Russischer Angriffskrieg Papst legt Ukraine Mut zur "weißen Fahne" nahe
Die Ukraine gerät im Krieg zunehmend in die Defensive. Nun rief der Papst das angegriffene Land zu Verhandlungen mit Russland auf, "bevor es noch schlimmer wird". Nach Kritik bemüht sich der Vatikan um Klarstellung.
Die Ukraine sollte nach Worten von Papst Franziskus den Mut haben, eine "weiße Fahne" zu hissen und ein Ende des Krieges mit Russland auszuhandeln. "Schämt euch nicht, zu verhandeln, bevor es noch schlimmer wird", sagte der Papst in einem Interview mit dem Schweizer Rundfunksender RSI, das am 20. März ausgestrahlt werden soll, in Auszügen nun aber vorab veröffentlicht wurde.
Er denke, "dass der Stärkste derjenige ist, der die Situation betrachtet, an die Menschen denkt, den Mut der weißen Fahne hat und verhandelt", so der Pontifex. "Verhandeln ist niemals ein Sich-Ergeben. Es ist der Mut, das Land nicht in den Selbstmord zu führen", betonte Franziskus und erinnerte daran, dass die Ukraine bereits unter Stalin viel erlitten habe.
Papst: Einzige Gewinner sind Waffenlieferanten
Franziskus warf außerdem die Frage auf, wie viele Tote es bei dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine am Ende geben werde und erklärte, man solle internationale Mächte einbeziehen, um ins Gespräch zu kommen. Die Türkei und andere hätten sich als Vermittler angeboten.
In dem Gespräch wiederholte das katholische Kirchenoberhaupt erneut die Ansicht, dass die einzigen Gewinner eines Krieges die Waffenlieferanten seien.
Auch in einem anderen Teil des Interviews, in dem es um den Krieg zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas ging, betonte er: "Verhandeln ist niemals eine Kapitulation." Die Geschichte lehre, dass es früher oder später zu einer Einigung kommen müsse.
Erboste Reaktionen und Schadensbegrenzung
In der Ukraine wurde der Begriff der "weißen Fahne", den der Papst gebrauchte, als Aufforderung zur Kapitulation verstanden und löste erboste Reaktionen aus. "Es erscheint merkwürdig, dass der Papst nicht zur Verteidigung der Ukraine aufruft, nicht Russland als Aggressor verurteilt, der Zehntausende Menschen tötet", schrieb der frühere Abgeordnete und Vizeinnenminister Anton Heraschtschenko im Netzwerk X, vormals Twitter.
Der ehemalige ukrainische Botschafter in Österreich, Olexander Scherba, nannte den Papst mit einem Bibelwort einen "Kleingläubigen". Offizielle Kiewer Stellen äußerten sich nicht. Schon aus früheren Papstäußerungen haben die Ukrainer das Gefühl, dass Franziskus mehr Verständnis für Russland aufbringt als für ihr angegriffenes Land.
Der Vatikan bemühte sich daraufhin um Schadensbegrenzung und versuchte, die Äußerungen des Papstes einzuordnen. Sein Sprecher Matteo Bruni widersprach Darstellungen, der Papst habe die Ukraine in dem Interview zur Kapitulation aufgefordert. Er habe "vor allem zu einem Waffenstillstand aufrufen und den Mut zu Verhandlungen wiederbeleben" wollen.
Ukraine zunehmend in der Defensive
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte wiederholt gesagt, er wolle zwar Frieden, fordere aber den Abzug russischer Truppen aus der gesamten Ukraine und die Wiederherstellung der ukrainischen Staatsgrenzen. Russland lehnte Friedensgespräche zu diesen Bedingungen ab.
Am Freitag hatte sich die Türkei als Ausrichter für ein Gipfeltreffen zwischen der Ukraine und Russland ins Gespräch gebracht. Das NATO-Mitglied Türkei hält seit Beginn des Kriegs seine Kontakte sowohl zur Ukraine als auch zu Russland aufrecht.
Kiew gerät in dem seit mehr als zwei Jahre dauernden Krieg zunehmend in die Defensive. Die ukrainischen Soldaten an der Front leiden unter Munitionsmangel - unter anderem wegen der Verzögerung weiterer Militärhilfe aus den USA.
Mit Informationen von Verena Schälter, ARD Rom