Bundestagswahl 2025
Bundestag wird kleiner Was sich mit dem neuen Wahlrecht ändert
Bei der Bundestagswahl gilt erstmals das neue Wahlrecht. Auf dem Stimmzettel ändert sich zwar nichts - aber der Bundestag wird kleiner. Wie funktioniert das, warum können Wahlkreisgewinner auch Verlierer sein? Ein Überblick.
Die Ausgangslage
Groß, größer, Bundestag: Die Sollgröße des Parlaments lag seit der Bundestagswahl 2002 bei 598 Abgeordneten. Doch von Wahl zu Wahl wurden es in den vergangenen Jahren immer mehr - zuletzt saßen 736 Abgeordnete im Bundestag.
Aus Kosten-, aber auch aus Platz- und vor allem Effizienzgründen war das stetige Wachstum ein zunehmendes Problem. Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP hatte sich eine Wahlrechtsreform vorgenommen und sie zumindest in großen Teilen gegen den Widerstand der Opposition auch umgesetzt. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte wichtige Teile der Reform, kippte aber die Ausgestaltung der Sperrklausel und schrieb bis zur geforderten Neuregelung eine Übergangsregelung vor. Bei dieser Bundestagswahl wird zum ersten Mal nach dem neuen Wahlrecht gewählt - einschließlich der von den Richtern vorgegebenen Übergangsregelung.
Wie wählt man jetzt?
So wie bisher auch. Auf dem Stimmzettel ändert sich nichts. Jeder Wählende hat weiterhin zwei Stimmen. Die Erststimme gibt man einem Direktkandidaten im Wahlkreis. Mit der Zweitstimme stimmt man für die Landesliste einer Partei. Diese Zweitstimme ist weiterhin für die Sitzverteilung im Bundestag ausschlaggebend. Die Zweitstimme entscheidet also darüber, wie stark eine Partei im Parlament vertreten ist. Dieses System der personalisierten Verhältniswahl kombiniert die Wahl von Direktkandidaten mit der proportionalen Sitzverteilung im Bundestag auf Basis der Anteile bei den Zweitstimmen.
Es ist auch bei der Bezeichnung Erst- und Zweitstimme geblieben. Ursprünglich wollten die Ampel-Fraktionen sie durch die Begriffe "Wahlkreisstimme" und "Hauptstimme" ersetzen. Sie sahen dann aber ein, dass eine solche Umbenennung für Verwirrung sorgen könnte.
Erst- und Zweitstimme sind bei der Wahl nicht miteinander verknüpft, das heißt, man muss nicht zwingend beide Stimmen an Kandidierende und Landesliste derselben Partei geben, sondern kann sie "splitten". Möglich ist also: Erststimme für eine Kandidatin oder einen Kandidaten der Partei A, Zweitstimme für Partei B.
Dieses Stimmensplitting erfreut sich wachsender Beliebtheit. Machten bei der Bundestagswahl 1957 lediglich 6,4 Prozent der Wahlberechtigten von dieser Möglichkeit Gebrauch, waren es nach Angaben der Bundeswahlleitung 1990 schon 15,6 Prozent. Bei der Wahl 2021 gaben demnach knapp 25 Prozent der Wahlberechtigten Erst- und Zweitstimme an Kandidierende und Listen verschiedener Parteien.
Was ist noch unverändert?
Es bleibt bei der Aufteilung des Bundesgebietes in 299 Wahlkreise. Und es bleibt bei der Fünf-Prozent-Sperrklausel: Für den Einzug in den Bundestag muss eine Partei mindestens fünf Prozent der Zweitstimmen erringen. Eine Ausnahme gilt nur für Parteien, die mindestens drei Direktmandate in den Wahlkreisen holen.
Ursprünglich sah das Gesetz vor, diese sogenannte Grundmandatsklausel zu streichen. Sie sieht vor, dass Parteien, die an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, trotzdem in der Stärke ihres Zweitstimmenergebnisses in den Bundestag einziehen, wenn mindestens drei ihrer Direktkandidaten in den Wahlkreisen gewinnen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte jedoch die Fünf-Prozent-Hürde ohne die Grundmandatsklausel für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Grundmandatsregelung gilt also auch bei dieser Wahl ausdrücklich weiter.
Wer profitiert von dieser Regelung?
Bei der Wahl 2021 war dies die Partei Die Linke. Sie kam auf 4,9 Prozent der Zweitstimmen, verfehlte also die Fünf-Prozent-Hürde. Sie holte aber in Berlin zwei und in Leipzig ein Direktmandat. Dadurch zog die Linkspartei mit 39 Abgeordneten in den Bundestag ein. Auch bei der jetzigen Bundestagswahl hofft die Linke auf drei erfolgreiche Direktkandidaten.
