Andreas Babler (SPÖ), Christian Stocker (ÖVP) und Beate Meinl-Reisinger (NEOS) geben eine Pressekonferenz nach der Einigung auf eine Koalition.

Koalitionsbildung in Österreich Dreierbündnis vor gigantischen Aufgaben

Stand: 27.02.2025 16:57 Uhr

Fünf Monate nach der Wahl steht Österreich vor einem Bündnis aus ÖVP, SPÖ und NEOS. Die Koalition muss gigantische Aufgaben bewältigen. Und es geht darum, verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.

Ein Kommentar von Silke Hahne, ARD Wien

Hinter Österreich liegen fünf harte Monate. Schon am Wahlabend Ende September war klar: Dieses Ergebnis wird die Mehrheitsfindung schwierig machen. Und so kam es dann auch.

Zur Erinnerung: ÖVP, SPÖ und NEOS stiegen in Verhandlungen ein - und scheiterten. In einer spektakulären 180-Grad-Wende entledigte sich daraufhin die konservative ÖVP ihres Parteichefs und Bundeskanzlers Karl Nehammer und warf sich vor dem extrem rechten Herbert Kickl und seiner radikalisierten FPÖ in den Staub.

Kickl wollte den Systemumbau

Doch auch aus diesem Bündnis wurde nichts. Denn Kickl wollte - eigentlich wenig überraschend - den absoluten Systemumbau für das Land. Internationale Gerichtsurteile nicht anerkennen, Gewalt an den Grenzen legalisieren, die historische Verantwortung für den Holocaust abstreifen, den Kampf gegen Hass, Hetze und Radikalisierung abschwächen. Und die Kontrolle über das Innen- und Finanzministerium.

Das war der ÖVP zu viel, sie kratzte den Rest ihrer staatspolitischen Verantwortung zusammen und ließ die FPÖ sitzen. Und so ging es zurück auf Anfang.

Wenn die Parteigremien und die NEOS-Mitglieder der Koalition zustimmen, wird also der neue ÖVP-Chef Christian Stocker mutmaßlich eine Koalition anführen, deren erster gescheiterter Anlauf ihn erst ins Amt brachte. Eine Ironie des Schicksals.

Manöver, die allen geschadet haben

Und nun? Kickl verhindert, Ende gut, alles gut? Mitnichten. Die politischen Manöver aller Parteien haben dem ohnehin großen Misstrauen gegenüber Politikern weiter Vorschub geleistet. Die SPÖ zerlegt sich seit Jahren in Flügelkämpfen und macht bei der Verteilung der Ministerposten jetzt damit weiter.

Die NEOS zeigten sich zu Beginn der Verhandlungen so kompromisslos, als hätten sie die Wahl gewonnen und nicht neun Prozent geholt.

Die ÖVP brach ihr zentrales Wahlversprechen, nicht mit Kickl über eine Regierung zu sprechen. Dass sie wieder umgekehrt ist, ändert nichts an ihren historisch niedrigen Umfragewerten. Trotzdem stellt sie nun voraussichtlich den Kanzler: Christian Stocker, der nicht der Spitzenkandidat der Partei bei der Wahl war und dessen Legitimität man daher anzweifeln kann.

FPÖ radikalisiert sich weiter

Und das tut allen voran die FPÖ. Die Partei hat jetzt schon begonnen, sich noch weiter zu radikalisieren. Sie wird wohl immer weiter ins Verschwörungsmilieu abdriften. Und als größte einzelne Fraktion im Nationalrat wird sie ihre Instrumente und die Bühne zu nutzen wissen.

Das unerprobte Dreierbündnis steht ohnehin vor gigantischen Aufgaben. Die Wirtschaft lahmt, es herrscht Krieg in Europa, die USA wenden sich als Bündnispartner ab. Die FPÖ wird mit aller Kraft weiter daran arbeiten, den Menschen alles schlechtzureden, was diese Regierung in Angriff nimmt.

Menschen brauchen Zuversicht in Politik

Österreich mag klein sein. Auf dem Land mag in der EU nicht die gleiche Verantwortung lasten wie auf Deutschland. Aber auch zwischen Wien und Bregenz brauchen die Menschen wieder Zuversicht in die Handlungsfähigkeit von Politik.

Das ist wohl die größte Aufgabe für das Dreierbündnis jenseits der Sachthemen: ÖVP, SPÖ und NEOS müssen dem Schimpfen und Kopfschütteln etwas entgegensetzen - am besten geschlossene Regierungsreihen ohne Zank und Maßnahmen, die die inflationsgeplagte Bevölkerung bald in der Geldbörse spürt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 27. Februar 2025 um 18:37 Uhr.