Bidens Nahost-Politik Wie realistisch ist die Zwei-Staaten-Lösung?
Wie geht es nach der Feuerpause im Gazastreifen weiter? Seit Beginn des neuen Nahostkriegs betont US-Präsident Biden, am Ende müsse eine Zwei-Staaten-Lösung stehen. Doch wie realistisch ist dieses Ziel noch?
US-Präsident Joe Biden betont es bei jeder Gelegenheit: Es müsse eine Vision geben, was nach dem Krieg im Gazastreifen kommt. Dies müsse "eine Zwei-Staaten-Lösung sein". Gemeint ist ein unabhängiger palästinensischer Staat, der friedlich Seite an Seite mit Israel existiert. Doch an einer solchen dauerhaften Friedenslösung sind schon zahlreiche US-Präsidenten gescheitert. Und ausgerechnet jetzt, nach der schlimmsten Gewalteskalation seit langem, soll es Chancen für diese seit Jahrzehnten bemühte Formel geben?
Selbst wenn schrittweise alle Geiseln der Hamas freigelassen würden, selbst wenn die jetzt ausgehandelte Feuerpause verlängert würde - selbst dann werde Israel den Krieg im Gazastreifen fortsetzen. Das stellt der frühere US-Nahostvermittler Dennis Ross klar: "Die Israelis werden nicht stoppen, bis die Hamas-Führung verschwunden ist", sagt er.
Ross arbeitete schon für den republikanischen Präsidenten George Bush senior, dann für die Demokraten Bill Clinton und Barack Obama, nun ist er am "Washington Institute", einer Denkfabrik für Nahost-Politik, aktiv. Das Beharren von Präsident Biden auf dem Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung hält Ross für richtig: "Der Kern des Konflikts ist: Zwei nationale Bewegungen konkurrieren um das gleiche Land, zwei Bewegungen mit grundverschiedener Identität. Sie werden in einem Staat nicht koexistieren können. Ein Staat auf Dauer ist die Garantie für eine ewige Verlängerung des Konflikts."
"Es wird eine politische Abrechnung in Israel geben"
Ross kennt all die Punkte, an denen bisherige Verhandlungen am Ende gescheitert sind, in- und auswendig: genauer Grenzverlauf, Zusammenführen der getrennten Palästinensergebiete Gazastreifen und Westjordanland, israelische Siedlungen, Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge, Status Jerusalems - von ständig drohender neuer Gewalt ganz zu schweigen.
Um überhaupt wieder den Beginn neuer Verhandlungen anzustoßen, müsse nach Ende des aktuellen Kriegs eine Phase der Aufarbeitung stehen, sagt Ross: "Es wird eine politische Abrechnung in Israel geben. 77 Prozent der Israelis glauben, dass Premierminister (Benjamin) Netanyahu für den Kriegsausbruch verantwortlich war."
Doch auch die Palästinenser müssten vollständig umdenken: "Niemand auf palästinensischer Seite kritisiert oder verurteilt bisher, was die Hamas getan hat." Wenn die Palästinenser die Israelis überzeugen wollten, an zwei Staaten zu denken, "müssen sie damit anfangen, den Hamas-Terror zu verurteilen", so Ross.
"Es braucht mindestens drei Dinge"
Aaron David Miller, ebenfalls für mehrere US-Präsidenten in der Nahost-Vermittlung tätig und jetzt bei der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden, nennt weitere Bedingungen für einen Neuanfang. Um überhaupt irgendeine Chance zu haben, in Richtung einer Zwei-Staaten-Lösung zu denken, brauche es mindestens drei Dinge, sagt Miller. "Nummer eins: Führungspersönlichkeiten auf beiden Seiten, die Herr im eigenen Haus sind und nicht Gefangene einer Ideologie. Die haben wir nicht. Nummer zwei: Es braucht Verantwortungsgefühl. Das heißt, Israelis und Palästinenser müssen selbst stärker von der Notwendigkeit einer Verhandlungslösung überzeugt sein als jeder externe Vermittler. Und wir brauchen drittens effektive Vermittlung."
Mit Netanyahu auf israelischer, Mahmud Abbas auf palästinensischer Seite und einem US-Präsident Biden, der 2024 in ein Wahljahr geht, sieht Miller keine der drei Voraussetzungen erfüllt.
Welche Rolle spielt der US-Wahlkampf?
"Oberstes Ziel der Biden-Regierung von heute bis November 2024 ist nicht, eine Zwei-Staaten-Lösung in Nahost zu vermitteln. Es ist, den wahrscheinlichen republikanischen Gegenkandidaten zu schlagen." Gemeint ist Donald Trump.
Beim Thema US-Wahlkampf ist Ross anderer Meinung. Er sagt: Gerade weil Biden nach seiner Positionierung pro Israel vor allem junge Wähler davonzulaufen drohen, habe er im Wahlkampf "zusätzlichen Anreiz, sich in Nahost zu engagieren" - für mehr humanitäre Hilfe, für ein Ende des Kriegs und für Schritte in Richtung neuer Friedensverhandlungen.
UN, Europäer und arabische Staaten müssen mitmachen
Miller rechnet jedenfalls mit noch wochen-, wenn nicht monatelangem Krieg und mit einer anschließenden "langen Phase der Unsicherheit, des Übergangs". Eine Art Stufenplan Richtung neuer Verhandlungen könne zudem nur funktionieren, wenn außer den USA auch die Vereinten Nationen, die Europäer und die arabischen Staaten einschließlich des mächtigen Saudi-Arabiens eine ergänzende konstruktive Rolle übernehmen würden, betonen Ross und Miller.
Das Fazit von Ross fällt eher optimistisch aus: "Wenn Sie mich fragen, ob es möglich ist, etwas zu tun, sage ich: Es ist nicht nur möglich, es muss passieren!"
Miller, eher pessimistisch, bilanziert zum Fernziel Zwei-Staaten-Lösung: "Im Moment würde ich mich selbst unglaubwürdig machen, würde ich sagen, ich sehe drei Führungspersönlichkeiten am Horizont, auf israelischer, palästinensischer und amerikanischer Seite, die willens und in der Lage wären, Entscheidungen zu treffen, die dafür eine Möglichkeit schaffen."