ARD-Reporterin in Myanmar "Zum Teil sind wir bedroht worden"
Es ist schwer, sich zurzeit ein Bild über die Lage in Myanmar zu machen. ARD-Korrespondentin Sandra Ratzow sagt im Interview mit tagesschau24, die Rohingya, aber auch Buddhisten, die mit ihnen Geschäfte machen, werden beschimpft und gedemütigt. Auch sie selbst sei bei ihren Recherchen bedroht worden.
tagesschau24: Es wird berichtet, dass die Armee die Rohingya vertreibt und dann deren Dörfer anzündet. Können Sie das bestätigen?
Sandra Ratzow: Für uns ist es schwierig, sich ein wirkliches Bild der Lage zu machen, denn in die eigentlichen Gebiete, dort wo gekämpft wird, kommt man gar nicht rein. Da kommen Journalisten und auch internationale Beobachter nicht hinein. Das heißt, man kann sich nur auf die Zeugenaussagen der Flüchtlinge verlassen, die über die Grenze nach Bangladesch fliehen, aber auch auf Angaben der Armee. Wir haben wiederum in Sittwe - der großen Stadt im Norden - auch Flüchtlinge getroffen. Buddhisten, die sich von Rohingya bedroht gefühlt haben. Das ist eine ganz schwierige Gemengelage, und es ist in der Tat schwierig, sich ein wirkliches Bild zu verschaffen.
Wir haben uns bei den Dreharbeiten oft beobachtet gefühlt. Zum Teil sind wir bedroht worden. Wir mussten eine Live-Schalte absagen, weil die Menschen auf uns zu kamen und uns den Vorwurf machten, wir - die internationalen Medien - seien dafür verantwortlich, dass die Weltöffentlichkeit ein völlig falsches Bild von der Lage in Myanmar habe. Schließlich seien es ja die Rohingya-Rebellen gewesen, die Überfälle gestartet hätten. Und die Armee habe mit ihren Strafaktionen nur darauf reagiert.
tagesschau24: Es heißt, die buddhistische Mehrheit in Myanmar hält die Aktion der Armee, diese Säuberungsaktionen, für völlig gerechtfertigt. Warum?
Ratzow: Es heißt hier, dass die Rohingya illegale Einwanderer seien, dass sie eigentlich nach Bangladesch gehörten und nicht nach Myanmar. Sie sind als Volksgruppe überhaupt nicht anerkannt. Selbst Buddhisten wird es schwer gemacht, mit den Rohingya einvernehmlich miteinander zu leben. Buddhisten, die versuchen, mit den Rohingya Geschäfte zu machen, ihnen Dinge zu verkaufen, werden beschimpft und bedroht. Manchmal werden ihnen auch Schilder umgehängt. Wir haben Bilder gesehen, auf denen wurde jemand durch sein Dorf getrieben. Auf dem Schild hieß es, "Ich bin ein Verräter" - nur weil er mit Rohingya Geschäfte gemacht hat. Die Situation hier ist sehr, sehr angespannt.
tagesschau24: Es steht ja gegen die Rohingya der Vorwurf des Terrorismus im Raum. Ist denn daran etwas dran?
Ratzow: Vor drei Wochen hat das Ganze seinen Anfang genommen mit Überfällen der Rohingya-Rebellen auf verschiedene Polizeistationen. Es gibt unterschiedliche Aussagen darüber, wie viele Kämpfer es sind. Manche sagen ein paar Hundert, manche sagen, es seien ein paar Tausend, deren Ziel es sei, dass die Rohingya als Bevölkerungsgruppe anerkannt werden, dass sie genauso Rechte bekommen wie alle anderen auch. Es heißt zum Teil auch, dass sie Gelder aus dem Ausland bekommen - aus Saudi-Arabien. Das ist nur sehr schwer nachzuvollziehen und nachzuprüfen. Aber der Terrorismusvorwurf steht definitiv im Raum.
tagesschau24: Jetzt appellieren die Vereinten Nationen an Myanmar, die Aktionen gegen die Rohingya zu stoppen. Hat sich denn die faktische Regierungschefin Suu Kyi mittlerweile dazu geäußert?
Ratzow: Sie schweigt. Sie hat in der vergangenen Woche nur gesagt, es gebe einen Eisberg an Fehlinformationen und es werde nicht immer nur die Wahrheit über diesen Konflikt berichtet. Aber viele sind enttäuscht darüber, dass sie als Friedensnobelpreisträgerin nicht stärker an das Militär appelliert und öffentlich dazu Stellung nimmt, was da an brutaler Gewalt offenbar vor sich geht. Aber man muss auch dazu sagen, dass sie sich in einer sehr schwierigen Position befindet. Das Militär hat hier nach wie vor eine große Macht. 25 Prozent der Parlamentssitze gehen an das Militär. Alle wichtigen Minister- und Sicherheitsposten sind in der Hand des Militärs. Wir haben auch gehört, dass sie zum Teil noch nicht einmal genau wusste oder weiß, was die Militärs im Nordwesten der Region überhaupt planen. Aber viele im Ausland sind sehr enttäuscht, dass sie sich nicht dazu äußert.