Interview

Interview zur Wahl in Polen "Tusk steht für einen neuen Stil"

Stand: 23.10.2007 00:24 Uhr

Was haben Deutschland und die EU von Polens neuem Regierungschef Tusk zu erwarten? Und warum haben die Wähler der alten Regierung so deutlich die rote Karte gezeigt? tagesschau.de hat darüber mit dem polnischen Journalisten Adam Krzeminski gesprochen.

Was haben Deutschland und die EU von Polens neuem Regierungschef Tusk zu erwarten? Und warum haben die Wähler der alten Regierung und den ultrarechten Parteien so deutlich die rote Karte gezeigt? tagesschau.de hat darüber mit dem polnischen Journalisten Adam Krzeminski gesprochen. Er erwartet von Tusk vor allem einen neuen Politik-Stil.

tagesschau.de: Haben die Polen Tusk gewählt, weil sie Tusk wollten oder weil sie Jaroslaw Kaczynski und seine nationalkonservative PiS nicht mehr wollten?

Adam Krzeminski: Beides. Auf der einen Seite war dies ein Negativ-Wahlkampf: Alle Oppositionsparteien kamen mit der Parole "Weg mit der PiS". Auf der anderen Seite gab es in der letzten Wahlkampfphase aber auch so etwas wie einen Kennedy-Effekt: Der junge, smarte, sympathische Politiker, der den verbissenen, grimmigen, ständig misstrauischen Regierungschef ersetzen will. Das hat gezogen. Tusk hat beide TV-Debatten eindeutig gewonnen. Man wollte einen anderen Stil in der Politik haben und man wollte den bisherigen Ministerpräsidenten abwählen.

Tusk hat bewiesen, dass er Klauen zeigen kann

tagesschau.de. Nun ist Tusk ja kein Unbekannter in der polnischen Politik. Bei der Präsidentenwahl vor zwei Jahren unterlag er Jaroslaw Kaczynskis Zwillingsbruder Lech. Hat sich Tusks Image seitdem gewandelt?

Krzeminski: Die Wahrnehmung hat sich wahrscheinlich geändert, weil man in ihm nicht nur den Sieger sah, sondern auch den Sieger sehen wollte. Viele junge Leute haben gesagt, wir lassen uns das Land nicht von den kauzigen Politikern aus einem vergangenen Jahrhundert bestimmen. Das ist so etwas wie eine Aufbruchstimmung und Tusk ist ihr Hoffnungsträger. Er galt bislang als ein - ich will nicht sagen schwacher - aber doch milder Politiker, der den Kaczynskis nicht Paroli bieten konnte. Aber in der letzten Zeit hat er bewiesen, dass er auch Klauen hat und seinen Gegenspielern zusetzen kann.

tagesschau.de: Hat bei der Wahl denn auch eine Rolle gespielt, dass das Image Polens im Ausland unter der Kaczynski-Regierung gelitten hat, oder waren eher innenpolitische Gründe ausschlaggebend?

Krzeminski: Die Innenpolitik war entscheidend, aber auch das Image Polens hat eine Rolle gespielt. Damit hat die Opposition ständig argumentiert - mit guten Gründen. Im Wahlkampf hat Tusk mehrmals betont, dass Polen in den vergangenen zwei Jahren das Image eines euroskeptischen, misstrauischen, grimmigen Landes bekommen hat, das dem Land nicht gebührt. Zumal zwei Millionen junge Polen, auch das war ein gutes Argument, nach liberalen Wirtschaftsformen suchen - allerdings im Ausland und nicht in Polen selbst. Das heißt man setzt hier auf diese Liberalität. Diese jungen Leute muss man jetzt nach Polen holen. Das war ein schlagendes Argument.

Zur Person
Adam Krzeminski, Jahrgang 1945, arbeitet als Journalist und Autor von Drehbüchern und Essays. Seit 1973 ist er Redakteur des polnischen Nachrichtenmagazins "Polityka". Krzeminski hat in Warschau und Leipzig Gemanistik studiert. Er gilt als Experte für das Verhältnis von Polen und Deutschland.

Dialog und Kooperation statt Konfrontation

tagesschau.de: Was haben Deutschland und die EU denn von der neuen Regierung zu erwarten? Einen völlig anderen Kurs?

Krzeminski: Vor allem vielleicht einen ganz anderen Stil. Im Wahlkampf interessant war die Akzentsetzung. In den beiden TV-Debatten hat sich Tusk als ein eindeutiger Pro-Europäer geoutet. Auch das Verhältnis zu den USA hat eine Rolle gespielt. Tusk war nicht anti-amerikanisch, aber er hat betont, dass Polen seine Verpflichtungen von 2003 längst erfüllt hat (Anm. d. Red.: Polen gehörte zu den Unterstützern des Irak-Kriegs und hat seitdem Soldaten im Irak stationiert). Man müsste mit den Amerikanern über eine Rückführung der polnischen Truppen aus dem Irak verhandeln und man müsste vor allem die Beziehung Polens innerhalb der EU verbessern - im Dialog und der Kooperation, nicht in der Konfrontation.

