Interview

Ethikrat-Mitglied zum EuGH-Urteil "Ohne Patente kein Anreiz zur Finanzierung"

Stand: 18.10.2011 16:33 Uhr

Noch ist unklar, ob die embryonale Stammzellforschung zu Heilverfahren führt. Doch den Weg dahin hat der EuGH erschwert, kritisiert Ethikrat-Mitglied Taupitz im tagesschau.de-Interview. Indem Patente auf solche Stammzellen verboten werden, gehe der Anreiz für eine Finanzierung der Forschung verloren.

tagesschau.de: Herr Taupitz, menschliche embryonale Stammzellen dürfen dem EuGH-Urteil zufolge nicht für die wissenschaftliche Forschung patentiert und vermarktet werden. Ist dieser Forschungszweig dann noch lukrativ? Könnte es sein, dass die Forschung daran zurückgefahren oder eingestellt wird?

Jochen Taupitz: Das kann eine mögliche Konsequenz sein. Sicherlich wird sie nicht ganz eingestellt. Aber man muss schon davon ausgehen, dass sich Pharma-Unternehmen aus diesem Gebiet zurückziehen. Denn Patente sollen ja einen Anreiz zu Investitionen liefern.

Zur Person
Der habilitierte Rechtswissenschaftler ist seit 2008 Mitglied des deutschen Ethikrats, der vom Bundestag berufen wurde. Taupitz ist Lehrstuhlinhaber an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Mannheim. Im Nebenamt ist er zudem Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe.

tagesschau.de: Könnte es nachteilige Folgen für Patienten haben, wenn weniger oder keine Gelder aus der Pharma-Industrie bereit gestellt werden?

Taupitz: Infolge des Urteils und eines möglichen Rückzugs von Pharmaunternehmen kann es durchaus sein, dass medizinische Heilverfahren nicht entwickelt werden, dass also Kranke nicht geheilt werden.

Die Rechtslage ist jetzt folgende: Die Europäische Union und die deutsche Bundesregierung fördern massiv die Forschung mit embryonalen Stammzellen. Man darf diese Forschungsrichtung also mit viel Geld päppeln. Aber wenn Ergebnisse dabei herauskommen, dürfen diese Ergebnisse nicht patentiert werden. Es darf also keine Exklusivrechte auf diese Forschung geben, die mit viel finanziellem Aufwand unterstützt und auf's Gleis geschoben worden ist.

T. Koch, Dradio, 18.10.2011 19:12 Uhr

Forscher könnten abwandern

tagesschau.de: Welche Folgen erwarten Sie nach der Umsetzung des Urteils?

Taupitz: Das war ja eine Vorabentscheidung des EuGH. Jetzt muss der Bundesgerichtshof dies in sein Urteil im Brüstle-Verfahren umsetzen. Dabei muss er der Auslegung des EuGH folgen. Die Konsequenz wird sein, dass solche Forschung zunehmend nicht mehr in Europa, sondern in anderen Regionen der Welt durchgeführt wird, in Israel, Singapur, China oder den USA. Außerhalb der Europäischen Union gilt diese vom EuGH auferlegte Beschränkung nicht. Andere internationale Regelwerke werden unter Umständen anders ausgelegt.

Urteil ist strenger als deutsches Gesetz

tagesschau.de: Hat das Urteil auch Folgen für die embryonale Stammzellforschung selbst? Müssen eventuell die liberalen Gesetze zur Stammzellforschung in Ländern wie Großbritannien und Schweden verändert werden?

Taupitz: Nein. Das Urteil bezieht sich ja nur auf die Frage der Patentierbarkeit. Aber implizit sagt das Urteil auch etwas über die Sittenwidrigkeit von Stammzellforschung aus. Das ist das Brisante an diesem Urteil.

tagesschau.de: Was genau sagt der EuGH dazu?

Taupitz: Er legt das Patentierungsverbot der europäische Richtlinie sehr weit aus. Unter dem nicht patentierbaren "Verwenden von Embryonen" versteht der EuGH auch das Verwenden von embryonalen Stammzellen, die früher einmal aus Embryonen gewonnen wurden. Damit bleibt der EuGH sogar noch hinter dem einigermaßen liberalen deutschen Standpunkt in Bezug auf die Stammzellforschung zurück.

Es ist ein Unterschied, ob ein Embryo verbraucht wird, was in manchen Staaten wie Deutschland als verwerflich angesehen wird und von unserem Embryonenschutzgesetz auch verboten wurde, oder ob Stammzellen, die aus Embryonen im Ausland und ohne Beteiligung von deutschen Forschern legal gewonnen wurden, später von deutschen Forschern für Forschungszwecke verwendet werden.

Genau das ist die Logik hinter unserem Stammzellgesetz, das die Forschung mit embryonalen Stammzellen und eben nicht mit Embryonen erlaubt. Der EuGH macht dabei aber keinen Unterschied und verkennt damit aus meiner Sicht den wesentlichen Unterschied, der in ethischer und rechtlicher Hinsicht zwischen einer Ursprungshandlung und einer bloßen Verwertungshandlung zu machen ist.

tagesschau.de: Es gibt ja neben der embryonalen auch noch andere Formen der Stammzellforschung. Glauben Sie, dass die Richtungen ein Ersatz sein können?

Taupitz: Noch weiß man nicht, ob die Stammzellforschung überhaupt oder welche ihrer Ansätze in medizinisch anwendbare Verfahren münden werden. Es ist ja gerade das Wesen von Forschung, dass sie in die Unsicherheit hinein unternommen wird. Neben den embryonalen Stammzellen gibt es die adulten Stammzellen und die so genannten induzierten pluripotenten Stammzellen. Aber nur durch einen Vergleich verschiedener Forschungsrichtungen kann man im Laufe der Zeit erkennen, welcher Ansatz der erfolgversprechendere ist. Deshalb muss man aus dem Blickwinkel der Wissenschaftsfreiheit alle drei Ansätze nebeneinander erforschen lassen.

Das Interview führten Silvia Stöber und Florian Pretz.