![Silhouetten von Windkraftanlagen. | picture alliance/dpa Silhouetten von Windkraftanlagen.](https://images.tagesschau.de/image/ef86a865-c25f-4d69-aba1-c4cf217cbb51/AAABlI3gPXQ/AAABkZLrr6A/original/windenergie-150.jpg)
Bundestagswahl Was ist dran an den Behauptungen über Windkraft?
Neben Migration gehört auch die Energieversorgung zu den größeren Wahlkampfthemen. Einige Politiker haben sich dabei vor allem auf die Windenergie eingeschossen. Doch viele Behauptungen darüber greifen zu kurz.
"Wir reißen alle Windkraftwerke nieder! Nieder mit diesen Windmühlen der Schande!", sagte AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel auf dem AfD-Bundesparteitag im sächsischen Riesa im Januar im Zusammenhang mit dem Reinhardswald in Hessen, wo 18 neue Windkraftwerke gebaut werden sollen - auf einer Fläche, die 0,07 Prozent der Gesamtfläche des Waldes entspricht.
Dass nicht nur die Windräder in Hessen Weidel und ihrer Partei ein Dorn im Auge sind, wird in vielen Statements und Positionspapieren deutlich. Und auch von anderen Politikern wie Friedrich Merz von der CDU kommen hin und wieder kritische Äußerungen zur Windenergie. Dabei zählt Windkraft in Deutschland zu den wichtigsten Stromquellen: Sie trug mit 136,4 Terawattstunden (TWh) beziehungsweise 33 Prozent am meisten zur öffentlichen Stromerzeugung bei im vergangenen Jahr, danach folgen Kohlekraftwerke.
"Wir möchten zunächst klarstellen, dass es wenig Sinn macht die Auswirkungen einer einzelnen Technologie zu bewerten, ohne die möglichen Alternativen einzubeziehen", sagt Jann Weinand, Leiter der Abteilung Integrierte Szenarien am Institute of Climate and Energy Systems am Forschungszentrum Jülich. Denn jedes Energiesystem habe sowohl Vor- als auch Nachteile. In einer großen Metastudie haben er und viele weitere Kollegen die Forschungslage zu den verschiedenen Aspekten der Windkraft analysiert.
Windenergie nur eine Übergangstechnologie?
Dass Windenergie nur eine Übergangstechnologie sei, behauptete CDU-Spitzenkandidat Friedrich Merz: "Wenn wir alles richtig machen, können wir die Windräder irgendwann wieder abbauen - sie sind hässlich und passen nicht in die Landschaft."
Aus Sicht von Experten ist das jedoch eine gewagte Aussage. "Windkraft gehört zu den zentralen Säulen vieler Energiestrategien weltweit, um CO2-Emissionen zu senken. Sie wird in den meisten Zukunftsszenarien nicht als reine 'Brückentechnologie' gesehen, sondern als dauerhafter, zentraler Bestandteil einer diversifizierten erneuerbaren Stromerzeugung", sagt Max Kleinebrahm, Forschungsgruppenleiter am Lehrstuhl für Energiewirtschaft des Karlsruher Instituts für Technologie.
Bei möglichen Zukunftstechnologien wie der Kernfusion ist es laut Martin Braun, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE, noch nicht abzusehen, ob und wann sie wirklich zur Verfügung stehen. "Auf jeden Fall ist es keine Lösung für die Probleme, die wir heute schon haben." Hinzu komme, dass bei Windkraftanlagen der Großteil der Stromgestehungskosten durch die Investitionen bereits getätigt wurde, die Betriebskosten selbst nur ungefähr 20 Prozent für die rechnerische Lebensdauer von 25 Jahren ausmache.
Rückbau aus mehreren Gründen nicht sinnvoll
Ein Rückbau von Windkraftanlagen, wie auch AfD-Politiker es forderten, ergebe daher nicht nur aus klimatechnischer Sicht, sondern auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht wenig Sinn, so Braun. Denn funktionierende Windkraftanlagen produzierten nicht nur emissionsarmen Strom, sondern auch günstigen.
Laut Braun schadet diese Diskussion daher dem Standort Deutschland, denn sie führe zu Unsicherheit bei möglichen Investoren, da die Planungssicherheit nicht gewährleistet sei. Dabei müssten noch viele Windkraftanlagen gebaut werden, um die Ziele des Windenergieflächenbedarfsgesetz zu erreichen. Denn bis 2032 sollen zwei Prozent der Fläche Deutschlands für Windenergie genutzt werden.
Keine Gefährdung durch Infraschall nachgewiesen
Ebenfalls thematisiert im Zusammenhang mit Windrädern werden die vermeintlichen Auswirkungen auf Tiere und Menschen. So heißt es im AfD-Wahlprogramm: "Windenergieanlagen stellen grundsätzlich eine Gefährdung für Pflanzen und Tiere sowie eine Beeinträchtigung der Gesundheit und der Lebensqualität der Menschen dar."
