ARD-DeutschlandTrend Die SPD und die K-Frage: Pistorius vor Scholz
Die Personal-Debatte spiegelt sich auch im aktuellen ARD-Deutschlandtrend: In der K-Frage sind nicht nur die SPD-Anhänger für Boris Pistorius statt für Olaf Scholz. Die SPD muss sich Platz drei mit den Grünen teilen.
Als Deutschland zum bislang letzten Mal vorgezogenen Neuwahlen entgegenblickte, da waren die Aussichten für die SPD in vielerlei Hinsicht ähnlich: Auch damals, 2005, führten die Sozialdemokraten eine Regierung (Rot-Grün), mit der eine große Mehrheit der Bevölkerung unzufrieden war. In Umfragen lag die SPD seinerzeit ähnlich weit hinter der Union zurück wie aktuell. Ein derzeit beliebter Mutmacher in Reihen der SPD handelt deshalb davon, wie der Partei anschließend eine fulminante Aufholjagd gelang, an deren Ende sie sich bei der Bundestagswahl bis auf einen Prozentpunkt an die Union heranrobbte.
Zu dieser Geschichte gehört aber auch, dass der damalige Kanzler (und Kanzlerkandidat) Gerhard Schröder hieß und ganz andere Beliebtheitswerte aufwies als Olaf Scholz heute. Mit Schröder war im Vorfeld der Wahl jeder zweite Deutsche zufrieden. Im Falle von Scholz gilt das heute nur für jeden Fünften – drei von vier Deutschen dagegen sind mit ihm unzufrieden.
Inzwischen mehren sich deshalb auch aus der SPD öffentlich vorgetragene Fragen dazu, ob die Partei nicht mit einem anderen Kandidaten in den Wahlkampf ziehen sollte. Und mehr oder weniger deutlich fällt dann der Name von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius – bei den Deutschen seit Monaten der beliebteste Bundespolitiker. Aktuell sind sechs von zehn Deutschen mit seiner Arbeit zufrieden. Mehrheitliche Zustimmung bei den Bürgerinnen und Bürgern erreicht derzeit kein anderer Bundespolitiker.
Pistorius punktet auch bei Unions- und Grünen-Anhängern
In der aktuellen repräsentativen Erhebung, für die infratest dimap von Montag bis Mittwoch dieser Woche 1.318 Wahlberechtigte in Deutschland befragt hat, positionieren sich die Deutschen auch in der K-Frage deutlich: Dem amtierenden Kanzler Olaf Scholz traut jeder fünfte Wahlberechtigte (21 Prozent) zu, ein guter Kanzlerkandidat für die SPD zu sein. Von Boris Pistorius sagen das dreimal so viele (60 Prozent). Anders als etwa die Union und die Grünen hat die SPD ihren Kandidaten bislang noch nicht offiziell gekürt.
Zum Vergleich: 42 Prozent halten Friedrich Merz für einen guten Kanzlerkandidaten für die Union, 34 Prozent Robert Habeck für einen guten Kanzlerkandidaten für die Grünen – und Alice Weidel, deren Kür nur noch eine Formsache ist, sehen 30 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland als eine gute Kanzlerkandidatin für die AfD. Fragt man ausschließlich die SPD-Anhänger, so hält eine knappe Mehrheit (58 Prozent) Olaf Scholz für einen guten SPD-Kanzlerkandidaten, von Boris Pistorius sagen das indes vier von fünf SPD-Anhängern (82 Prozent).
Für sozialdemokratische Gedankenspiele in der K-Frage vermutlich ebenfalls interessant: Einen möglichen SPD-Kanzlerkandidaten Pistorius bewerten aktuell auch jeweils drei Viertel der Unions- und Grünen-Anhänger positiv; bei den BSW-Anhängern ist es jeder Zweite und unter AfD-Anhängern jeder Dritte. Auch hierzu gibt es eine historische Parallele, über die man in SPD-Kreisen gerade wieder vermehrt spricht: 2017 setzte die Partei in Martin Schulz schon einmal auf einen überaus beliebten Kandidaten und erlebte nach anfänglichem Höhenflug das schwächste SPD-Bundestagswahlergebnis der Nachkriegsgeschichte (20,5 Prozent).
Union in der Sonntagsfrage deutlich vorn
In der Sonntagsfrage bewegt sich die SPD in diesem Jahr konstant unterhalb der 20-Prozent-Marke. Wenn schon am Sonntag Bundestagswahl wäre, käme die Kanzlerpartei auf 14 Prozent – zwei Punkte weniger als Anfang November. Die Union wäre mit 33 Prozent (-1) klar stärkste Kraft. Die Grünen verbessern sich nach ihrem Bundesparteitag um zwei Punkte und liegen mit 14 Prozent gleichauf mit der SPD, an dritter Stelle.
Denn den zweiten Platz behauptet aktuell die AfD, die sich leicht auf 19 Prozent verbessert (+1). Laut aktueller Sonntagsfrage würde das Bündnis Sahra Wagenknecht die Fünf-Prozent-Hürde nehmen und in den Bundestag einziehen. Die FDP mit 4 Prozent (-1) und die Linke mit 3 Prozent liegen derzeit unterhalb der Mandatsschwelle. Alle anderen Parteien erreichen zusammen 7 Prozent.
