WTO zur Klimakonferenz "Welthandel kann beim Klimaschutz helfen"
Neben Staatsvertretern nehmen auch internationale Organisationen am Klimagipfel teil. Im Interview mit tagesschau24 spricht der stellvertretende Generaldirektor der WTO, Paugam, über die Chancen des Welthandels für das Klima.
Neben Staatsvertretern nehmen auch internationale Organisationen am Klimagipfel teil. Im Interview mit tagesschau24 spricht der stellvertretende Generaldirektor der WTO, Jean-Marie Paugam, über die Chancen des Welthandels für das Klima.
tagesschau24: Jahrezehntelang hat die globalisierte Wirtschaft Emissionen produziert und die Ressourcen der Erde ausgebeutet. Nun sagt die WTO, dass Handel Teil der Lösung aber nicht Teil des Problems sei. Das klingt ziemlich widersprüchlich, oder?
Jean-Marie Paugam: Natürlich trägt der Handel genauso zu den Emissionen bei wie jede andere Wirtschaftstätigkeit. Es besteht eine enge Korrelation zwischen dem Anteil des Handels am Weltbruttosozialprodukt, der zwischen 25 und 30 Prozent liegt, und dem Anteil des Handels an den Emissionen, der ebenfalls zwischen 25 und 30 Prozent beträgt. Insofern haben Sie recht. Wir müssen den Handel dekarbonisieren. Das hat vorwiegend mit Energie und Transport zu tun sowie mit dem Lebenszyklus der gehandelten Produkte. Der Handel ist auch Teil der Lösung. Erstens ist Handel ein Faktor für eine effiziente Wirtschaft. Je effizienter die Wirtschaft ist, desto weniger natürliche Ressourcen verbraucht sie unnötig. Zweitens kann der Handel den Kampf gegen den Klimawandel verstärken, indem er die Entwicklung grüner und sauberer Technologien fördert.
Der Jurist und Politologe arbeitet seit 2021 als stellvertretender Generaldirektor für die World Trade Organization (WTO) in Genf. Zuvor war er unter anderem Ständiger Vertreter Frankreichs bei der WTO.
tagesschau24: Nach Schätzungen der OECD ist aber der Welthandel für mehr als ein Viertel der globalen CO2-Emissionen verantwortlich.
Paugam: Ja, das stimmt. Der Warenhandel macht 25 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts aus, wie ich sagte, also auch 25 Prozent der Emissionen. Das meiste davon bezieht sich auf Transport, also See und Lufttransport. Der dekarbonisiert werden muss. Teilweise haben große Player, große Unternehmen angefangen, ihren Transport schon zur dekarbonisieren. Der Rest ist mit Energie verbunden und mit dem Lebenszyklus der Produkte. Da muss dekarbonisiert werden. Aber der Handel kann helfen, die besten Technologien zu verbreiten, die wiederum dazu beitragen können, den CO2-Fußabdruck und die Energiekosten der Industrie zu verringern.
tagesschau24: Dekarbonisierung ist also aus Ihrer Sicht das Stichwort. Wäre es nicht besser, einfach weniger zu fliegen?
Paugam: Der Handel muss dekarbonisiert werden. Darüber gibt es keine Streit. So rüsten zum Beispiel manche Reedereien ihre Schiffe mit Abgaswäschern aus, die das CO2 aus dem Rauchgas abfangen. Das muss geschehen. Es ist eine riesige Investition. Andererseits gibt es klimaschädliches Verhalten, das durch die WTO geändert werden kann. Zum Beispiel wollen einige unserer Mitglieder über Reformen für Subventionen fossiler Brennstoffe sprechen. Und es stimmt, dass Subventionen für fossile Brennstoffe Emissionen treiben. Das Gleiche gilt beim Plastik. Plastik ist mit hohen Emissionen verbunden. Eine Reduzierung des Plastik-Fußabdrucks oder des Plastikgewichts im Handel wäre ein Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel.
tagesschau24: Einige Aktivisten fordern ja eine Null-Wachstumsstrategie. Wenn das Wirtschaftswachstum uns an einen Punkt gebracht hat, an dem die Auswirkungen des Klimawandels das Leben von Millionen zerstört, haben Sie damit nicht einen Punkt?
Paugam: Es gibt immer eine Verbindung zwischen dem wirtschaftlichen Entwicklungsstand und der Höhe der Umweltausgaben. Beim Nullwachstum würde man alles auf dem heutigen Stand einfrieren. Ich glaube nicht, dass das der wirtschaftlichen Entwicklung, menschlichen Entwicklung und Umweltentwicklung helfen würde. Eine Win-Win-Strategie ist die nachhaltige Entwicklung, die wir erarbeiten müssen, um den Handel nachhaltig zu machen.
tagesschau24: Die WTO setzt sich traditionell für niedrige Handelsschranken ein. Schließt das höhere Umweltstandards aus?
Paugam: Wir brauchen in der Tat höhere Umweltstandards. Wir müssen erreichen, dass diese Umweltstandards nicht das Weltwirtschaftssystem unnötig zerstückeln. Nehmen wir zum Beispiel Stahl. Allein in der Stahlbranche, einer wichtigen Branche mit sieben bis acht Prozent der globalen Emissionen, gibt es 20 Standards für die Dekarbonisierung. Wenn wir das auf ein, zwei, drei, vielleicht fünf Standards reduzieren könnten, gäbe es eine Win Win Situation, in der man Stahl leichter handeln könnte und es so eine größere Auswirkung auf die Dekarbonisierung hätte.
tagesschau24: Brauchen wir eine globale CO2-Steuer? Und werden wir eine bekommen?
