EU-Gipfel in Brüssel Mühsames Ringen um eine gemeinsame Haltung
Wie steht die EU zum Vorgehen Israels im Gazastreifen? Hier sind die Mitgliedsländer gespalten. Die Abschlusserklärung ist offenbar ein Kompromiss - die EU will sich für einzelne "humanitäre Pausen" einsetzen.
Eine gemeinsame europäische Linie zur Krise in Nahost reicht bisher nicht besonders weit. Nach der Verurteilung der Hamas-Gewalt, dem Aufruf zur Freilassung der Geiseln und der Betonung des Rechts Israels auf Selbstverteidigung kommt die Uneinigkeit.
"Es ist klar, dass wir uns alle einig sind, dass wir das Recht Israels respektieren, sich nach internationalem Recht zu verteidigen", sagte EU-Ratspräsident Charles Michel vor der Debatte. "Gleichzeitig ist es äußerst wichtig, humanitären Zugang zu ermöglichen, und diese Debatte werden wir intensiv führen."
Diskussion über "humanitäre Pause"
Strittig ist vor allem, was genau der Rahmen sein kann, in dem Kämpfe unterbrochen werden, um die Menschen im Gazastreifen mit Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten zu versorgen. Doch wie soll das Ganze heißen? Zum Ärger mancher Mitgliedsstaaten hat der Außenbeauftragte Josep Borrell, der Chef-Diplomat der EU, öffentlich die Forderung nach einer Waffenruhe unterstützt. Ratspräsident Charles Michel spricht sich für die Formulierung "humanitäre Pause" aus.
Einige Länder, die traditionell eher auf der Seite der Palästinenser stehen - wie Irland, Belgien und Luxemburg - gehen in diese Richtung. Auch Spanien: "Ich bin auf jeden Fall für eine humanitäre Pause. Denn die Bilder des menschlichen Leids im Gazastreifen sind unakzeptabel", sagte Ministerpräsident Pedro Sanchez. Die Zeit dränge, den humanitären Korridor zu öffnen, "um all diese humanitäre Hilfe zu kanalisieren und dafür eine Pause zu haben, um die Arbeit der NGOs vor Ort möglich zu machen."
Scholz: "Keinen Zweifel, dass Israel das Völkerrecht beachten wird"
Vielen Staaten geht das deutlich zu weit. Unangemessen sei eine Forderung, mit der sich Israel angesichts des anhaltenden Terrors der militant-islamistischen Hamas zu einer einseitigen Waffenruhe gedrängt fühlen könnte. So argumentieren zum Beispiel Österreich, Tschechien, Ungarn, Lettland und Deutschland. Sie haben sich wohl durchgesetzt mit ihrer Forderung, in einer Schlusserklärung des Gipfels die Formulierung "humanitäre Pausen" - also den Plural der Pause-Formulierung, die Spanien, Irland und andere ursprünglich vorschlugen - zu nutzen. Zu interpretieren seien die als einzelne begrenzte Zeitspannen, um die Versorgung der Zivilbevölkerung zu gewährleisten.
"Israel ist ein demokratischer Staat mit sehr humanitären Prinzipien, die ihn leiten", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz in Brüssel. "Und deshalb kann man sicher sein, dass die israelische Armee auch bei dem, was sie macht, die Regeln beachten wird, die sich aus dem Völkerrecht ergeben. Da habe ich keinen Zweifel."
"Israel ist ein demokratischer Staat mit sehr humanitären Prinzipien, die ihn leiten", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz in Brüssel.
Scholz machte aber auch klar, dass der EU-Gipfel, der bis morgen stattfindet, nicht nur um Worte ringen darf. Die EU brauche eine weitergehende diplomatische Strategie. Es sei wichtig, dass die EU alles dafür tue, dass der Konflikt nicht in der ganzen Region eskaliert. "Es sollte nicht passieren, dass im Norden etwa Hisbollah in den Krieg mit eigenen Aktivitäten eintritt oder dass der Iran und seine Proxies (Anm. d. Redaktion: gemeint sind Stellvertreter) versuchen, hier gewissermaßen zu intervenieren", sagte der Kanzler. "Das verlangt aber eben auch genau unsere Solidarität."
Geplantes EU-Hilfspaket für die Ukraine in Milliarden-Höhe
Solidarität mit Israel und den Menschen in Nahost dürfe aber nicht zu dem Eindruck führen, dass Solidarität mit der von Russland angegriffenen Ukraine in den Hintergrund trete. Das Gegenteil sei der Fall, betont auch Kommissionschefin Ursula von der Leyen heute erneut: "Wir versorgen die Ukraine standhaft mit den erforderlichen Mitteln, um der Aggression Russlands standzuhalten."
Diese anhaltende Unterstützung soll Präsident Wolodymyr Selenskyj auch direkt aus dem Kreis der 27 Staatschefs versichert bekommen, wenn er per Video ins Brüsseler Ratsgebäude geschaltet wird. Konkret und wohl auch kontrovers wird dann diskutiert über das nächste geplante Hilfspaket der EU, das bis zu 70 Milliarden Euro schwer sein könnte.