Wählerrechte Wie gerecht ist das US-Wahlsystem?
Schlangen vor Wahllokalen, Probleme mit Stimmzetteln - die Vorwahlen in den USA haben erneut Mängel offenbart. Millionen Stimmberechtigte können nicht wählen. Wie gerecht ist das Wahlsystem?
Stundenlanges Anstehen vor Wahllokalen, defekte Wahlmaschinen, Engpässe bei Stimmzetteln, zu spät eingetroffene Briefwahlunterlagen - bei den Vorwahlen im US-Bundesstaat Georgia Anfang Juni kam es zu zahlreichen Problemen und Unregelmäßigkeiten.
Bei den Vorwahlen in Atlanta im Bundesstaat Georgia warteten Wähler bis zu drei Stunden.
Von "Voter Supression" sprach die Demokratin Stacey Abrams - davon, dass bestimmte Bevölkerungsschichten an der Stimmabgabe gehindert werden oder ihnen erschwert wird, um das Wahlergebnis zu beeinflussen. Sie war 2018 in einer umstrittenen Gouverneurswahl knapp gegen den republikanischen Kandidaten Brian Kemp gescheitert. Seitdem engagiert sie sich als Wahlrechtsaktivistin.
Seit der Niederlage bei der Gouverneurswahl 2018 engagiert sich Abrams als Wahlrechtsaktivistin.
Abrams beschrieb in einer Debatte des "German Marshall Fund" wenige Tage nach der Wahl, wie seit Jahren insbesondere armen und jungen Wählern sowie Stimmberechtigten afro-amerikanischer, lateinamerikanischer und asiatisch-pazifischer Abstammung die Stimmabgabe gezielt erschwert werde. Dazu zählten zu wenige Wahllokale sowie die Rückweisung von Wahlzetteln und von Briefwahlstimmen.
Außerdem seien in den vergangenen Jahren Wählerregister von Tausenden Stimmberechtigten "gereinigt" worden, so Abrams. Einen Teil davon habe ihr vormaliger Wahlgegner und jetziger Gouverneur Kemp zu verantworten. Denn ihm oblag als Staatssekretär von Georgia die Aufsicht über die Organisation von Wahlen. Während des Wahlkampfes 2018 lehnte er es ab, seinen Posten aufzugeben. Kritiker warfen ihm deshalb nicht nur einen Interessenkonflikt, sondern auch Machtmissbrauch vor.
Gesetzwidriges Verhalten und Inkompetenz bei der Vorwahl am 9. Juni macht Abrams dafür verantwortlich, dass es dieses Mal auch in wohlhabenden, weißen und ländlichen Wahlkreisen Warteschlangen gab, so dass Gerichte längere Öffnungszeiten für Wahllokale genehmigen mussten. Ähnliches sei in South Carolina und Nevada vorgekommen. Dies zeige, so Abrams, dass das Beschneiden demokratischer Rechte für Teile der Bevölkerung am Ende alle Bürger treffen könne.
Sorgen um die Präsidentschaftswahl
Dennoch lag die Beteiligung höher als bei früheren Wahlen. Abrams erklärt es damit, dass sich die Bürger nicht in ihren Rechten beschneiden lassen wollten, wenn diese in Frage gestellt würden. Offenbar hatte die Thematisierung der Wahlunterdrückung mehr Menschen motiviert - trotz der Widrigkeiten bei der Stimmabgabe.
Sorgen vor Unregelmäßigkeiten und Konflikten gibt es mit Blick auf die Präsidentschaftswahl am 3. November. Die "New York Times" berichtete im Mai, Republikaner und Verbündete wollten bis zu 50.000 Freiwillige in 15 Schlüsselstaaten rekrutierten, die in Wahllokalen auf verdächtige Stimmzettel und Wähler hinweisen sollten. Die Demokraten sollten als "Wahlbetrüger" geschmäht werden, wie es US-Präsident Donald Trump seit seiner Wahl 2016 behauptet, ohne dass es Belege dafür gäbe. Millionen US-Dollar stünden bereit, um Klagen von Demokraten und Wahlrechtsaktivisten anzufechten, die sich gegen die Einschränkung des Wahlrechts richten.
Demokraten und deren Anhänger wiederum versuchen, möglichst viele Bürger auch aus benachteiligten Bevölkerungsgruppen zur Wahrnehmung ihres Stimmrechts zu motivieren.
