Demonstrantin im serbischen Kragujevac

Proteste gegen Vucic in Serbien Ein Land in Aufruhr

Stand: 17.02.2025 04:50 Uhr

Seit Monaten proben Serbiens Studenten den Aufstand. Sie wurden von Schlägern attackiert und mit Autos angefahren. Doch die Protestwelle breitet sich immer weiter im ganzen Land aus. Serbiens autokratischer Präsident Vucic gerät zunehmend unter Druck.

Von Oliver Soos, ARD Wien, zzt. in Belgrad

Die Universitätsstadt Kragujevac in Zentralserbien liegt am Freitag unter einer permanenten Lärmglocke: Autofahrer hupen, Fußgänger blasen in Trillerpfeifen oder tröten mit Vuvuzelas. Viele Bürger sind in freudiger Erwartung auf die Großdemonstration am Samstag und auf die Studenten, die eintreffen sollen.

Gruppen von Hunderten Wanderern, Marathon-Läufern und Radfahrern sind unterwegs nach Kragujevac, bis zu vier Tage lang. Sie kommen aus fast allen Himmelsrichtungen, unter anderem aus den Universitätsstädten Belgrad, Novi Sad, Nis und Novi Pazar. Im unabhängigen Fernsehsender N1 konnte man sehen, wie sie in vielen Dörfern und Kleinstädten empfangen und bejubelt wurden.

Bengalos zur Begrüßung

Bei ihrem Eintreffen in Kragujevac stehen rund 10.000 begeisterte Menschen am Platz der Freiheit vor dem Rathaus Spalier. Sie hüpfen, singen, klatschen, schwenken Fahnen und zünden bengalisches Feuerwerk.

Djordje, ein 24-jähriger Japanologie-Student aus Belgrad, ist überwältigt. Erschöpft stellt er sein Fahrrad auf dem Rasen ab. "Der Empfang hier, das ist einfach irreal", sagt Djordje. Auch in jedem Dorf vor fast jedem Haus seien Familien gestanden. "Sie haben Tische aufgebaut, mit Getränken und Snacks. Manche haben sogar Spanferkel für uns gebraten. Es zeigt, dass das Land aufsteht. Viele haben solche Proteste und uns zum ersten Mal gesehen", so Djordje.

Großdemo im serbischen Kragujevac mit Tausenden Teilnehmern

Zur Großdemo im serbischen Kragujevac kamen Zehntausende Teilnehmer.

Präsident Vucic sorgt bei Studenten für Ärger

Zur Großdemo am Samstag sind Zehntausende in Kragujevac, wie zuvor auch schon in Novi Sad und Belgrad. Menschen aller Alters- und Berufsgruppen sind vertreten. Dutzende Bauern sperren mit ihren Traktoren die Kreuzungen ab. Auf den Plakaten der Demonstranten stehen Sprüche, die sich zum Teil sehr deutlich an Präsident Aleksandar Vucic richten. "Der Zar ist nackt", steht auf einem Transparent. Auf einem anderen steht: "Der Schurke wackelt."

Es sind ungemütliche Zeiten für den serbischen Präsidenten, denn die Großdemonstrationen folgen in immer dichteren Abständen. Auslöser dieser neuen Protestwelle war der Einsturz des Vordachs am frisch renovierten Bahnhof in Serbiens zweitgrößter Stadt Novi Sad, bei dem 15 Menschen getötet wurden. Bis heute ist nicht geklärt, was genau dahinter steckte. Die Vermutung ist: Korruption und Baupfusch.

Als bei einer Schweigeminute für die Opfer Studenten angegriffen und geschlagen wurden und sich herausstellte, dass ein paar der Angreifer Mitglieder der serbischen Regierungspartei SNS waren, traten immer mehr Studenten in den Streik. Es folgten Attacken, bei denen Demonstranten mit Autos angefahren wurden. Seit Mitte Dezember sind 65 von 80 Fakultäten landesweit im Ausstand.

"Kaputtes demokratisches System"

In der Hauptstadt Belgrad führen die 22-jährigen Germanistik-Studentinnen Teodora und Ana durch ihre besetzte Philologische Fakultät. Sie wollen ihre Nachnamen aus Sicherheitsgründen nicht sagen. Überall in der Uni hängen Protestplakate an der Wand. In einem Hörsaal gibt es statt einer Vorlesung ein Plenum der Studenten, wo die nächsten Protestaktionen geplant werden.

Es geht längst nicht mehr nur um den Vorfall am Bahnhof in Novi Sad. Dieses Unglück steht aus Sicht der Studentinnen symptomatisch für ein kaputtes demokratisches System in Serbien. Und sie wollen so lange streiken, bis sich das System verändert. "Wir wollen, dass die Institutionen in Serbien ihre Arbeit machen", sagt Ana.

Teodora fordert Medien, die journalistisch arbeiten und nicht nur Vucic hofieren. Außerdem will sie politische Bildung an den Schulen. Und: Aufklärung darüber, wie es zur Tragödie in Novi Sad kam. Es reiche nicht, dass das serbische Regierungskabinett samt Premierminister zurückgetreten ist. "Bei ihren Rücktritten haben sie gesagt, wir tragen keine Verantwortung. Dabei haben sie sich zuvor noch für die Renovierung des Bahnhofs selbst gefeiert", sagt Teodora.

Die zurückgetretenen Minister werden von vielen Serben als Schachfiguren und Bauernopfer gesehen. Denn seit gut zehn Jahren ist die Macht in Serbien in der Hand von Präsident Vucic. Ihm wird vorgeworfen, den Staat gekapert und ein auf sich selbst zugeschnittenes korruptes Machtsystem aufgebaut zu haben. Laut der Menschenrechtsorganisation Freedom House ist Serbien nur zu 57 Prozent ein demokratischer Staat.

Vucic bringt seine Anhänger auf die Straße

Noch hält Vucic der Protestwelle stand und scheint weiterhin fest im Sattel zu sitzen. Am Tag der Großdemonstration hat er selbst Zehntausende Menschen versammelt, zu einer Gegendemonstration in Sremska Mitrovica, in der Provinz Vojvodina. Seine Demonstration ist allerdings deutlich kleiner als der Studentenprotest.

Kritische Journalisten dokumentieren, dass viele Pro-Vucic-Demonstranten Staatsbedienstete sind, die Geld bekommen haben oder auf die Druck ausgeübt wurde. Außerdem seien unter den Besuchern viele Serben aus Bosnien-Herzegowina gewesen, die mit Bussen herbeigefahren wurden.

Vucic steht auf einer großen Bühne und ruft den jubelnden Zuschauern zu: "Ihr müsst Serbien beschützen, damit diese Sklaven keine Farbrevolution durchführen!" Dann versucht Vucic seinen Anhängern offenbar einzureden, dass es Bemühungen um die Abspaltung der Vojvodina gebe und ruft ihnen zu: "Die Vojvodina ist Serbien!" Die Vojvodina ist die Provinz, in der auch Novi Sad mit dem eingestürzten Bahnhofsvordach liegt.

Für die Belgrader Studentinnen Teodora und Ana ist das ein durchsichtiges Manöver, um von den eigentlichen Problemen abzulenken. "Natürlich will niemand die Vojvodina abspalten. Sie denken sich einfach irgendetwas Schlechtes aus, weil sie keine Argumente gegen uns haben, weil wir nicht aggressiv sind, sondern absolut friedlich", sagt Teodora.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 10. Februar 2025 um 14:20 Uhr.