Die CSU hatte ebenfalls für die Beibehaltung der Grundmandatsklausel gekämpft. 2021 gewann die nur in Bayern antretende Partei 5,2 Prozent der bundesweiten Zweitstimmen. Bei der Wahl 2025 hätte mit den ursprünglichen Wahlrechtsplänen die Situation eintreten können, dass die CSU unter die Fünf-Prozent-Marke rutscht und damit - mangels Grundmandatsklausel - aus dem Bundestag fliegt, selbst wenn sie wieder zahlreiche Direktmandate in Bayern holen sollte. Da das Bundesverfassungsgericht aber vorgeschrieben hat, dass die Grundmandatsklausel auch diesmal gilt, bietet sich für die CSU und andere Parteien diese Möglichkeit eines Einzugs in den Bundestag weiterhin.
Wie groß wird der nächste Bundestag?
Durch die Wahlrechtsreform wird die Größe des Bundestages auf 630 Abgeordnete begrenzt. Es gibt bis zu 299 Sitze, die an Direktkandidaten aus den Wahlkreisen gehen, und mindestens 331 Sitze, die über die Landeslisten vergeben werden. Überhang- und Ausgleichsmandate fallen weg. Das führt dazu, dass Parteien bei gleichbleibendem Stimmenanteil weniger Abgeordnete ins Parlament entsenden als derzeit. Mit der Folge: Der Bundestag schrumpft.
Bislang fielen Überhangmandate an, wenn eine Partei über die Erststimmen mehr Direktmandate in einem Bundesland gewann, als ihr nach dem dortigen Zweitstimmenergebnis Sitze zustanden. Diese Mandate durfte sie behalten. Seit der Bundestagswahl 2013 erhielten die anderen Parteien dafür Ausgleichsmandate, damit das Zweitstimmenverhältnis nicht verzerrt wurde. Infolge dieser Regelung war die Zahl der Abgeordneten aber immer weiter gestiegen. Bei der Bundestagswahl 2021 fielen 34 Überhang- und 104 Ausgleichsmandate an.
Welche Folgen hat das neue Wahlrecht für die Parteien?
Für die Parteien und vor allem die Kandidaten hat das neue Wahlrecht erhebliche Folgen. Mit der Reform gewinnt die Zweitstimme an Bedeutung. Denn die Stärke der Parteien im Bundestag richtet sich künftig ausschließlich nach dem Anteil ihrer Zweitstimmen.
Sitzverteilung:
Mit der Zweitstimme wählen die Wählerinnen und Wähler die Kandidatinnen und Kandidaten, die auf den jeweiligen Landeslisten der Parteien aufgestellt wurden. Die Verteilung der Zweitstimmen untergliedert sich in Oberverteilung und Unterverteilung. Die Oberverteilung berechnet, wie viele Sitze einer Partei bundesweit zustehen, basierend auf dem Zweitstimmenergebnis. Erst auf dieser Basis erfolgt im Rahmen einer Unterverteilung die Zuteilung der ermittelten Mandate an die einzelnen Landeslisten in den verschiedenen Bundesländern - sofern die Sitzzahl einer Partei nicht schon durch Direktmandate ausgeschöpft ist.
Direktmandate:
Wie bisher wählen die Wählerinnen und Wähler in den 299 Wahlkreisen mit ihrer Erststimme Direktkandidierende der Parteien. Die daraus entstehenden Direktmandate haben Vorrang vor den Listenplätzen der jeweiligen Partei - allerdings nur, solange sie durch den Zweitstimmenanteil gedeckt sind. Dieses Prinzip der Zweitstimmendeckung ist die entscheidende Änderung zum alten Wahlrecht: Wer im Wahlkreis gewinnt, ist künftig nicht mehr sicher im Bundestag. Es hängt von der Zahl der Zweitstimmen der jeweiligen Partei im betreffenden Bundesland ab, ob Kandidierende mit den meisten Erststimmen in einem Wahlkreis auch tatsächlich ins Parlament einziehen.
Es kann also sein, dass Wahlkreissieger leer ausgehen?
Richtig. Um ein errungenes Direktmandat sicher zu erhalten, muss dieses durch das Zweitstimmenergebnis der Partei gedeckt sein. Bisher war es so, dass derjenige, der im Wahlkreis die meisten Stimmen bekam, seinen Sitz im Bundestag sicher hatte. Dies ist jetzt nicht mehr zwangsläufig der Fall.
Ein vereinfachtes Beispiel: Holt eine Partei in einem Bundesland 50 Direktmandate, nach dem Zweitstimmenergebnis stehen ihr aber nur 48 Mandate zu, dann gehen die beiden Direktkandidaten mit den schlechtesten Erststimmergebnissen leer aus.
Ist das rechtlich zulässig?
