanien wegen des Gaza-Krieges gibt, bemerkenswert. Und man muss hinzufügen, dass auch die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien ihren Luftraum geöffnet haben. Das war eine westlich-regionale Kooperation gegen den Iran.
tagesschau.de: Was bedeutet das für den Gaza-Krieg?
Lintl: Das hängt davon ab, wie Israel reagieren wird. Das war eine Demonstration der Solidarität trotz großer Spannungen mit den arabischen Staaten. Jetzt ist die Frage: Denken diese Staaten, dass man jetzt noch stärkeren Druck auf Israel ausüben kann in Bezug auf den Gaza-Krieg oder nicht? Umgekehrt habe ich heute in einer israelischen Zeitung die Einschätzung gelesen, dass Israel jetzt auch mehr Spielraum im Gaza-Krieg hätte, wenn es keinen Rückschlag mit großer Härte gegen den Iran führen würde.
tagesschau.de: Welche Schlüsse muss und kann der Iran denn draus ziehen - militärisch, aber auch im aktuellen Konflikt rund um Gaza?
Lintl: Der Konflikt zwischen Israel und dem Iran wird eine Befriedung des Gaza-Krieges schwerer machen. Die Hamas hat das Ziel erreicht, dass der Iran in das Kriegsgeschehen eingetreten ist. Und sie hat jetzt schon verkündet, dass die Geiselverhandlungen zumindest erst mal ausgesetzt werden. Für den Iran war das meines Erachtens ein Testlauf. Sie haben sehr viel daraus gelernt, dass der Angriff weitgehend abgefangen werden konnte. Das war auch das Ziel der Sache. Gleichzeitig ist es auch so, dass die Verteidigung extrem kostspielig war. Man spricht von 1,5 Milliarden Euro, die die Luftabwehr der Israelis gekostet hat. Das lässt sich nicht beliebig wiederholen. Vielleicht will der Iran auch Israel auch zu einem Gegenschlag provozieren, den die Verbündeten nicht mittragen können. Ich denke, das sind strategische Überlegungen, die im Iran stattfinden.
tagesschau.de: Gibt es vielleicht auch Chancen, die aus der jetzigen Situation erwachsen könnten?
Lintl: Auch das wird in der israelischen Politik besprochen. Leute wie Benny Gantz sehen in dem, was geschehen ist, ein Bündnis gegen den Iran, das man stabilisieren und ausbauen kann. Dazu bedarf es aber der stärkeren Koordination zwischen Israel und den arabischen Staaten. Aber das hängt sehr stark vom weiteren Verlauf im Konflikt mit dem Iran und auch vom weiteren Verlauf des Gaza-Konflikts ab. Ich glaube, wir sind hier an einem entscheidenden Punkt, ob sich so eine Kooperation konsolidiert oder ob sie wieder zerfällt. Das hängt sehr stark davon ab, ob Israel in einer Weise reagiert, die die arabischen Staaten und die westlichen Verbündeten mittragen können.
Das Gespräch führte Peter Mücke für tagesschau.de