Millionen können nicht wählen
Der Konflikt zwischen Demokraten und Republikanern existiert seit langem. Ungerechtigkeiten im Wahlsystem wurden über die Jahrzehnte verringert. Betroffen sind aber noch immer Millionen US-Bürger. So rechnete die OSZE-Wahlbeobachterorganisation ODIHR in einem Bericht zu den Zwischenwahlen 2018 vor, dass elf Millionen Wahlberechtigte ihr Stimmrecht nicht ausüben können. Dazu zählten etwa 6,1 Millionen Straffällige, von denen die Hälfte ihre Strafe bereits verbüßt habe. Ethnische Minderheiten seien überproportional betroffen.
Von den etwa 250 Millionen Wahlberechtigten sind nach Schätzungen 50 Millionen nicht registriert - In den USA müssen sich Wähler in Verzeichnissen eintragen lassen.
Zwar wurden in einigen Bundesstaaten die Anforderungen zum Nachweis der eigenen Identität vereinfacht, doch blieben die Bedingungen für Bürger mit niedrigem Einkommen, ethnische Minderheiten, Ureinwohner und Menschen mit Behinderungen schwierig, zum Beispiel weil sie kein Ausweisdokument mit Wohnadresse vorweisen können. Umstritten bleiben auch Erleichterungen für Wähler wie die Möglichkeit zur Briefwahl und zu einer früheren Stimmabgabe - auch dies mit dem Verweis auf möglichen Wahlbetrug.
Wahlkreiszuschnitt nach Parteiinteressen
Wer für den US-Kongress kandidieren will, steht vor unterschiedlichen Registrierungsbedingungen - in einigen Bundesstaaten müssen Kandidaten Unterschriften von Unterstützern in einer Anzahl vorlegen, die mehr als ein Prozent der Wähler beträgt. Dies widerspricht internationalen Regeln.
Seit Jahren gibt es auch Debatten um den Zuschnitt von Wahlkreisen zum Vorteil einer Partei - das "Gerrymandering". In der Konsequenz traten bei den Zwischenwahlen vor zwei Jahren 42 Kandidaten ohne Gegner an, weil diese chancenlos gewesen wären. Um dem ein Ende zu bereiten, legen inzwischen in einigen Bundesstaaten unabhängige Kommissionen den Zuschnitt der Wahlkreise fest.
Allerdings machte Ende Juni ein Berufungsgericht in Wisconsin die Aussage, dass eine Partei das Wahlrecht in ihrem Sinne auslegen darf, da andere Parteien ebenso vorgehen könnten. Berücksichtigt wurde nicht, dass die regierende Partei - in diesem Fall die Republikaner - durch Bestimmungen im Wahlrecht jene anderen Parteien daran hindern kann, in diese Position zu gelangen.
Wahlkampffinanzierung fast ohne Limits
Im Vorteil ist, wem Millionen für Wahlkampffinanzierung zur Verfügung stehen. Mit 5,2 Milliarden US-Dollar war der Wahlkampf für die Zwischenwahlen 2018 der bislang teuerste. 2016 gaben Kandidaten nach Angaben der US-Organisation "Open Secrets" im Schnitt 19,4 Millionen US-Dollar aus, was jene mit großzügigen Spendern im Rücken bevorzugt.
Dies wurde erleichtert mit einer Entscheidung des Obersten Gerichts zu einer Klage der konservativen Non-Profit-Organisation Citizen United: 2010 hob es das Limit für Unternehmensspenden auf. Damit seien unbegrenzte finanzielle Zuwendungen von jedermann und die Geheimhaltung von Finanzquellen möglich geworden, erklärte der Politologe Craig Holman von der NGO Public Citizen in Washington.
Allerdings zeigte das Scheitern des Unternehmers Michael Bloomberg beim diesjährigen Kandidatenrennen der Demokraten, dass für einen Wahlerfolg mehr als Geld nötig ist. Bürgerbewegungen wie "Black Lives Matter" ermutigen auch ohne Macht und Finanzen viele Menschen, sich für ihre Rechte zu engagieren. Ein entscheidender Faktor bei der Präsidentschaftswahl am 3. November wird die Wahlbeteiligung sein.