Interview

Interview zu den Folgen der Ölpest "Die Natur hilft sich selbst"

Stand: 20.07.2010 16:55 Uhr

Golfkrieg 1991: Die Iraker öffnen ihre Pipelines. Folge ist eine verheerende Ölpest im Persischen Golf - deren Auswirkungen auch heute noch zu beobachten sind. tagesschau.de sprach mit dem Geographen Barth darüber, was man aus dieser Katastrophe für die Folgen des Desasters im Golf von Mexiko lernen kann.

tagesschau.de: Wie schlimm waren die Folgen, als die Iraker 1991 ihre Pipelines öffneten?

Barth: Damals sind zwischen zwei und sechs Millionen Tonnen in den Persischen Golf geflossen. Das sind nur Schätzungen - aber das ist sehr viel mehr als jetzt im Golf von Mexiko. Die Strömung verbreitete das Öl damals über 700 km nach Süden, es gab ein lückenloses Ölband. 

Am Golf von Mexiko ist ein noch viel größeres Gebiet betroffen, weil das Öl weit draußen auf offener See austritt und von verschiedenen Strömungen erfasst wird. Dadurch kommt an verschiedenen Stellen in einer sehr großen Region immer wieder Öl an. Es gibt nicht diese lückenlose Verschmutzung, sondern eine eher punktuelle.

Zur Person
Der Geograph Hans-Jörg Barth arbeitet beim Energie- und Umweltzentrum Allgäu. Von 1993 bis vor Kurzem erforschte er am Persischen Golf die Langzeitauswirkungen der Ölkatastrophe im zweiten Golfkrieg. Darüber habilitierte er sich auch.

tagesschau.de: Sind die geographischen Verhältnisse von Persischem Golf und US-Südküste denn sonst vergleichbar?

Barth: Ja, durchaus: Das ist ein Warmwasserbereich und ein Flachküstenbereich, das heißt wir haben vor allem Ufer relativ wenig Brandungsenergie.

In einer Brandung passiert etwas: Da wird der Sand durchgewirbelt und mit Sauerstoff durchmischt. Das hilft, das Öl recht schnell abzubauen. Diese Energie fehlt hier. An diesen Niedrigenergie-Küsten haben wir Salzmarschen und Mangroven - das ist das eigentlich Problematische: Das Öl kann an solchen Küsten kaum abgebaut werden. Es verhärtet, diese Küstenabschnitte werden regelrecht geteert.

tagesschau.de: Was ist damals am Persischen Golf konkret geschehen - und was steht dem Mississippi-Delta folglich jetzt bevor?

Barth: Ganz akut ist es so, dass erst einmal sämtliche Bodenlebewesen vernichtet werden. Wenn sämtliche Muscheln, Krebse und andere Tiere abgestorben sind, können sich Cyanobakterien ungehindert vermehren.

Diese Blaualgen bilden Matten: Das sind recht ledrige, zwei bis drei Millimeter mächtige Lagen an Bakterien, die man mit bloßem Auge gut erkennen kann. Diese verschließen das Sediment mit einer luftdichten Schicht, so dass das Öl drunter nicht mehr abgebaut werden kann. Das haben wir am Persischen Golf beobachtet - und ich bin sicher, dass das so auch am Golf von Mexiko ablaufen wird.

tagesschau.de: Und die Pflanzen?

Barth: Die Mangroven haben zum Teil überlebt, sie konnten sich über Luftwurzeln versorgen. Die siedeln in spätestens zehn Jahren wieder an. Das halte ich für nicht so schlimm. Aber bei den niederen Pflanzen, da haben viele Salzmarschpflanzen zunächst überlebt, sind dann aber oft in den folgenden drei bis fünf Jahren kaputtgegangen. Wir wissen bis heute nicht genau, warum.

tagesschau.de: Sie haben die Lage am Persischen Golf über einen Zeitraum von fast 15 Jahren beobachtet: Wie hat sich die Lage im Lauf der Zeit entwickelt?

Barth: An felsigen Küstenabschnitten mit starker Brandung war das Öl nach drei Jahren verschwunden - und ein paar Jahre später hat sich auch die Natur erholt. An manchen Sandküsten haben wir aber auch nach zehn Jahren noch Öl gefunden. Teilweise baute sich das Öl aber auch zu weniger giftigen Produkten ab. Da bin ich zuversichtlich, dass auch das sich in den nächsten Jahren erledigt.

Und dann haben wir Salzmarschen, ganz ohne Brandung. Dort sind 20 bis 30 Prozent irreversibel zerstört. Ohne menschliches Zutun, also ohne, dass wir diese Cyanobakterien-Matten künstlich zerstören und aufgraben und neue Abflüsse legen, wird da gar nichts passieren. Auch die nächsten 100 Jahre nicht!

tagesschau.de: Das ist ein ziemlich differenziertes Bild ...

Barth: … ja, ganz richtig. Es gibt eine natürliche Erholung. Und wir haben festgestellt, dass das immer nach dem gleichen Muster abläuft: In den Prielen, also den Gräben und tieferen Rinnen im Feuchtgebiet, kommen als erstes Krabben und wühlen sich in das Sediment. Da treffen sie dann irgendwann auf Öl. Wegen dieses Hin und Hers - Krabben graben und wühlen Löcher -, dringt frisches, sauerstoffreiches Wasser ein. Und damit wird der Untergrund belebt und es kommen andere Tiere und schließlich Pflanzen.

Abgesehen von den Problemflächen in den Salzmarschen hat sich im Grund die Natur selbst geholfen. Es ist dort heute praktisch wieder genau so wie vor dem Öl.

Das Interview führte Werner Eckert, SWR, für tagesschau.de.