Natürlich hat Tusk auch seine guten Kontakte zu Angel Merkel hervorgehoben. Allerdings hat er diese Karte nicht allzu offensiv ausgespielt. Man merkte schon, dass ihm der Vorwurf, sein Großvater sei bei der deutschen Wehrmacht gewesen, nach wie vor zusetzt. (Anm. d. Red.: Entsprechende Meldungen waren vor der Präsidentenwahl vor zwei Jahren lanciert worden. Tatsächlich tauchte ein Wehrpass von Tusks Großvater auf, der vermutlich aber zum Dienst gezwungen worden war und schon bald desertierte und sich den polnischen Truppen im Ausland anschloss). Insofern war Tusk eher kleinlaut, wenn es um die Deutschlandpolitik ging. Er versuchte zu zeigen, dass Danzig eine Stadt ist, die eine deutsche und eine polnische Vergangenheit hat. Das war für Kaczynski eine Angriffsfläche. Allerdings zog dessen anti-deutsche Karte im Wahlkampf bei den Wählern nicht. Das haben auch die Kaczynskis gemerkt und diese Karte deshalb später nicht mehr gezogen.

Radikale Parteien Verirrung der 90er Jahre

tagesschau.de: Die beiden ultarechten ehemaligen Koalitionspartner, Leppers "Samoobrona" und die Liga Polnischer Familien, haben beide nur noch weniger als zwei Prozent der Stimmen bekommen. Wie ist es zu erklären, dass beide ehemaligen Regierungsparteien plötzlich so gar keine Rolle mehr spielen?

Krzeminski: Die beiden Parteien waren eine Verirrung der 90er Jahre. Sie waren völlig wirklichkeitsfremd und gehörten eher zur politischen Folkore als zu einer gestandenen Tendenz in der polnischen Politik. Diese konservativen Wähler sind bei der Partei der Kaczynskis besser aufgehoben als bei dem Rabauken Lepper oder der Liga Polnischer Familien, die sozusagen aus einem vergangenen Jahrhundert kommt. Jetzt hat Polen eine ziemlich klare Parteienstruktur mit vier Parteien bekommen: Eine national-konservative, eine liberal-konservative, eine Bauernpartei und eine linksliberale Partei. Insofern ist die Episode der Kaczynski-Regierung keine verlorene Zeit, weil Polen die beiden radikalen Parteien verloren hat und weil sich die Art, wie Kaczynski Politik betreibt, diskreditiert hat und abgelehnt wurde.

Kaczynski wird seinen Kurs korrigieren müssen

Der Zusammenprall von zwei verschiedenen Polen - ein konservatives Polen und ein modern-liberales - bleibt, aber der Stil wird anders sein. Ich hoffe, dass die National-Konservativen merken, dass sie sich modernisieren müssen und dass sie sich von ihren gestrigen Vorstellungen von Politik verabschieden müssen. Sonst werden sie in der Gunst der Wählen noch weiter abrutschen. Interessant werden jetzt die Verschiebungen in der national-konservativen PiS sein. Es ist kaum vorstellbar, dass Jaroslaw Kaczynski die Macht in der Partei verliert, aber es gab in der letzten Zeit viele prominente Überläufer zur Bürgerplattform. Es gibt eine Tendenz, dass die gebildeten, weltoffenen Menschen die Kaczynski-Partei verlassen. Kaczynski wird seinen Kurs korrigieren müssen. Ob er dazu fähig ist, ist eine andere Frage.

tagesschau.de: Sie haben gerade die Spaltung Polens angesprochen. In Deutschland hat man diese Spaltung auch als eine geographische wahrgenommen: Die Bevölkerung im Westen Polens ist liberal und europafreundlich, je weiter man nach Osten kommt, desto konservativer werden die Menschen. Stimmt dieses Bild noch?

Krzeminski: Das Bild ist richtig, allerdings verschiebt es sich etwas auf der Karte. Bei den Wahlen vor zwei Jahren konnten wir noch sehr genau die Grenzen von 1939 erkennen: In den Regionen, die früher die deutschen Ostgebiete waren, stimmten die Wähler mehrheitlich für Tusk - also gerade für denjenigen, dem man die deutschfreundlichen Positionen vorwarf. Der Osten war für Kaczynski. Jetzt ist die Hausmacht von Kaczynski deutlich kleiner geworden und beschränkt sich nur noch auf wenige Regionen im Osten.

Das Interview führte Holger Schwesinger, tagesschau.de