Ein Obdachloser schläft auf einer Bank in Berlin (Archivbild)

Corona-Folgen für Obdachlose Wenn schon Händewaschen schwierig ist

Stand: 24.03.2020 14:40 Uhr

#ZuhauseBleiben - wie macht man das, wenn man kein Zuhause hat? Für Obdachlose ist das Coronavirus eine besonders große Gefahr. Sie sind eine "Risikogruppe" und ihr Hilfsnetz bricht zusehends zusammen.

Ein Obdachloser steigt in die U-Bahn und bittet um Spenden - in Hamburg ist das eine alltägliche Szene. Doch anders als sonst trägt der Mann Gummihandschuhe - und es ist kaum jemand in der U-Bahn, der ihm eine Spende geben könnte.

Für Obdachlose bricht mit der Corona-Krise praktisch das gesamte Netz zusammen, das sie sonst über den Tag kommen lässt. Mit der Zahl der Passanten in den Innenstädten sinkt auch die Zahl der Spenden oder Pfandflaschen. Und auch andere Möglichkeiten, Geld zu verdienen, fallen weg - wie etwa der Verkauf von Straßenmagazinen. "Schweren Herzens" habe man das einstellen müssen, sagt Jörn Sturm, Geschäftsführer des Magazins "Hinz&Kunzt". "Unsere Sorge ist, dass wir die Verkäufer anstecken oder dass sie sich an ihrem Verkaufsplatz anstecken."

"Geht an der Lebenswirklichkeit Obdachloser vorbei"

Diese Ansteckungsgefahr besteht für Menschen, die auf der Straße leben, in ganz besonderem Maße. "Wohnungslose Menschen können nicht zu Hause bleiben. Ihnen fehlen die schutzbietenden eigenen vier Wände", sagt Jens Rannenberg vom Evangelischen Fachverband EBET. Die Aufforderung, zu Hause zu bleiben und physische Kontakte einzuschränken, gehe völlig an ihrer Lebenswirklichkeit vorbei. Und selbst simple Schutzvorkehrungen wie regelmäßiges Händewaschen sind ein Problem, wenn es kaum Orte gibt, an denen man das tun kann.

Alltag Obdachloser "noch bedrohlicher als sonst"

Hinzu kommt, dass viele Obdachlose durch das jahrelange Leben auf der Straße an Krankheiten leiden und körperlich geschwächt sind. Sie sind daher eine "Risikogruppe" was Corona anbelangt.

Doch gerade viele medizinische Hilfsangebote mussten ihre Arbeit einschränken oder sogar einstellen. Gründe dafür seien zum einen fehlende Schutzkleidung und Desinfektionsmittel, zum anderen das Alter der in der Regel ehrenamtlichen Helfer, so Werena Rosenke, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. "Dort arbeiten oft Ärzte und Pflegekräfte im Ruhestand, die jetzt selbst zur Corona-Risikogruppe gehören."

Der Alltag Obdachloser sei momentan "noch bedrohlicher als sonst", so Rosenke weiter. Die Einschränkungen in der Bereitstellung von Lebensmitteln, ärztlicher Versorgung und Tageseinrichtungen werfe die Menschen noch mehr auf sich zurück.

Ein Obdachloser schläft hinter einer Betonmauer am Hauptbahnhof von Frankfurt/Main. (Archivbild)

Ein Obdachloser schläft hinter einer Betonmauer am Frankfurter Hauptbahnhof. Durch das Leben auf der Straße sind viele krank und körperlich geschwächt.

"Aufklärung - möglichst einfach und in vielen Sprachen"

Auch das Diakonie-Zentrum für Wohnungslose - eine Tagesaufenthaltsstätte in Hamburg - ist mittlerweile zu. Das sei nötig gewesen, da sich sonst "zu viele Menschen an einem Ort aufhalten würden und wir den Schutz der obdachlosen Menschen sowie der Mitarbeitenden nicht gewährleisten könnten", sagt die Projektleiterin Melanie Mücher zu tagesschau.de. Als Alternative versuche man nun zumindest, Essenspakete vor der Tür anzubieten.

Nach ihrer Einschätzung sind viele Obdachlose durchaus gut informiert über die Gefahr durch das Coronavirus und "versuchen sich zu schützen, so gut es geht - etwa mit Abstand, Handschuhen oder Masken".

Es gebe aber auch immer noch viele, vor allem Nicht-Deutsche, "die überhaupt nicht wissen, was Corona ist". Verständliche Aufklärung "möglichst einfach und in vielen Sprachen" sei sehr wichtig als Schutz, um beispielsweise große Gruppen auf den Straßen zu vermeiden, so Mücher.

"Wir brauchen einen Rettungsschirm für Obdachlose"

Und was ist, wenn sich ein Obdachloser mit dem Coronavirus infiziert? Dann müsste er eigentlich dringend isoliert werden. Aber wo? Die Sozialgenossenschaft Karuna, einer der Träger von Obdachlosenarbeit in Berlin, sprach sich für Quarantänezentren für Obdachlose in der Stadt aus. Drei Berliner Hotels hätten gegenüber Karuna ihre Bereitschaft erklärt, ihre Häuser dafür zur Verfügung zu stellen, sagte Karuna-Vorstand Jörg Richert.

Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach will wegen der Corona-Pandemie nun neue Unterkunftsmöglichkeiten für Obdachlose in der Bundeshauptstadt schaffen. "Wir brauchen einen Rettungsschirm für Obdachlose", sagte die Linken-Politikerin. Die Angebote sollten aus Infektionsschutzgründen deutlich über eine Notübernachtung hinausgehen. Gebraucht würden dauerhafte Wohnplätze in Zimmern, hauptamtliche Sozialarbeitende, ein Catering, eine kontrollierte Drogenabgabe und medizinische Versorgung.

"Lunchpakete schützen natürlich nicht vor einer Coronainfektion"

Doch das alles dürfte nicht von heute auf morgen zu schaffen sein. In Hamburg versuchen Bürger zumindest ein wenig von jetzt auf gleich zu helfen: Schräg gegenüber der geschlossenen Tagesaufenthaltsstätte haben sie an einem Sportplatz einen "Gabenzaun" eingerichtet, an den Spenden für Obdachlose gehängt werden sollen.

Ein Zeichen der Solidarität, doch das Grundproblem löst es nicht. "Schlafsäcke und Lunchpakete schützen natürlich nicht vor einer Coronainfektion", so Melanie Mücher von der Diakonie Hamburg. Wirklich helfen würde eine Unterbringung der Menschen - und zwar nicht in großen Massenunterkünften, sondern dezentral. "Da ist unsere Kreativität und Flexibilität gefordert: Von Leerständen über Tagungshäuser bis hin zu Hotels gibt es viele Möglichkeiten."