Paugam: Das wäre ideal. Ich würde nicht globale CO2-Steuer sagen, sondern CO2-Preis. Egal was man wählt. Die Höhe hängt von der Branche ab und auch vom Entwicklungsstand. Denn die Idee ist, dass man CO2 teurer macht. Das geht durch Steuern, Emissionszertifikate, oder Vorschriften. Und das ist eines unserer Probleme in Weltwirtschaft und Handelssystem. Alle Mitglieder haben das gleiche Ziel vor Augen, nämlich CO2 teurer zu machen. Sie sind sich aber nicht über die Mittel einig. Wir müssen also sicherstellen, dass die Mittel miteinander kompatibel sind.
tagesschau24: Aber am Ende geht es ums Geld, oder?
Paugam: Das hat viel mit Geld zu tun, in dem Sinne, dass man einen Anreiz braucht, sein Verhalten zu ändern. Das gilt für alle Branchen, egal ob Landwirtschaft oder Industrie. Sie sprachen von Geld, und das hat auch mit Geld verdienen zu tun. Smarte Unternehmen gehen schnelle Schritte hin zur Dekarbonisierung und werden mit dem neuen, nachhaltigen Modell Geld verdienen. Es ist also gleichzeitig eine Bedrohung und eine Chance.
tagesschau24: Ihre Chefin, die WTO Generaldirektorin Okonjo-Iweala ist davon überzeugt, dass Wachstum gleichzeitig nachhaltig und fair sein kann. Aber wenn die Entwicklungsländer ihren Lebensstandard anheben, ihre Bevölkerung mit Strom versorgen, Waren für den Handel produzieren wollen - wie sollen wir sie denn davon überzeugen, keine billigen fossilen Brennstoffe für den Antrieb ihrer Wirtschaft zu verwenden?
Paugam: Erstens gibt es ein Prinzip, das in der WTO wie auch bei den Vereinten Nationen anerkannt ist. Die gemeinsame aber differenzierte Verantwortung. Es stimmt, dass Entwicklungsländer den Platz und die Zeit haben müssen, um zum nachhaltigen Modell zu gelangen. Weitgehend werden sie auch erstens selbst davon profitieren, weil sie die ersten sind, die vom Klimawandel getroffen sind. Zum Beispiel verlieren die am wenigsten entwickelten Länder jährlich fünf Prozent ihrer Exportmöglichkeiten wegen des Klimawandels. Sie haben das in Pakistan gesehen, das vom Netto-Nahrungsmittel-Exporteur in wenigen Wochen zum Netto-Importeur wurde. Die Entwicklungsländer haben also ein Interesse daran und sie haben auch die Notwendigkeit, weil sich der Markt in eine bestimmte Richtung bewegt. Die Präferenzen der großen Märkte werden sich hin zum nachhaltigen Modell wandeln, wenn man das so verkaufen will. Und das gilt nicht nur für staatliche Politik, sondern auch für privates Handeln. Wenn Sie also an einen großen Kaffeekäufer wie eine große amerikanische Kaffee-Kette verkaufen wollen, dann müssen sie nachweisen, dass sie CO2 neutral sind. Wenn Sie Textilien an eine große Kette verkaufen wollen, gilt das Gleiche. Es gibt also einen Anreiz und es gibt Marktchancen für Entwicklungsländer, denn naturbedingt haben die meisten von ihnen eine CO2-ärmere Produktion.
tagesschau24: Na ja, nach den Katastrophen, die wir allein dieses Jahr erlebt haben: Überschwemmungen in Pakistan, Waldbrände in Kalifornien, Dürren in Europa, die Menschenleben gekostet und schwere wirtschaftliche Schäden verursacht haben - wann wird es denn aus wirtschaftlicher Sicht zu teuer, die Emissionen nicht zu reduzieren?
Paugam: Das ist ein Schlüsselmoment, den wir definieren müssen. Es gibt keine Antwort in der Theorie, die ich Ihnen geben könnte, aber ich kann Ihnen ein Beispiel dafür nennen, was wir in der WTO getan haben. Wir hatten Verhandlungen über die Abschaffung von Subventionen für illegalen Fischfang. Wir haben 20 Jahre dafür gebraucht. Während der gesamten 20 Jahre wussten die Länder nicht, ob sie etwas gewinnen oder verlieren werden. Tatsächlich ging es nur um das gemeinsame Wohl, dem geholfen werden sollte. Keiner hat in diesen Verhandlungen etwas gewonnen, aber alle haben dadurch verloren, dass es kein Ergebnis gab. Im letzten Jahr kamen wir zum Erfolg und das ist der Beweis dafür, dass man Handelsgespräche vom puren Austausch von Handelskonzessionen hin zur Zusammenarbeit für das Gemeinwohl wandeln kann. Das müssen wir beim Klima ebenfalls tun.
tagesschau24: Glauben Sie, das wird dieses Jahr noch passieren?
Paugam: Ich habe immer Hoffnung, denn, ich habe das in der WTO gesehen, wo wir zum Beispiel nicht über Nachhaltigkeit gesprochen haben. Und jetzt tun wir es und haben den Willen zur Zusammenarbeit zwar nicht aller, aber der meisten unserer Mitglieder. Einige sind noch nicht überzeugt, aber mehr und mehr werden überzeugt. Ich habe Ihnen das Beispiel genannt, wo wir 20 Jahre über die Fischerei verhandelt haben. Das ist ermutigend. Und die Klimakonferenz kann genauso viel erreichen wie wir in der WTO.
Das Interview führte Aline Abboud, tagesschau24. Für die schriftliche Fassung wurde das Interview leicht angepasst.