ARD-DeutschlandTrend Extra "Für eine SPD-Aufholjagd fehlt die inhaltliche Basis"
Der SPD-Wahlkampf hat begonnen und gewinnt im DeutschlandTrend zumindest minimal an Zustimmung. Trotzdem gibt es bislang keine Anzeichen für eine Aufholjagd wie vor der Wahl 2005: Kanzlerkandidat Steinmeier fehlt die Zugkraft und der SPD die inhaltliche Basis.
Von Jörg Schönenborn, WDR
Die SPD hatte allen Grund, den Auftakt des Wahlkampfes vorzuverlegen. Denn sie startet im tiefen Umfragekeller. Die Extra-Ausgabe des ARD-DeutschlandTrends ist für die Sozialdemokraten voller schlechter Nachrichten: Ihr Kanzlerkandidat liegt im direkten Vergleich mit der Kanzlerin weiter zurück als je zuvor.
Die Kompetenzwerte sind in den acht Wochen seit der Europawahl nochmals auf breiter Front eingebrochen. Und minimale Bewegung nach oben gibt es nur bei der Sonntagsfrage: Da klettert die SPD eine Stufe von 23 Prozent Mitte des Monats auf aktuell 24 Prozent. Aber das hat weniger mit der Zugkraft von Kandidat oder Themen zu tun, sondern damit, dass sich einige vorher unentschlossene Ex-SPD-Wähler nun doch wieder für die Partei aussprechen.
Infratest dimap hat im Auftrag der ARD am Dienstag und Mittwoch dieser Woche 1000 repräsentativ ausgewählte Bundesbürger telefonisch befragt. Und die Ergebnisse können als eine Art "Null-Messung" für die vor uns liegenden Wahlkampfwochen gelten.
Steinmeier verliert im direkten Vergleich zu Merkel
Fangen wir mit dem Kandidaten an. Während Kanzlerin und Kandidat zeitgleich Urlaub machten und damit kaum noch in den Fernsehnachrichten auftauchten, ist Frank-Walter Steinmeier noch weiter in Rückstand geraten. Der Vorsprung in der sogenannten Direktwahlfrage ist für Angela Merkel nun größer als je zuvor: 35 Punkte liegt sie vor ihrem Herausforderer.
Wenn man den Kanzler oder die Kanzlerin direkt wählen könnte, würden sich nun 60 Prozent für Merkel entscheiden und – neuer Tiefpunkt – nur noch 25 Prozent für Steinmeier. Eine richtig deutliche Mehrheit hat der nur noch im Lager der SPD-Wähler. Die Anhänger der Grünen sind mit leichter Mehrheit für Merkel, und selbst bei der Linkspartei ist der Vorsprung für Steinmeier nun nur hauchdünn.
Positive Reaktionen auf Steinmeiers Arbeit als Minister
Beim Blick auf die persönlichen Zustimmungswerte Steinmeiers wird allerdings klar: Seine Arbeit als Außenminister wird weiterhin respektiert, nur die Rolle als Kanzlerkandidat eben nicht. 59% (+4 gegenüber Anfang Juli) zeigen sich mit dem Außenminister Steinmeier zufrieden – das ist eigentlich kein schlechter Wert. Damit bleibt er im Spitzentrio – hinter Merkel (70 Prozent, -1) und Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (67 Prozent, +6) auf Platz drei.
Schwarz-gelbe Mehrheit bei der Sonntagsfrage
Aber der erste Blick in Wahlkampfzeiten fällt immer auf die Sonntagsfrage. Diese Woche liegt die Union mit 36 Prozent unverändert vorn, die SPD hat mit 24 Prozent (+1 gegenüber Mitte Juli) zwölf Punkte Rückstand. FDP mit 14 und Grüne mit 13 Prozent werden in den nächsten Wochen um den Platz Nummer drei kämpfen, und die Linkspartei bleibt mit 10 Prozent zweistellig.
Die Mehrheitsverhältnisse sind dabei klar: Union und FDP hätten mit 50 Prozent schon rein proportional gerechnet eine Mehrheit. Am 27. September würden die Eigentümlichkeiten des Wahlrechts eine solche Mehrheit aber noch viel deutlicher ausfallen lassen. Denn durch Überhangsmandate könnte die Union ihren Vorsprung ausbauen – um bis zu 20 Mandate, was fast drei Prozentpunkten entspricht. Als Faustregel gilt: Je größer am Wahltag der Vorsprung der Union vor der SPD, desto stärker die verzerrende Wirkung des Wahlrechts.
