AfD-Politiker Fest Irreführende Aussagen über rechten Terror
Der AfD-Politiker Fest behauptet unter Berufung auf eine vertrauliche Analyse, die EU-Polizeibehörde sehe keine Gefahr durch rechten Terror. Tatsächlich warnt Europol ausdrücklich vor einer wachsenden Bedrohung.
Nicolaus Fest gibt sich locker: In seinem Video-Wochenrückblick vom 5. März plaudert der ehemalige stellvertretende Chefredakteur der "Bild am Sonntag" über seine Erlebnisse als AfD-Abgeordneter im Europaparlament. Wegen des Coronavirus seien Termine abgesagt worden, daher habe er Zeit gehabt, sich mit anderen Dingen zu befassen - beispielsweise mit einem Bericht von Europol zum Terrorismus in Europa.
Fest berichtet in seinem Video über angebliche Erkenntnisse von Europol.
Europol soll den Austausch von Informationen zwischen den EU-Staaten fördern und koordinieren. Dafür erstellt die Polizeibehörde Analysen und Berichte über organisierte Kriminalität oder politische Gewalt. Fest erklärt, in einem solchen Bericht von Europol seien brisante Informationen zu finden.
So behauptet der AfD-Politiker, Europol sehe den Linksterrorismus nach dem islamistischen Terror als "zweitgrößte Gefahr" in Europa. Dem Europol-Bericht zufolge gibt es hingegen keine Bedrohung von rechts, sagt Fest. Was als Rechtsterrorismus bezeichnet werde, seien "Anschläge verwirrter Leute, oftmals Waffennarren mit kruden Verschwörungstheorien". Bekennerschreiben seien Zeugnis schwerer mentaler Störungen, keine politischen Programme.
"Selbst die rassistischen Passagen entspringen in erster Linie einer generellen Wut auf die Welt und das Gefühl, überall zu kurz gekommen zu sein. Ein festes Feindbild sei damit aber nicht verbunden", referiert Fest aus dem Bericht. Als Beispiele für solche nicht politisch-motivierte Taten nennt er die Anschläge von Halle und Hanau.
Will die Regierung das Dokument verheimlichen?
Dies seien die zentralen Aussagen in dem Europol-Bericht, der als geheim eingestuft sei. "Warum der Bericht klassifiziert war?", fragt Fest in die Kamera und spekuliert, Deutschland wolle wohl die Veröffentlichung verhindern, da eine "große Kampagne von Regierung, Medien und Zivilgesellschaft gegen rechts, also vor allem gegen die AfD" laufe. Jeder Anschlag "wirrer Psychopathen" werde deswegen "in schamloser Weise politisch instrumentalisiert", sagt Fest und schließt daraus: "Da käme ein Bericht, der eine Gefahr durch Rechtsterroristen verneint, aber den Linksterrorismus klar benennt, natürlich schlecht."
Im Netz sorgte das Video für Aufsehen, allein auf Facebook teilten es mehr als 1000 Profile. AfD-Chef Jörg Meuthen übernahm die Behauptungen. In Kommentaren schreiben Nutzer, Kanzlerin Angela Merkel wolle die Informationen "schön unter den Teppich kehren", weil der Bericht "nicht im Sinne der Autokratin" sei. Ein anderer fragt: "Wie kommt man an den Terrorismusbericht von Europol ran, um ihn der verlogenen Staatspropaganda unter die Nase zu halten?"
AfD-Chef Meuthen übernahm die Behauptungen von Fest.
Europol warnt vor Rechtsterrorismus
Dem ARD-faktenfinder liegt unter anderem der jüngste vertrauliche Europol-Bericht vor. Dazu veröffentlicht Europol jährlich ausführliche Analysen. Aus diesen Dokumenten geht hervor, dass Europol auch vor linksradikaler Gewalt oder linksextremen Terror warnt. Dieser sei vor allem in Griechenland, Italien und Spanien zu beobachten, die Gefährdungslage aber weiterhin moderat. Zumeist treten dieses Phänomen im Kontext von großen Treffen auf, wie G20.
Zugang zu Waffen
Europol stellt außerdem fest, dass der islamistische Terrorismus weiterhin eine große Gefahr sei, betont aber ausdrücklich die zunehmende Bedrohung durch Rechtsterroristen, die sich im Verborgenen radikalisiert hätten. Die Zahl der Anschläge steige, Europol listet diverse Gruppen aus dem rechtsterroristischen Milieu auf und warnt, die Täter setzten verschiedene, darunter selbst gebaute, Waffen ein. Zudem gebe es Überschneidungen zur organisierten Kriminalität - und damit weiteren Zugang zu Waffen.
Zudem thematisiert Europol ein Problem bei der Erfassung von rechtsextremen Vorfällen: Zahlreiche Taten würden von den EU-Staaten nicht gemeldet, weil sie nicht als terroristische Straftaten oder terrorbezogene Zwischenfälle erkannt würden. Daher seien die Daten im Hinblick auf rechtsterroristische Zwischenfälle wohl nicht vollständig. Mit anderen Worten: Man geht offenkundig von mehr rechtsterroristischen Vorfällen aus, als derzeit erfasst würden.
Europol weist in seinem jüngsten Bericht außerdem darauf hin, dass rechte Organisationen und gebildete Führungsfiguren nicht offen Gewalt befürworteten, aber durch eine bestimmte Rhetorik versuchten, rechtsextreme Ideologie zu verbreiten. Die Polizeibehörde beschreibt also das, was zahlreiche Politiker der AfD vorwerfen: dass sie den Boden für Hass bereite. Eine Kritik, mit der auch Fest konfrontiert ist, schrieb er doch über Migranten: "Wir riefen Gastarbeiter, bekamen aber Gesindel."
"Das steht da irgendwo"
Fest beruft sich in seinem Video auf einen vertraulichen Bericht, für die Öffentlichkeit sind seine Behauptungen somit kaum zu prüfen. Hat man aber Zugang zu entsprechenden Analysen und fragt Fest am Telefon nach den zahlreichen Widersprüchen, zögert er zunächst einen Moment und sagt dann: "Das steht da irgendwo." Dann fragt er, ob man die Unterlagen denn habe, er habe sie jedenfalls nicht, sondern habe sie nur lesen können.
Wiederholt man dann, dass sich seine Behauptungen so nicht bei Europol finden, weicht Fest aus. Es habe auch eine Anhörung in einem Ausschuss des EU-Parlaments gegeben, da sei über psychische Störungen gesprochen worden. Vielleicht habe er etwas gehört und gelesen - und dies durcheinander gebracht. "Ich konnte mir auch keine Notizen machen", sagt er. Außerdem sei er nach dem Lesen des Berichtes zehn Tage in den USA gewesen - und habe erst dann das Video aufgenommen. Auf schriftliche Anfrage äußerte sich Fest nicht zu den Widersprüchen.
Verwunderung über Aussagen
In EU-Kreisen zeigte man sich verwundert über die Aussagen von Fest, da in vertraulichen und öffentlichen Berichten immer wieder die Gefahr des Rechtsterrorismus thematisiert wird. Bereits im September, noch vor den Anschlägen von Halle und Hanau, hatte Europol beispielsweise vor gewaltbereiten Rechtsextremisten gewarnt, die sich zunehmend bewaffneten und versuchten, unter anderem Soldaten für sich zu gewinnen.
Fakt ist also: Europol bestreitet keineswegs die Gefahr durch Rechtsterrorismus, so wie Fest es behauptet. Ganz im Gegenteil.