Ja. Das Bundesverfassungsgericht entschied in seinem Urteil vom 30. Juli vergangenen Jahres, dass das Prinzip der Zweitstimmendeckung mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Der Gesetzgeber habe sich im Rahmen seines weiten Gestaltungsspielraums für die Beibehaltung der Wahlkreiswahl sowie der Verhältniswahl nach Landeslisten entschieden, so der Zweite Senat.
Wahlkreisabgeordnete seien auch nicht "Delegierte ihres Wahlkreises", sondern Vertreter des ganzen Volkes. Das neue "Zweitstimmendeckungsverfahren" führe zu einer Verteilung der Sitze im Bundestag nach dem Wahlergebnis für die Partei. Dies sei bei dem Modell der Ausgleichsmandate im Ergebnis nicht anders gewesen.
Warum landete das neue Wahlrecht überhaupt in Karlsruhe?
Gleich mehrere Klagen gegen das neue Wahlrecht wurden beim Bundesverfassungsgericht verhandelt. 195 Abgeordnete aus der CDU/CSU-Fraktion, das Land Bayern, die Parteien CSU und die Linke, die Fraktion die Linke und mehrere tausend Verfassungsbeschwerden waren eingegangen.
Am lautesten empörte sich die CSU. Die nur in Bayern antretende Partei sieht sich durch den Wegfall der Überhang- und Ausgleichsmandate benachteiligt, da sie in den vergangenen Jahren über die Erststimmen (fast) alle Wahlkreissieger in Bayern stellte. Schneidet sie aber bei den Zweitstimmen verhältnismäßig schlecht ab, kämen einige Wahlkreissieger vermutlich nicht in den Bundestag.
Nach einer Beispielrechnung der Bundeswahlleiterin wäre die CSU bei der Bundestagswahl 2021 nur mit 36 statt mit 45 direkt gewählten Abgeordneten ins Parlament eingezogen, hätte das neue Wahlrecht bereits gegolten. Das liegt auch an dem relativ geringen Zweitstimmenanteil von 5,2 Prozent. Die CSU braucht daher ein starkes Zweitstimmen-Ergebnis, damit möglichst kein Wahlkreissieger leer ausgeht.
Das wiederum gilt nicht allein für die bayerische Regionalpartei. Bei der Wahl 2021 hätte es insgesamt 28 Kandidaten getroffen, davon elf von der CDU, alle in Baden-Württemberg, neun von der CSU, sieben von der SPD und einen von der AfD.
Kann die Reform dazu führen, dass Wahlkreise "verwaist" sind?
Das kann passieren, es dürfte sich aber auf wenige Fälle beschränken. Denn auch wenn der Direktkandidat mangels Zweitstimmendeckung nicht in den Bundestag einzieht, kann der Wahlkreis mit einem Abgeordneten vertreten sein - und zwar von Kandidaten der anderen Parteien, die über die Landesliste kommen.
Welche Auswirkungen hat das neue Wahlrecht auf die Bundestagswahl?
Sicher ist: Der nächste Bundestag wird aus 630 Abgeordneten bestehen. Vieles weitere ist unklar. Etwa, ob es Auswirkungen auf das Wahlverhalten von Menschen hat. Gibt es weniger Stimmensplitting? Schließlich gilt nun: Je stärker das Zweitstimmenergebnis, desto höher die Chance, dass Wahlkreisgewinner auch wirklich in den Bundestag einziehen.
CDU und CSU haben bereits klar gemacht, dass sie nichts zu verschenken haben. Sie werben um beide Stimmen für die Union. "Es wird keine Zweitstimmen-Hilfe von uns für die FDP geben", unterstrich Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz schon Mitte November im Magazin Stern. Zweitstimmenkampagnen der FDP gab es bei früheren Bundestagswahlen immer wieder, die Partei buhlte regelmäßig um die Zweitstimme vor allem aus dem Unionslager, um über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen. "Zweitstimme FDP" plakatierte sie dann großflächig.
Auch wie viele Wahlkreisgewinner am Ende leer ausgehen, kann kaum geschätzt werden. Es hängt auch davon ab, wie viele Parteien letztlich im Bundestag vertreten sind.
Womöglich wird das neue Wahlrecht nach der Bundestagswahl aber auch wieder verändert. Die Union drängt darauf, es nach einem Wahlsieg wieder zu überarbeiten. Es steht sogar im Wahlprogramm. Allerdings müssen auch CDU und CSU erklären, wie sie die Zahl der Abgeordneten signifikant reduzieren wollen. In Koalitionsverhandlungen dürfte dies ein schwieriger Punkt werden, weil die Union absehbar als Partner auf eine der bisherigen Ampel-Parteien angewiesen sein wird. Diese müsste dann bereit sein, ihre eigene Wahlrechtsreform wieder zur Diskussion zu stellen. So könnte man auch die Zahl der Wahlkreise reduzieren oder die Größe des Bundestags deckeln - alles schon mal vorgeschlagen und wieder verworfen.