Angaben der ukrainischen Regierung Russland soll Staudamm bei Cherson gesprengt haben
Die Ukraine beschuldigt Russland, einen Staudamm am Dnipro in der Nähe von Cherson zerstört zu haben. Russland macht dagegen die Ukraine verantwortlich für den Vorfall. Eine Stadt direkt am Damm wurde überflutet.
Russland soll in der Region Cherson in der Südukraine einen wichtigen Staudamm am Dnipro gesprengt haben. Das meldet die ukrainische Regierung und warnt vor Überschwemmungen. Bis zu 80 Ortschaften flussabwärts seien bedroht, teilte Ministerpräsident Denys Schmyhal mit. Nach Angaben der örtlichen Behörden leben etwa 16.000 Menschen in der "kritischen Zone". Das zum Staudamm gehörende Wasserkraftwerk wurde den Angaben zufolge komplett zerstört.
Die von Russland besetzte Stadt Nowa Kachowka unmittelbar am Staudamm soll unter Wasser stehen. Das berichtete der von Russland eingesetzte Verwaltungschef der Stadt, Wladimir Leontew, laut russischer Nachrichtenagentur Tass. Etwa 600 Häuser seien überflutet, berichteten Rettungsdienste. Ein Teil der Stadt sei aus Sicherheitsgründen von der Stromversorgung abgeschnitten worden.
Auf Twitter veröffentlichte das Onlinemedium "The Kyiv Independent" Bilder des zerstörten Dammes und von heftigen Fluten.
Der zerstörte Staudamm liegt etwa 80 Kilometer nordöstlich von Cherson. Schraffiert dargestellt sind von Russland besetzte Gebiete.
Ukraine: "Weiterer Terrorakt Russlands"
Der Chef der regionalen ukrainischen Militärverwaltung in Cherson, Oleksandr Prokudin, sagte in einem auf Telegram veröffentlichten Video, Russland habe einen weiteren Terrorakt begangen. Er warnte, dass der Wasserstand des Dnipro in den nächsten Stunden ein kritisches Level erreichen könnte. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj berief eine Krisensitzung des Nationalen Sicherheitsrats ein, meldete der Sekretär des Rats, Olexij Danilow, auf Twitter.
Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak vermutet einen militärischen Hintergrund der Sprengung des Staudammes. Russland habe offensichtlich das Ziel, unüberwindbare Hindernisse für die geplante ukrainische Großoffensive zu schaffen, schrieb Podoljak auf Twitter. Dies sei der Versuch, das Ende des Krieges hinauszuzögern.
Russland dementiert eigene Verantwortung
Die russische Seite bestätigte die Zerstörung des Dammes, machte aber ukrainischen Beschuss für die Schäden am Kachowka-Staudamm verantwortlich. Durch eine Explosion sei ein Loch in den Damm gerissen worden. Grund dafür seien mehrere ukrainische Angriffe, teilte der von Russland eingesetzte Verwaltungschef Leontew im russischen Staatsfernsehen mit. Der Verwaltungschef des Oblast Cherson, Wladimir Saldo, sagte in einem auf Telegram verbreiteten Video, die Ukraine wolle mit der Aktion vom Scheitern ihrer Gegenoffensive im Osten ablenken. Die Angaben beider Seiten konnten zunächst nicht unabhängig überprüft werden.
Mögliche Auswirkungen auch für AKW Saporischschja
Auch für den Betrieb des Atomkraftwerks Saporischschja weiter flussaufwärts könnte die Zerstörung des Staudammes nach Angaben der ukrainischen Atomenergiebehörde Folgen haben. Die Lage dort sei aber bislang unter Kontrolle, teilte die Behörde mit. "Wasser aus dem Kachowka-Stausee ist notwendig, damit die Anlage Strom für die Turbinenkondensatoren und Sicherheitssysteme des Kernkraftwerks erhält", erklärt Energoatom. "Derzeit ist das Kühlbecken der Anlage voll: Um 8 Uhr beträgt der Wasserstand 16,6 Meter, was für den Bedarf der Anlage ausreicht." Auch die Internationale Atomenenergieagentur IAEA beobachtet die Lage, sieht aber derzeit ebenfalls keine unmittelbare Gefahr.
Widersprüchliche Angaben zu Wasserversorgung der Krim
Inwieweit sich die Zerstörung des Staudammes auf die Wasserversorgung der von Russland annektierten Halbinsel Krim auswirkt, ist unklar. Während der Verwaltungschef Leontew mögliche Probleme einräumt, meldet die staatliche Agentur Tass, dass der Nord-Krim-Kanal nicht auszutrocknen drohe. Der Kanal, der die Krim mit Wasser versorgt, wird aus dem Kachowka-Stausee gespeist und verläuft durch den Süden der Oblast Cherson, die der Halbinsel gegenüber liegt.
Bereits im Oktober vergangenen Jahres hatte Präsident Selenskyj Russland vorgeworfen, den Staudamm vermint zu haben und vor einer Sprengung des Dammes gewarnt: "Wenn sie das tun, gibt es eine Katastrophe", so Selenskyj damals.
Nach seinem Angriff auf die Ukraine hatte Russland auch das Gebiet Cherson besetzt. Im vergangenen Herbst gelang der ukrainischen Armee dann die Befreiung eines Teils der Region - darunter auch die der gleichnamigen Gebietshauptstadt Cherson. Städte südlich des Dnipro blieben allerdings unter russischer Kontrolle, darunter auch die Staudamm-Stadt Nowa Kachowka.
Quelle: Reuters