INF-Vertrag vor dem Aus Weniger Sicherheit für Europa
Läuft der INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketen aus, wäre Europa der Leidtragende. Heute tagt der NATO-Russland-Rat zum Abkommen. Doch Experten sehen geringe Chancen auf Einigung.
Viel Zeit bleibt nicht mehr. Genauer gesagt noch acht Tage. Denn am 2.Februar läuft das 60-Tage-Ultimatum aus, dass die USA Russland in Sachen INF-Vertrag gesetzt hatten. Innerhalb dieser Frist sollte Moskau die Zerstörung jener Marschflugkörper zusagen, die aus Sicht der USA gegen das Abkommen verstoßen. Ansonsten will US-Präsident Donald Trump es kündigen.
Die Chancen, den INF-Vertrag noch zu retten, sind aus Sicht von Claudia Major, Expertin von der Stiftung Wissenschaft und Politik, nicht besonders hoch: "Alle Zeichen, die wir momentan kriegen, sprechen dagegen", sagt sie. "Die aktuellen Debatten zeugen davon, dass die Fronten eher verhärtet sind und dass eine Einigung, um den INF-Vertrag in der jetzigen Form zu halten, sehr unwahrscheinlich ist."
"Paradebeispiel erfolgreicher Rüstungskontrolle"
Damit steht ein gerade für die Europäer so wichtiges Abrüstungsabkommen vor dem Aus. "Der INF-Vertrag gilt als Paradebeispiel erfolgreicher Rüstungskontrolle, weil es damals gelungen ist, eine gesamte Waffengattung komplett abzuschaffen - und das war zu der Zeit damals ein enormer Fortschritt", erklärt Major.
1987 wurde der Vertrag zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion geschlossen. Er verbietet den Bau und die Stationierung landgestützter nuklearer Mittelstreckenwaffen mit einer Reichweite von 500 bis 5000 Kilometern.
Schon die US-Vorgängerregierung unter Barack Obama beschuldigte Moskau, den Vertrag mit seinem Raketensystem - NATO-Code SSC-8 - zu verletzen. Derselbe Vorwurf war vor wenigen Wochen erstmals auch geschlossen von der NATO zu hören. Deren Generalsekretär Jens Stoltenberg machte mehrfach klar:
Kein Waffenkontroll-Abkommen ist wirksam, wenn es nur von einer Seite respektiert wird.
Russland hat vor einigen Tagen die neue Mittelstreckenrakete 9M729 vorgestellt. Sie habe eine Reichweite von 480 Kilometer, sagte der Generalleutnant Matwejewski. Die USA bezweifelt, dass die neue Waffe dem INF-Vertrag entspricht, der bodengestützte Marschflugkörper ab 500 Kilometer Reichweite verbietet.
Maas ließ nichts unversucht, um das Abkommen zu retten
Russland allerdings bestreitet die Vorwürfe. Vielmehr beschuldigt Moskau die USA, mit einem Raketenabwehrsystem in Rumänien selbst gegen das Abkommen zu verstoßen und nur einen Vorwand zu suchen, um den Vertrag kündigen zu können.
Russland hatte auch das Angebot gemacht, die Waffen zu begutachten. Das aber wiesen die USA zurück, nur Ansehen reiche nicht aus. Und auch der deutsche Außenminister Heiko Maas sieht Russland weiter am Zug: "Sich lediglich eine Rakete anzuschauen wird nicht genügen. Sondern es muss dann offen gelegt werden, dass etwa die Reichweite der Rakete tatsächlich unter 500 Kilometern liegt."
Maas hatte zuletzt aber auch nichts unversucht gelassen, um das Abkommen irgendwie noch zu retten. Doch Bewegung gab es weder bei seinen Gesprächen in Moskau noch in Washington.
Sorge vor erneuter nuklearer Aufrüstung in der Welt
Maas Parteikollege, der Europaabgeordnete Knut Fleckenstein von der SPD, betonte zwar, Russland müsse sich an den Vertrag halten. Das amerikanische Ultimatum findet er aber falsch. Vielmehr müssten alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die Wahrheit herauszufinden: "Man muss dann eben auch sehen, inwieweit Russland bereit ist, die Daten, die man dazu braucht, sozusagen einsehen zu lassen", sagt er. Nicht zu verhandeln wäre der einfache Weg, der "zu einer weiteren Aufrüstung auch im atomaren Bereich führen könnte", warnt er.
Diese Sorge äußern auch viele andere. Mancher denkt schon an die Achtzigerjahre, als Hunderttausende in Deutschland auf die Straße gingen, um gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen zu protestieren.
"Generell ist es so, dass die Hauptleidtragenden die Europäer sind", sagt Major. "Denn die Reichweite solcher Marschflugkörper ist Europa. Ich sehe, wenn man sich die Folgen für Europa angeguckt, als generelle übergeordnete Folge: weniger Sicherheit und weniger Stabilität."
Sollten die USA das Abkommen in wenigen Tagen tatsächlich kündigen, blieben laut Vertragstext noch sechs Monate, bis der Ausstieg wirksam wird.