Tote durch Bandenkriminalität Drogenkrieg in Marseille eskaliert
Der Drogenkrieg in Marseille hat in diesem Jahr bereits mehr als 40 Todesopfer gefordert - zuletzt auch eine Unbeteiligte. Innenminister Darmanin hat der Drogenmafia den Kampf angesagt. Doch seine Strategie erntet auch Kritik.
Anfang der Woche melden die Nachrichtensender den Tod einer 24-Jährigen in Marseille - unbeabsichtigt getroffen von einer Kugel aus einer Kalaschnikow. Die Drogendealer hatten ziellos herumgeballert, um das eigentlich ruhige Wohnviertel für sich zu reklamieren.
Dass es zu den Schüssen kam, sei eine Folge der hervorragenden Polizeiarbeit, erklärte Innenminister Gérald Darmanin kurz nach dem Besuch einer Polizeispezialeinheit in Marseille: "Die Attacke auf dieses Viertel ist ohne Zweifel auch die Folge dessen, was unsere Polizisten leisten. Sie haben so viele Drogenverkaufsstellen in anderen Ecken der Stadt ausgehoben, dass die Dealer vielleicht neues Terrains suchten."
Schon jetzt 40 Tote
Es ist ein Teufelskreis: Das Innenministerium verstärkt die Einheiten, setzt demnächst sogar die schwer bewaffnete CRS-8 in den Drogenvierteln ein. Doch je erfolgreicher die Polizisten die Hotspots ausheben, desto unerbittlicher wird der Kampf um sie geführt. Über 40 Menschenleben hat der Drogenkrieg in Marseille allein seit Januar gefordert; im vergangenen Jahr waren es insgesamt 31.
Die Opfer werden immer jünger, erklärt der Journalist und Fachmann für Bandenkriminalität, Jerome Pierrat, im Interview mit dem Fernsehsender RMC: Früher sei es darum gegangen, die rivalisierenden Gangsterbosse auszuschalten, also Männer zwischen 30 und 40. "Aber die steuern die Geschäfte jetzt aus dem Ausland, machen quasi Homeoffice. Heute sind nur noch die kleinen Handlanger, die Tagelöhner des Drogenhandels, vor Ort. Und die sind oft erst 15, 16 oder 17 Jahre alt. Wenn es dann knallt zwischen den rivalisierenden Banden, sind eben auch die Toten 15-, 16- oder 17-Jährige."
Strategie umstritten
Marseille erlebt eine Banalisierung der Gewalt. Kriegswaffen sind heute Standard, die jungen Drogenarbeiter ziehen immer leichter die Waffe, bringen immer hemmungsloser Rivalen und immer häufiger Unbeteiligte um. Jerome Pierrat hält Darmanins Strategie der Repression für verfehlt: "Das bringt nichts. Man setzt die CRS-8 ein, dann wandert der Hotspot eben ein paar Meter weiter, oder sie liefern den Kunden das Zeug nach Hause."
Wenn man wirklich an die Wurzel des Problems gehen wolle, dann müsse man mehr Kriminalbeamte einsetzen, die die Hintermänner und die globalen Geldströme der Drogenmafia verfolgen. Doch dafür brauche man Zeit und sei nicht so gut sichtbar. "Aber der Minister will schnell sichtbare Erfolge."
Überlastete Justiz
Die Marseiller Justiz ist völlig überlastet, kommt mit der Aufarbeitung der Morde und versuchten Morde gar nicht mehr hinterher. Der Minister versucht es mit einem Appell an die Bevölkerung, denn Frankreich ist europaweiter Spitzenreiter beim Konsum von Cannabis. "Alle, die Drogen konsumieren, sind mitverantwortlich für die tödlichen Abrechnungen, für die Ausbeutung Minderjähriger, für die Morde."
Darmanins Vorgehen wird nicht nur von der linken Opposition kritisiert, sondern auch innerhalb der Regierungsmehrheit. Statt auf Repression zu setzen, müsse Frankreich Cannabis endlich legalisieren. Nur so sei den Drogenbanden das Handwerk zu legen.