Neue diplomatische Beziehungen? Was Deutschland in Syrien vorhat
Mehr als ein Jahrzehnt gab es keine direkten diplomatischen Kontakte nach Syrien. Mit dem Fall des Assad-Regimes ergeben sich neue Chancen. Doch noch ist vieles unklar. Was plant die Bundesregierung?
Bundeskanzler Olaf Scholz hat die große Aufgabe schon einmal formuliert: Man dürfe die Chance nicht verstreichen lassen, dass "in Syrien eine rechtlich sichere Lebensweise möglich ist, dass Demokratie entsteht, dass Menschen unterschiedlicher Religion gut zusammenleben können", sagte er am Dienstagabend in den tagesthemen.
Demokratie. Ein großes Wort für ein arabisches Land, das jahrzehntelang diktatorisch regiert wurde. Und ein großes Wort für den Westen, der bei ähnlichen Versuchen in Libyen, Afghanistan oder dem Irak mindestens teilweise gescheitert ist.
Baerbock warnt Türkei und Israel vor Einmischung
Bundesaußenministerin Baerbock mahnt deshalb auch zur Vorsicht: "Der Kampf für ein für alle freies Syrien ist noch nicht gewonnen", sagte Baerbock. Bei einem friedlichen Machtwechsel müssten auch Minderheiten mit am Tisch sitzen, wenn staatliche Strukturen aufgebaut würden. Am Ende könnten dann freie Wahlen stehen. Dabei wolle Deutschland unterstützen.
Für die humanitäre Hilfe will Deutschland kurzfristig acht Millionen Euro zur Verfügung stellen. Um die Lage im Land zu stabilisieren, müsse trotz der schwierigen Sicherheitslage rasch weitere Hilfe zu den Menschen vor Ort kommen, so Baerbock.
Doch es gibt viele Probleme: "Syrien darf nicht wieder zum Spielball ausländischer Mächte werden", sagt Baerbock. Und warnt direkt die türkische und die israelische Regierung vor Einmischung. "Wenn wir ein friedliches Syrien wollen, dann darf die territoriale Integrität nicht in Frage gestellt werden."
Baerbock bietet in vielen Bereichen deutsche Hilfe an, etwa beim langfristigen Wiederaufbau des Landes, bei der juristischen Aufarbeitung der Straftaten während des Assad-Regimes oder bei der Beseitigung von Chemiewaffen. "Es ist nun die Chance da, die Welt vor den Chemiewaffen sicher zu machen," sagt Baerbock. Bei der Verfolgung von Straftaten des Assad-Regimes hätten deutsche Gerichte wichtige Vorarbeit geleistet.
Sonderkoordinator für Syrien eingesetzt
Dabei sind die Startvoraussetzungen für Deutschland nicht nur günstig. Denn es gibt keine direkten diplomatischen Kontakte nach Syrien. Seit Januar 2012 ist die deutsche Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus geschlossen. Es war die Zeit des sich weiter verschlimmernden syrischen Bürgerkriegs. Das Auswärtige Amt verhängte damals eine Reisewarnung, auch westliche Staatsbürger wurden in Syrien getötet. Deutschland beteiligte sich an EU-Sanktionen gegen das Assad-Regime - und schloss die Botschaft in Damaskus.
Viele Aufgaben wurden seither aus dem benachbarten Libanon erledigt, was aber natürlich nur mit Abstrichen gelang. An eine Wiedereröffnung der Botschaft in Damaskus war lange Zeit nicht zu denken. Jetzt ist die Lage völlig neu.
Staatsminister Tobias Lindner wurde von Baerbock heute zu einem Sonderkoordinator ernannt, der auch die Frage nach einem beständigen Kontakt zu den neuen Machthabern erörtern muss.
Baerbock: HTS an ihren Taten messen
Diese Frage ist heikel. Schließlich listet die Europäische Union Hayat Tahrir al-Scham (HTS) seit 2020 als Terrororganisation. Ihr werden zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zugeschrieben, Morde, Geiselnahmen, Folter, Gefangennahme von Zivilisten. Auch die Vereinten Nationen listen HTS als Terrororganisation - schwierig für den UN-Sondergesandten für Syrien, den Norweger Geir Pedersen, dann mit ebendieser Gruppierung zu reden.
Baerbock sagt daher, man werde HTS an ihren Taten messen. "Eine Zusammenarbeit setzt voraus, dass die Rechte von Minderheiten und Frauen geschützt werden", sagte Baerbock. Dennoch ist zu hören, dass die Bundesregierung nun sehr zügig und sehr konkret am Aufbau von Kontakten zu HTS arbeitet.
In Berlin hofft man jedenfalls, dass den Europäern und ihren Verbündeten wie etwa den USA dabei ein abgestimmtes Vorgehen gelingt. Fatal wäre es, wenn sich jetzt verschiedene europäische Staaten einen Wettlauf leisten würden, wer sich am besten mit Hilfe eines neuen Syriens profilieren kann. Bei einem Treffen mit zahlreichen europäischen Außenministerkollegen am Donnerstag dieser Woche soll es daher auch um Syrien gehen.