Hintergrund

IS-Kommandeur Al Schischani Einst Soldat, heute Dschihadist

Stand: 17.11.2014 19:15 Uhr

Omar al Schischani ist nicht nur einer der bekanntesten Kommandeure des IS. Er spielt auch eine Rolle bei der Rekrutierung deutscher Kämpfer. Sein wahrer Name erzählt etwas darüber, wie er vom Soldaten zum Dschihadisten wurde.

Von Silvia Stöber, tagesschau.de

Unter den Kämpfern der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) zählt sein Gesicht zu den bekanntesten: Omar al Schischani fällt auf Fotos und Videos durch seinen zotteligen roten Bart auf. Und der 28-Jährige zählt inzwischen zum Führungszirkel des IS. Die USA setzten ihn deshalb im September auf die Liste der internationalen Terroristen.

Omar al Schischani bedeutet Omar, der Tschetschene. Doch Tarchan Batiraschwili, so sein richtiger Name, stammt nicht aus Tschetschenien im russischen Nordkaukasus. Er wuchs in der benachbarten Südkaukasusrepublik Georgien auf. Aber seine Verbindung zu den Tschetschenen und ihrem Schicksal ist eng. Denn sein Heimatdorf liegt im Pankisi-Tal. Es grenzt nicht nur an Tschetschenien. Dort lebt auch die mit den Tschetschenen verwandte Ethnie, die Kisten.

Die georgische Armee bildete ihn aus ...

Seine militärische Ausbildung erhielt Batiraschwili in der georgischen Armee, in der er von 2007 bis 2010 diente. Das bestätigt Irakli Alasania, der von 2012 bis vor wenigen Tagen Verteidigungsminister Georgiens war. 2010 wurde Batiraschwili wegen Tuberkulose aus der Armee entlassen. Er blieb ohne Arbeit. Wenige Monate später wurde er wegen illegalen Waffenbesitzes zu einer Haftstrafe verurteilt. Im Gefängnis radikalisierte er sich und ging nach seiner Freilassung 2012 nach Syrien.

... nun befehligt er auch Deutsche in Syrien

Batiraschwilis Werdegang zeigt, welche Lebensumstände junge Männer motivieren können, in den Dschihad zu gehen und welche Folgen dies auch in Staaten wie Deutschland haben kann. Berichte über seine Kampferfolge im Internet machen ihn zum Vorbild für junge Männer weltweit. Bevor er seinen Treueeid auf den IS schwor, befehligte er eine Gruppe von Kämpfern aus dem Kaukasus. Diese Gruppe zog Europäer an, darunter auch Deutsche - schreibt der Islamwissenschaftler Guido Steinberg in seinem kürzlich erschienen Buch "Al-Qaidas deutsche Kämpfer. Die Globalisierung des islamistischen Terrors".

Tschetschenienkrieg als Ausgangspunkt

Andere deutsche Dschihadisten wurden Steinberg zufolge ebenfalls von tschetschenischen Gruppierungen trainiert, bevor sie sich der Terrormiliz IS anschlossen. Zu ihnen zählt auch der inzwischen zu Berühmtheit gelangte Ex-Rapper Deso Dogg, alias Denis Cuspert. Er wurde laut Steinberg offenbar bei den "Soldaten Syriens" ausgebildet. Anführer dieser Gruppe war Muslim Abu Walid alias Muslim Margoschwili. Dieser stammt wie Batiraschwili aus dem georgischen Pankisi-Tal, kämpfte im zweiten Tschetschenienkrieg und wird dafür unter Dschihadisten verehrt.

Steinberg legt dar, wie die beiden Kriege in Tschetschenien zwischen 1994 und 2009 einen besonderen Reiz auf dschihadistisch gesinnte Männer in Deutschland ausübten: Bereits die Mitglieder der Sauerland-Gruppe hätten auf der Seite der Tschetschenen gegen die russische Staatsmacht kämpfen wollen. Auch der 9/11-Attentäter Mohammed Atta sei von ihrem Kampf begeistert gewesen. Wer an den Tschetschenien-Kriegen teilgenommen hat, gilt bis heute als besonders kampferprobt und erfahren.

Traumatisierte Krieger

In Tschetschenien selbst konnten die Menschen ihre traumatischen Kriegserfahrungen kaum verarbeiten. Viele Männer fanden nicht mehr in den friedlichen Alltag zurück. Das liege nicht nur an der tschetschenischen Kultur, sondern auch an der autoritären Herrschaft von Präsident Ramsan Kadyrow, erklärt eine Kaukasus-Expertin. Kadyrows Macht hängt von der Unterstützung Moskaus ab: Die Geschichte lasse er öffentlich so auslegen, dass die Tschetschenen selbst Schuld an Vertreibung und Krieg mit den Russen trügen.

Viele Tschetschenen gingen in den vergangenen Jahren in die europäische Diaspora oder auch in die Türkei, von wo aus zahlreiche Männer in den Krieg nach Syrien aufbrachen. Kadyrow jedoch dementiert, dass Männer aus Tschetschenien in Syrien gegen die Führung um Präsident Baschar al Assad kämpfen. Denn zu Assads wenigen Verbündeten zählt der russische Präsident Wladimir Putin.

Kisten ausgegrenzt, diskriminiert und radikalisiert

Kadyrow behauptet vielmehr, dass sich Kämpfer wie Omar al Schischani alias Tarchan Batiraschwili nur als Tschetschenen ausgeben. Wenn sich wohl auch einige Kämpfer zu Unrecht mit dem Namen al Schischani - also "der Tschetschene" - schmücken, trifft dies auf Batiraschwili nur im strengen Sinne zu. Denn als Kiste war seine Heimat, das georgische Pankisi-Tal, stark von den Tschetschenienkriegen betroffen. Damals flüchteten mehr als 7000 Menschen aus Tschetschenien nach Georgien, unter ihnen auch radikale Kämpfer.

Auch wenn die Kämpfer 2002 aus dem Tal vertrieben wurden, bleibt Misstrauen. Die Kisten werden als Sicherheitsrisiko gesehen und entsprechend behandelt. Die Muslime sind wenig in das politische Leben integriert, ihre soziale Lage ist häufig noch schlechter als die der anderen Bevölkerung in Georgien. Zwar bemüht sich die Regierung in Tiflis seit 2002 stärker um die Versorgung der Armeeveteranen und um eine Verbesserung der berüchtigt schlechten Verhältnisse in den Gefängnissen. Aber wo junge Menschen keine Perspektive sehen, findet dschihadistisches Gedankengut fruchtbaren Boden, nicht nur in Georgien.