Italiens Regierungschef Draghi Schon zu lange der richtige Mann?
Unter Ministerpräsident Draghi kehrte Stabilität in Italiens Politik ein, mit Effizienz meisterte er Pandemie und Reformen. Doch nun werden das linke und rechte Lager unruhig - und haben ein heikles Wahlkampfthema entdeckt.
Kaum zu glauben, dass 2018 zuletzt in Italien gewählt wurde - immerhin ist seitdem die dritte Regierung im Amt. Das liegt an der italienischen Besonderheit, dass Regierungen im Schnitt alle eineinhalb Jahre scheitern, dann aber nicht zwingend Neuwahlen abgehalten werden, wenn sich die Parteien in neuen Konstellationen wieder zusammenraufen.
So folgte zunächst auf die Regierung Conte 1 die Regierung Conte 2. Als diese am Streit um die Corona-Politik und die Verteilung der EU-Milliarden scheiterte, setzte Staatspräsident Sergio Mattarella den ehemaligen EZB-Chef Mario Draghi als neuen Regierungschef ein. Ein Profi für Finanzen und europäische Beziehungen sollte es richten. Europa staunte schon bald über die politischen und wirtschaftlichen Erfolge Draghis.
"Viel Elan und eine gute Mannschaft"
Italien erholte sich wirtschaftlich, Reformen wurden beschlossen, die Bekämpfung der Pandemie mit großer Entschlossenheit durchgesetzt. Dann gewann Italien auch noch die Fußball-EM und den Eurovision Song Contest. Man wunderte sich fast, dass Draghi damit nichts zu tun hatte.
Von außen betrachtet sei er der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Platz, bestätigt Nino Galetti, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rom: "Mario Draghi war derjenige, der mit viel Elan und mit einer guten Mannschaft aus Fachleuten und Politikern verschiedene Reformen angegangen ist, zum Beispiel die Verwaltungsreform, die Justizreform." Derzeit gebe es in Italien mehr als fünf Millionen Verfahren - die im Durchschnitt fünf Jahre dauerten. Für Galetti zeigt das: "Da muss man ran und dafür war Draghi genau der Richtige."
Auch in der Bekämpfung der Corona-Pandemie verfolgte Italien einen klaren Kurs: Die Maßnahmen wurden weitgehend in der Bevölkerung akzeptiert, die Impfkampagne mit Hilfe eines Generals an der Spitze organisiert und durchgeführt.
Unruhe von rechts und links
Dennoch brodelt es im Inneren - und das liegt für Galetti eben an dem italienischen Phänomen der Kurzlebigkeit von Regierungen. "Die Medien und die politischen Gegner werden nach einem Jahr unruhig und sagen: So, es wird ja jetzt mal wieder Zeit, eine neue Regierung zu etablieren. Man merkt sehr deutlich, dass insbesondere an den politischen Rändern, bei den populistischen Parteien von links und rechts - den Fünf Sternen und der Lega - Unruhe entsteht."
Beide sind in den Umfragen seit 2018 massiv abgestürzt und suchen jetzt dringend nach populären Themen für den Wahlkampf. Da die meisten Corona-Maßnahmen am 1. Mai aufgehoben wurden, ist das neue Thema: Waffenlieferungen. Die beiden Parteien gelten als russlandfreundlich. Als sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi im März in einer Videobotschaft an die italienischen Abgeordneten wandte, fehlten auffällig viele. Vor allem die Reihen der Fünf Sterne und der Lega waren stark ausgedünnt. Bei den italienischen Wählerinnen und Wählern kam das nicht besonders gut an, wie die Umfrageergebnisse zeigen.
Wahlkampfthema Waffenlieferungen
Geschickter hat sich die Vorsitzende der rechtspopulistischen Partei Fratelli d'Italia, Giorgia Meloni, aufgestellt. Sie hat sofort Putins Invasion in der Ukraine verurteilt. In der Wählergunst steht sie derzeit mit mehr als 22 Prozent ganz oben - knapp vor den Sozialdemokraten (PD).
Die gelten zwar für viele mit ihrem Vorsitzenden Enrico Letta als Fels in der Brandung, doch sei es offenbar das Schicksal des Parteivorsitzenden, die PD nicht stärker machen zu können, sagt Galetti. Auf einen Draghi-Effekt können die Sozialdemokraten nicht hoffen, denn Draghi wird für sie nicht antreten - und auch für keine andere Partei. Das zumindest hat er deutlich gesagt.
Ansonsten ist Draghi kein Freund vieler Worte und Erklärungen: Meist entscheidet er erst und informiert dann. Eine Erfahrung, die außer der italienischen Öffentlichkeit auch Deutschland und andere Partner Italiens machen - beispielsweise in der Ukraine-Politik. Über Draghis heute beginnenden Besuch in Washington wurde vorab nur so viel aus dem Palazzo Chigi mitgeteilt, dass er sich mit US-Präsident Joe Biden treffe, um die historische Freundschaft und starke Partnerschaft zwischen beiden Ländern zu bekräftigen. Außerdem wolle man die Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine koordinieren. Ob und in welcher Form Italien die Ukraine mit schweren Waffen unterstützt, ist noch immer unklar.
An seinem letzten Besuchstag in den USA soll Draghi mit dem "Distinguished Leadership Award 2022" des Atlantic Council ausgezeichnet werden. Wie viel ihm das daheim nutzt, ist ungewiss - Italien hat schon viele ausgezeichnete Regierungschefs vom Hof gejagt. Eigentlich sind die nächsten Parlaments-Wahlen schon Anfang 2023. Doch ob die Stabilität bis dahin hält, ist unklar.