Mit Blick auf die Gesundheit von Menschen gibt es nach aktueller Studienlage keinen signifikanten Einfluss durch den Lärm von Windkraftanlagen, so Weinand. Es gibt jedoch vereinzelte Hinweise auf eine Korrelation zwischen lärmbedingter Belästigung und indirekten Effekten wie Schlafstörungen oder erhöhtem Stress und damit verbundenen gesundheitlichen Problemen. In Deutschland gibt es gesetzliche Grenzwerte für die maximale Lärmbelästigung durch Windparks, weshalb diese nur mit entsprechendem Abstand zu Wohngebieten gebaut werden dürfen.
Auch von Windrädern erzeugter Infraschall - tieffrequenter Schall, der für Menschen nicht hörbar ist - stellt nach aktueller Studienlage keine Gefahr für die menschliche Gesundheit dar, solange die Abstands- und Immissionsvorschriften eingehalten werden.
Beim Infraschall wird oftmals eine fehlerhafte Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) aus dem Jahr 2009 angeführt, bei der die Bestimmung der Schalldruckpegel durch den unhörbaren Infraschall deutlich zu hoch berechnet wurden. Der Fehler wurde erst 2021 entdeckt, der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier bat für den Rechenfehler um Entschuldigung.
Tiere von Windkraftanlagen betroffen
Im AfD-Wahlprogramm heißt es zudem, dass insbesondere der Tod von Vögeln, Fledermäusen und Insekten als Kollateralschaden der "linksgrünen Energietransformation" in Kauf genommen werde. Keine andere Energieform fordere einen solch hohen "Blutzoll in der Tierwelt" wie die Windkraftindustrie.
Gesicherte Zahlen, wie viele Tiere mit Windkraftanlagen kollidieren und dabei umkommen, gibt es für Deutschland nicht. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) schätzt, dass jährlich rund 100.000 Vögel dadurch sterben. Darüber hinaus kann sich die Lärmbelästigung durch den Betrieb von Windenergieanlagen unter anderem negativ auf Vögel, Fledermäuse und Meeressäuger auswirken und deren Nist-, Brut- und Bewegungsmuster stören, was zu einem Rückgang der Populationen und zu Vertreibungen führen kann.
"Es ist wichtig zu betonen, dass die Auswirkungen sehr standort- und artenspezifisch sind", sagt Weinand. Durch eine geeignete Standortwahl und den Einsatz von technischen Lösungen könnten die negativen Auswirkungen reduziert werden. Zum Schutz würden unter anderem abschaltbare Zeiten in der Dämmerung und Migrationsphasen sowie detektorbasiertes Abschalten für Fledermäuse eingesetzt.
"Wir haben hier einen Konflikt zwischen regionaler und globaler Sicht", sagt Braun. "Faktisch ist es so, dass diese regionalen Effekte im Vergleich zu den globalen Effekten des Klimawandels vernachlässigbar sind." Denn durch die Veränderungen von Lebensräumen, die durch den Klimawandel ausgelöst würden, seien deutlich mehr Tiere bedroht.
Wie effizient sind Windkraftanlagen?
Ein Kritikpunkt der AfD an der Windkraft ist die Effizienz. So kündigte Weidel an, jede Windkraftanlage hinsichtlich der Effizienz überprüfen zu wollen. Denn es gebe nicht immer starken Wind.
Aus Sicht von Experten müsse das Thema Effizienz differenziert betrachtet werden. "Zum einen gibt es die energetische Effizienz der Energiewandlung", sagt Braun. Dabei spricht man vom sogenannten Wirkungsgrad - dem Anteil der eingesetzten Primärenergie, der tatsächlich in Strom umgewandelt wird.
Eine Windenergieanlage kann etwa 45 bis 50 Prozent der im Wind enthaltenen Leistung in elektrische Energie umwandeln. Bei Photovoltaikanlagen liegt der Wirkungsgrad deutlich niedriger, zwischen 15 bis 22 Prozent. Der Wirkungsgrad bei fossilen Kraftwerken liegt am höchsten bei Gaskraftwerken (etwa 60 Prozent), bei Steinkohle sind es etwa 45 Prozent, bei Braunkohle etwa 40 Prozent und bei Atomenergie etwa 33 Prozent.
Wind kostenlos und unbegrenzt verfügbar
Während bei konventionellen Kraftwerken häufig der Wirkungsgrad im Vordergrund stehe, sei dies bei Windkraftanlagen weniger entscheidend, sagt Kleinebrahm. Denn der Wind sei kostenlos und unbegrenzt verfügbar. Bei Windkraftanlagen gilt daher unter anderem der Kapazitätsfaktor als Kriterium. Dieser gibt an, wie viele Stunden pro Jahr eine Anlage im Verhältnis zu ihrer möglichen Volllast arbeitet.