Die SPD-Anhänger sehnen sich nach einer Aufholjagd
Deshalb blicken die Sozialdemokraten in diesen Tagen so häufig sehnsüchtig zurück auf das Wahljahr 2005. Damals lagen sie zum gleichen Zeitpunkt sogar 15 Punkte hinter der Union und hatten am Ende fast aufgeholt.
Könnte sich das wiederholen? Leider ist die Demoskopie keine Meteorologie. Das heißt: Vorhersagen sind unmöglich. Allerdings lässt sich mit Blick auf die in dieser Woche gemessenen Kompetenzwerte sagen: Die inhaltliche Basis für eine solche Aufholjagd müsste die SPD erst noch legen. Gegenüber der letzten Messung Anfang Juni ist die Partei nämlich auf breiter Front eingebrochen.
SPD verliert bei Top-Kompetenz Soziale Gerechtigkeit
Beim Thema Soziale Gerechtigkeit steht die SPD so schlecht da wie zuletzt im Hartz-IV-Sommer 2004. Nur noch 31 Prozent sehen diese Kompetenz unter allen Parteien am ehesten bei der SPD (-11 gegenüber Anfang Juni). Die Union kommt hier auf 21 Prozent, die Linkspartei auf 10 Prozent. Auf dem Feld der Wirtschaftspolitik ist es mit 12 Prozent (-8) der schlechteste Wert seit Juli 2006. Sie liegt jetzt gleichauf mit der FDP (ebenfalls 12 Prozent, +1).
Die Befragten trauen der SPD immer weniger Kompetenz bei der sozialen Gerechtigkeit zu.
Der Union trauen hingegen 48 Prozent (+-0) am ehesten zu, die Wirtschaft voranzubringen. Schmerzen dürfte auch der mit 25 Prozent (-1) niedrigste Wert in der Steuerpolitik seit Oktober 2003. Immerhin stellt die SPD den zuständigen Minister. Die Union kommt in der Steuerpolitik auf 25 (-1) und die FDP auf 16 Prozent (-2).
Keine Wechselstimmung in der Republik
All diese Vergleiche machen deutlich: Es ist nicht eine besonders starke Union, die der SPD die Luft abschnürt. Sie verliert ohne erkennbaren Grund auf allen Politikfeldern – selbst da wo zuständige SPD-Minister den Sommer über eigentlich recht präsent waren. In der Umweltpolitik um Beispiel hat die SPD trotz der vielen Auftritte von Sigmar Gabriel nun mit acht Prozent den schlechtesten jemals gemessenen Wert. Hier führen traditionell die Grünen mit 58 Prozent (+2) vor der Union mit 16 Prozent (-1).
Weder personell noch inhaltlich ist also im Moment erkennbar, wo der Hebel für eine Aufholjagd ansetzen könnte. Allerdings fehlt im Lande auch so etwas wie Wechselstimmung. Nur 35 Prozent der Befragten geben an, sie wünschten sich nach der Bundestagswahl einen "grundlegenden Wandel in der Politik". Vor vier Jahren wollten das noch 50 Prozent.
Die Mehrheit kann mit Merkel offenbar gut leben
Und unter denen, die den Wandel wollen, kann wiederum nur eine Minderheit eine Partei oder eine Person angeben, die für diesen Wandel steht. Und wer wird unter den wenigen, die da eine konkrete Vorstellung haben, am häufigsten genannt? Polit-Shootingstar Guttenberg. Und welche Parteien stehen am ehesten für den Wandel, den ohnehin die Mehrheit nicht will? Die Linkspartei und die FDP.
Und wahrscheinlich liegt hier das wirkliche Dilemma der Sozialdemokraten. Als langjährige Regierungspartei stehen sie eben nicht für einen Neuanfang in der Regierungspolitik. Und diejenigen, die den Neuanfang gar nicht wollen, können mit Merkel an der Spitze ganz gut leben.
Was heißt das für acht Wochen Wahlkampf bis zur Wahl? Dass die SPD wohl nur dann wirklich aufholen wird, wenn sie erklären kann, was ihr Kanzlerkandidat besser machen würde.
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl / Randomstichprobe
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews
Fallzahl: 1000 Befragte
Erhebungszeitraum: 28. und 29. Juli 2009
Fehlertoleranz: 1,4 bis 3,1 Prozentpunkte