Dass die Parteien unter anderen Vorzeichen in diesen kurzen Bundestagswahlkampf ziehen als noch vor der vergangenen Wahl 2021 zeigt sich auch an einem anderen Indikator: dem so genannten Wählerpotenzial, also der Frage, für wieviel Prozent der Deutschen die Wahl einer Partei grundsätzlich in Frage kommt. Im Mai 2021 lagen in dieser Frage drei Parteien praktisch gleichauf: Sowohl bei den Grünen (50 Prozent) als auch Union und SPD (jeweils 49 Prozent) war die Wahl der Partei für rund jeden zweiten Wahlberechtigten grundsätzlich vorstellbar.
Wählerpotenzial der Grünen gegenüber 2021 abgesackt
Das ist heute anders: Aktuell kommt die Wahl von CDU/CSU für eine knappe Mehrheit der Deutschen (55 Prozent) grundsätzlich in Frage (+6). Die SPD konnte ihr Wählerpotenzial während der Regierungszeit relativ stabil halten (47 Prozent; -2). Sie tut sich aktuell also vor allem schwer damit, vorhandenes Potenzial auch in eine Wahlabsicht umzusetzen. Das Wählerpotenzial der Grünen ist dagegen in den vergangenen Jahren abgesackt: Ihre Wahl ist aktuell für jeden Dritten (33 Prozent) grundsätzlich vorstellbar (-17 im Vgl. zu Mai 2021).
Auch ihr bisheriger Koalitionspartner FDP hat an Wählerpotenzial verloren: Statt 38 sind es nur noch 28 Prozent. Derweil kann sich jeder Vierte (25 Prozent) grundsätzlich vorstellen, sein Kreuz bei der AfD zu machen (+9). Beim BSW gilt das für jeden Fünften (20 Prozent), bei der Linken für 18 Prozent (-4).
Die Union liegt seit fast drei Jahren in der Sonntagsfrage des ARD-Deutschlandtrend vorn. In der jüngeren Vergangenheit konnte sie ihren Vorsprung dabei ausbauen. Entsprechend darf sie sich große Hoffnungen machen, die künftige Bundesregierung anzuführen. Eine relative Mehrheit der Deutschen fände das gut: Vier von zehn Wahlberechtigten (38 Prozent) sind der Meinung, CDU/CSU sollten die nächste Bundesregierung anführen. Die SPD kommt in dieser Frage auf 15, die AfD auf 13 und die Grünen auf 8 Prozent.
Unions-Anhänger mit größten Sympathien für Große Koalition
Falls es tatsächlich zu einer unionsgeführten Bundesregierung unter Friedrich Merz kommt, spricht sich jeder dritte Deutsche (31 Prozent) für eine Koalition mit der SPD aus. Ein solches Bündnis gab es in den acht Jahren vor der Ampel-Regierung von 2013 bis 2021. Jeder Sechste (16 Prozent) ist der Meinung, die Union sollte am ehesten mit der AfD eine Regierung bilden – das schließt die Union aus.
Fast ebenso viele (15 Prozent) wären für den Fall einer unionsgeführten Bundesregierung für eine Regierungsbildung mit den Grünen – eine Option, die CSU-Chef Markus Söder öffentlich abgelehnt hat. 12 Prozent sprechen sich für eine Koalition mit der FDP aus, die aktuell aber um den Einzug in den Bundestag bangen müsste.
Auch unter Unions-Anhängern sind die Sympathien für eine so genannte Große Koalition mit der SPD (40 Prozent) am größten – vor Schwarz-Gelb (26 Prozent) und Schwarz-Grün (13 Prozent). Noch aber sind es gut drei Monate bis zum Wahltag. Zeit, in der viel passieren kann. Einerseits. Das hat die Geschichte mehrfach bewiesen. Andererseits wird es aber ein vergleichsweise knackiger Wahlkampf, in den die Union mindestens mit einem klaren Vorteil startet.
Grundgesamtheit: Wahlberechtigte in Deutschland
Erhebungsmethode: Zufallsbasierte Online- und Telefon-Befragung (davon 60 Prozent Festnetz, 40 Prozent Mobilfunk)
Erhebungszeitraum: 18. bis 20. November 2024
Fallzahl: 1.318 Befragte (782 Telefoninterviews und 536 Online-Interviews)
Gewichtung: nach soziodemographischen Merkmalen und Rückerinnerung Wahlverhalten
Schwankungsbreite: 2 Prozentpunkte bei einem Anteilswert von 10 Prozent, 3 Prozentpunkte bei einem Anteilswert von 50 Prozent
Durchführendes Institut: infratest dimap
Die Ergebnisse sind auf ganze Prozentwerte gerundet, um falsche Erwartungen an die Präzision zu vermeiden. Denn für alle repräsentativen Befragungen müssen Schwankungsbreiten berücksichtigt werden. Diese betragen im Falle einer Erhebung mit 1.000 Befragten bei großen Parteien rund drei Prozentpunkte, bei kleineren Parteien etwa einen Punkt. Hinzu kommt, dass der Rundungsfehler für kleine Parteien erheblich ist. Aus diesen Gründen wird keine Partei unter drei Prozent in der Sonntagsfrage ausgewiesen.