Maja T. im Gerichtssaal in Budapest

Prozessbeginn gegen Maja T. Ein deutsch-ungarisches Justizdrama

Stand: 21.02.2025 19:39 Uhr

Mit Fußfesseln und Handschellen wird Maja T. in den Budapester Gerichtssaal geführt. Sie soll gemeinsam mit anderen mutmaßlichen Linksextremen Neonazis angegriffen und schwer verletzt haben. Der Deutschen droht eine extreme Strafe.

"Free Maja", "Befreit Maja", rufen zwei Dutzend Demonstranten, Antifa, viele angereist aus Deutschland, draußen auf der Straße vor dem Budapester Landgericht. Es ist auch drinnen zu hören, im zweiten Stock, Sitzungsraum 36, ein alter Gerichtssaal, historische Fresken an der Wand, schon leicht angegraut.

Die Dolmetscherin bittet um Ruhe. Es ist eine Herausforderung, vom Ungarischen ins Deutsche zu übersetzen, fließend - damit Maja T. folgen kann. Ob die Namensänderung schon durch ist, erkundigt sich Richter József Sós, von "Simeon" zu "Maja". "Läuft", erwidert die angeklagte Person, die sich Maja nennt und als non-binär definiert, also weder als männlich noch als weiblich.

Deutsch-ungarisches Justizdrama: Prozess gegen Maja T. aus Deutschland in Budapest

Anna Tillack, ARD Wien, tagesschau, 21.02.2025 17:00 Uhr

So bleiben Richter und Staatsanwältin formal korrekt bei "Simeon", mit der/die/das hat die Staatsanwältin sonst kein Problem, die ungarische Sprache ist genderneutral, ganz anders als die ungarische Politik unter dem umstrittenen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Auch das ist ein Problem in diesem Verfahren. Sagt die Verteidigung, sagen Majas Unterstützerinnen und Unterstützer. Anklage und Richter sehen das nicht so.

Als sie draußen "Free Maja" rufen, huscht kurz ein Lächeln über das Gesicht der scheu wirkenden Person Maja, im blass-lila Pullover, in schwarzer Hose und mit Pferdeschwanz. Ein harter Kontrast zu den beiden Justizbeamten in voller Kampfmontur, die sie begleiten. Einer hält die dicke Leine, die an Majas Bauchgurt befestigt ist. Maja T. trippelt fast, mehr lassen die Fußfesseln nicht zu, die Handfesseln werden später kurz abgenommen, damit "Simeon" sein Redemanuskript halten kann.

Überfälle mit System?

Welten prallen aufeinander hier in diesem Budapester Gerichtssaal: Staatsanwältin Andrea Jenei verliest trocken die Kurzfassung der Anklage. Schwere Körperverletzung, vorsätzlich, geplant, hinterrücks. Von gezielten Schlägen auf die Köpfe der Opfer ist die Rede, einer Gehirnerschütterung, Platzwunden, gebrochenen Fingerknochen, Attacken mit Pfefferspray. Was die Staatsanwältin sorgfältig herausarbeitet: Immer war es eine Gruppe, die die Überfälle offenbar gut und oft eingeübt hatte, straff organisiert, mit verteilten Rollen - und nach 30 Sekunden war immer alles vorbei, die Täter auf der Flucht, zu Fuß, im Taxi.

Die Opfer: mutmaßliche Neonazis waren die Ziele. Manchmal wurden sie angesprochen, um das herauszufinden. Touristen, sagt die Anklage. Manche sahen vielleicht nur so aus, trugen Kleidung, wie sie auch Neonazis tragen. Waren aber vielleicht keine. Waren nur so in Budapest, rund um den "Tag der Ehre", an dem sich in der ungarischen Hauptstadt jedes Jahr Hunderte Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten treffen, viele in SS-Uniformen, mit Stahlhelm, ein Neonazi-Gedenktag zum letzten Ausbruchsversuch der Hitler-deutschen Wehrmacht 1945, in den letzten Kriegstagen. Die Rote Armee hatte Budapest schon umzingelt, Tausende starben damals.

Maja T. sei Teil einer "kriminellen Vereinigung" gewesen, das sei strafverschärfend, sagt Maja T.s ungarischer Anwalt Tamás Bajáky. Beschuldigt zweimal der Mittäterschaft, zweimal der Beihilfe. Zwei bis 24 Jahre Haft drohen am Ende des Prozesses. "Nur" vierzehn Jahre, wenn Maja T. sofort alles gesteht. Was diese gleich zu Beginn sehr eindeutig ablehnt.

Aber Maja T. will reden, hat ein mehrseitiges Manuskript vorbereitet. Dazu müssen die Handschellen weg, das dauert etwas. Zeit, die Fresken im Gerichtssaal genauer anzuschauen. Der ungarische König Kolomann ist auf einem der großen Wandbilder, Kolomann "der Buchkundige", der von 1056 bis 1116 lebte, die Szene, als er Hexenverbrennungen in Ungarn verboten hat. Lange her.

"Ich stehe hier, weil ich eine Antifaschistin bin"

"Ich stehe hier in einem Land vor Gericht, in dem ich als non-binäre Person nicht existiere" und: "weil ich eine Antifaschistin bin", sagt Maja T.. Es geht dann aber nicht nur um aus Majas Sicht menschenunwürdige Haftbedingungen, Einzelhaft, Schlafentzug, Kakerlaken, nackt ausziehen müssen. Es geht nicht nur darum, dass ihr die Verteidigung in eigener Sache schwer gemacht wird, weil große Teile der Anklage nicht auf Deutsch übersetzt wurden.

Es ist nur zum Teil eine Verteidigungsrede, eher ein Plädoyer ums Grundsätzliche: "Es geht in diesem Prozess um viel mehr als um mich selbst", sagt Maya, warnt vor aufkommendem Faschismus in Ungarn und im Rest Europas, warnt vor mangelnder Rechtsstaatlichkeit. Der Europa-Abgeordnete der Linken, Martin Schirdewan, sieht das auch, ist deswegen auch als Prozessbeobachter in Budapest.

Vater und Stiefmutter von Maja T. verfolgen die Rede sichtbar mitgenommen. "Ich würde Maja am liebsten in den Arm nehmen und alles dafür tun, dass sich die Situation bessert", sagt Wolfram Jarosch in der kurzen Prozesspause. Da hofft er noch auf Hafterleichterung statt Einzelzelle. Und auf Rückführung nach Deutschland, idealerweise. Immerhin habe das höchste deutsche Gericht anerkannt, dass die Auslieferung Majas nach Ungarn nicht rechtens war, sagt er. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kam leider eine knappe Stunde zu spät. Da war Maja T. schon in Budapest. Die Ungarn hatten - formal korrekt - einen europäischen Haftbefehl vorgelegt. Deshalb seien die Bedenken der deutschen Verfassungsrichter ein deutsches Problem, jedenfalls nicht das des Landgerichts in Budapest.

Deshalb waltet der ungarische Richter sichtbar unbeeindruckt weiter seines Amtes. Hausarrest? Antrag der Verteidigung abgelehnt, wegen Fluchtgefahr. Nächster Verhandlungstermin: Anfang März. Es könnte ein langer Prozess werden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 21. Februar 2025 um 20:00 Uhr.