In Deutschland erreichen Onshore-Windkraftanlagen den Experten zufolge in der Regel 2.000 bis 2.500 Volllaststunden pro Jahr. Das entspricht einem Kapazitätsfaktor von etwa 20 bis 30 Prozent. Offshore-Anlagen erreichen bis zu 4.000 Volllaststunden, das entspricht einem Kapazitätsfaktor von bis zu 45 Prozent.
"Das liegt daran, dass der Wind bekannterweise unterschiedlich intensiv weht", sagt Braun. "Wenn es windstill ist, kommt nun mal nichts dabei raus. Diese Schwankung zeigt sich dann auch in den Erträgen." Zum Vergleich: Bei Photovoltaikanlagen liegt der Kapazitätsfaktor in Deutschland etwa bei zehn Prozent.
Stromgestehungskosten bei Windenergie am niedrigsten
Mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit und Effizienz sind jedoch vor allem die Stromgestehungskosten wichtig. Damit werden die Kosten für die Errichtung und den jährlichen Betrieb einer Anlage ins Verhältnis zur Stromerzeugungsmenge über die gesamte Lebensdauer der Anlage gesetzt.
Die Stromgestehungskosten von Onshore-Windenergieanlagen, die potenziell im Jahr 2024 errichtet werden, liegen in Deutschland laut Fraunhofer ISE zwischen vier und neun Cent pro Kilowattstunde (kWh), was sie zu einer der kostengünstigsten Technologien macht. Offshore-Windkraftanlagen sind etwas teurer, mit Kosten zwischen fünf und zehn Cent/kWh.
Zum Vergleich: Die Stromgestehungskosten von Photovoltaikanlagen liegen demnach bei vier bis 14 Cent/kWh, bei Gaskraftwerken elf bis 16 Cent/kWh, bei Kohlekraftwerken 14 bis 29 Cent/kWh und bei Kernkraftwerken bei 14 bis 49 Cent/kWh.
Nicht alle Kosten, die rund um die Stromproduktion anfallen, werden bei den Stromgestehungskosten berücksichtigt. So werden beispielsweise die Kosten, die mit der Deckung der Nachfrage und der Bereitstellung von nutzbarem Strom verbunden sind oder auch die Kosten für Endlagerung und Rückbau nicht einberechnet.
CO2-Preise als wichtiger Faktor
Ein wichtiger Faktor bei den fossilen Kraftwerken sind dabei die Kosten für CO2-Zertifikate, sagt Braun. Denn diese müssen als Ausgleich für die entstehenden CO2-Emissionen gekauft werden. "Wenn man sich die realen Schadenskosten von CO2 anschaut, dann liegen diese zahlreichen Studien zufolge deutlich über den aktuellen CO2-Preisen." Die Europäische Union hat bereits beschlossen, dass die CO2-Preise in den kommenden Jahren weiter ansteigen werden, unter anderem indem die Anzahl der zur Verfügung stehenden Emissionszertifikate schrittweise abgesenkt wird.
"Windkraftanlagen können trotz ihres vergleichsweise niedrigeren Kapazitätsfaktors sehr wirtschaftlich sein, insbesondere da sie keinen Brennstoff benötigen und die externen Kosten bei fossilen und nuklearen Kraftwerken oft erheblich sind", sagen Weinand und Kleinebrahm. Windkraftanlagen gehörten in Deutschland heute zu den günstigsten Stromerzeugungstechnologien, vor allem Onshore-Windkraftanlagen, die kostengünstiger seien als Kohle-, Gas- oder Kernkraftwerke.
Auch ohne Subventionen rentabel?
Weidel hat in ihrer Rede auf dem AfD-Parteitag auch anklingen lassen, dass Windenergie aus ihrer Sicht nicht wettbewerbsfähig sei. Sie wolle "echten Wettbewerb auf dem Energiemarkt" und nicht "so eine durchideologisierte Grütze von Menschen, die keine Ahnung haben".
Tatsächlich wurde und wird Windenergie in Deutschland wie alle erneuerbaren Energien gefördert, beispielsweise durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Allerdings gibt es bereits Windparks in Deutschland, die ohne EEG-Förderung auskommen. Dennoch halten Experten Subventionen gerade mit Blick auf Onshore-Windparks weiterhin für notwendig, damit wie geplant im Jahr 2030 rund 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien stammt.
"Auktionen beispielsweise in Deutschland und den Niederlanden haben gezeigt, dass Projekte ohne staatliche Förderung umgesetzt werden können", sagt Kleinebrahm. "Allerdings hängt das tatsächliche Maß an benötigten Subventionen von den zukünftigen Strompreisen ab." Zudem werde erwartet, dass die Kosten für Windkraftanlagen weiterhin sinken, was ihre Wirtschaftlichkeit weiter verbessern dürfte.
Mit einem ganzheitlichen Blick auf die Kosten der Energiewende stellte PwC in einer Studie 2024 fest, dass sich beschleunigte Investitionen in den Klimaschutz lohnen.