Nach Gräueltaten in Butscha "Sie werden alles zerstören"
Nach den Gräueltaten in der ukrainischen Stadt Butscha werden die Leichen gezählt und geborgen. Die Menschen in der Ukraine bereiten sich auf neue russische Angriffe vor.
Gräber statt Blumenbeete. Ein Holzkreuz an einem frischen Erdhügel - vor einem mehrstöckigen Wohnhaus in Irpin, so zeigen es die Bilder heute. Irpin ist einer der Vororte im Nordwesten von Kiew, wo das Grauen des Krieges erschütternde Spuren hinterlassen hat. Dort wohnten viele Hauptstädter, die dem Kiewer Trubel entfliehen wollten. Nun liegen einige von ihnen womöglich in den eigenen Vorgärten begraben.
280 Menschen in Massengräbern
In einem anderen Satellitenstädtchen von Kiew - in Butscha - mussten laut dessen Bürgermeister 280 Menschen in Massengräbern beigesetzt werden. Während der Belagerung gab es offenbar keinen Zugang zu den Friedhöfen. Jetzt hieven Männer in Butscha schwarze Leichensäcke in einen weißen Transporter.
Serhij, ein Mitarbeiter des örtlichen Bestattungsdienstes, schilderte die Situation gegenüber dem ukrainischen öffentlich-rechtlichen Sender Suspilne: "Insgesamt waren es in den vergangenen Tagen circa 340 Körper. Aber das ist sicher nicht alles. Wir kommen dem einfach nicht hinterher. Für morgen haben wir schon mindestens 20 Adressen. Viele Menschen wurden aber in den Höfen, in Gemüsegärten beerdigt, eine Gesamtzahl können wir bisher nicht herausfinden."
Russland dementiert
Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben nicht. Es könnte noch Monate dauern, um zu ermitteln, wie viele in der Region Kiew getötet wurden, erklärte die stellvertretende Verteidigungsministerin der Ukraine, Hanna Maljar. In den Kiewer Vororten muss das Militär erst Minen und Geschosse entschärfen, mit denen die Gegend übersät ist.
Russland erwidert die bekannt gewordenen Gräueltaten mit vehementen Dementis. Das Verteidigungsministerium bezeichnete die Berichte als Provokation, das Außenministerium warf dem offiziellen Kiew vor, es möchte damit die Friedensverhandlungen vereiteln. Das russische Ermittlungskomitee hat angekündigt, alle daran Beteiligten entlarven zu wollen.
Hinrichtungen, Folter und Vergewaltigungen
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij hat eine besondere juristische Aufarbeitung von Butscha angekündigt. Ermittlungen unter Beteiligung internationaler Partner. Polen hat eine internationale Kommission vorgeschlagen. Morgen wird sich der UN-Sicherheitsrat mit den Geschehnissen in Butscha beschäftigen.
Die ukrainische Regierung spricht von Hinrichtungen, Folter und Vergewaltigungen auf den besetzten Territorien. Viele Zivilisten werden laut der Vize-Premierministerin Irina Wereschtschuk auch entführt: "Das ist ein Riesenproblem. Die Russen bestätigen das nicht. Sie wollen nicht zugeben, dass sie Geistliche entführt haben, Lehrer, Journalisten, Bürgermeister und Abgeordnete." Nur einige wenige der als entführt geltenden Zivilisten wurden bisher freigelassen.
Sie rechnen mit neuen Angriffen
Militärisch ist das Ende russischer Angriffe wohl nicht in Sicht. Oleksij Danilow, der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates: "Sie haben nicht vor, aufzuhören. Sie stellen sich neu auf und versuchen, unsere Streitkräfte in Bedrängnis zu bringen. Und wir rechnen damit, dass in nächster Zeit erbitterte Kämpfe um unsere Territorien stattfinden."
Drei Richtungen prognostiziert das ukrainische Militär als künftige Angriffsschwerpunkte: Die Region Charkiw im Nordosten, seit Kriegsausbruch ohnehin heftig umkämpft. Und die Gebiete Donezk und Luhansk, der Donbass also, wo inzwischen ganze Siedlungen dem Erdboden gleichgemacht wurden.
Zivilisten zur Flucht aufgerufen
750.000 Menschen allein im Gebiet Donezk sollen ihre Häuser verlassen. Auch im Gebiet Luhansk werden die Zivilisten zur Flucht aufgerufen. Der Leiter der dortigen Regionalverwaltung Serhij Gajdaj: "Es wird eine riesige Menge Truppen und Technik angehäuft, sie bereiten sich auf einen großen Durchbruch vor. Ich fordere die Bewohner der Region Luhansk ständig dazu auf, dass sie sich in Sicherheit bringen. Denn der Feind macht nicht halt, sie werden nicht - wie sie es beteuern - militärische Ziele angreifen. Sie werden alles zerstören, was ihnen im Wege steht."
Am Tag 40 des Krieges wird deutlich, wie grausam er auch die Zivilbevölkerung auslöscht. Die russischen Truppen ziehen sich aus dem Norden des Landes weiter zurück. Was bleibt, sind Orte in Trümmern, schiere Unmengen Militärschrott und Tote, die die Ukraine noch zählen muss - während sie sich auf neue russische Offensiven vorbereitet.