Interview zum Runden Tisch zur Fan-Gewalt "Sicherheitstreff soll die Massen beruhigen"
Der Platzsturm von Hertha-Fans und weitere Fan-Krawalle haben eine neue Debatte über Gewalt im Fußball ausgelöst. Die Expertendiskussion am Runden Tisch in Berlin wird kaum zur Problemlösung beitragen, sagt Fan-Soziologe Gerd Dembowski im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Herr Dembowski, schon in der ersten Bundesliga-Saison 1963 titelte "Der Spiegel": "Fans hauen uns die Liga kaputt". Wie hat sich die Gewalt in und um Fußballstadien seitdem entwickelt?
Gerd Dembowski: Die Kurven von Gewalt im Fußball verlaufen sinusartig: Sie gehen mal rauf und mal runter. Gewalt hat es dort immer gegeben. Es mag sein, dass die Gewalt heute nicht mehr so aussieht wie früher. Das muss aber nicht bedeuten, dass sie zugenommen hat.
tagesschau.de: Wie sieht die Fan-Gewalt denn heute aus?
Dembowski: Der klassische Hooliganismus hat abgenommen. Gewalt entsteht heute eher situationsgebunden und heraus aus einigen Ultra-Gruppierungen. In Zeiten der Kommerzialisierung des Fußballs fühlen sich diese Fans mehr und mehr als reine Stimmungsmacher ausgenutzt, auf die - wenn es hart auf hart kommt - draufgeknüppelt wird. Die Ultras identifizieren sich vor allem mit sich selbst. Wer kann schon aus vollem Herzen Fan einer Aktiengesellschaft sein? Da liegt ein Problem. Der Protest und damit ein Teil der Gewalt ist heute viel mehr in der Kommerzialisierung und in einem sich gegenseitigen Hochschaukeln von Sicherheitsappart und Ultras zu sehen.
Fan-Gewalt kann auch eine Reaktion auf die viel zu geringen Partizipationsmöglichkeiten für Fußballfans sein. Man muss kontinuierlich in Gespräche mit den Fans treten. Alle paar Jahre mal ein Sicherheitstreffen aufgrund aktueller Ereignisse einzuberufen, ist ein Armutszeugnis.
tagesschau.de: Worum geht es bei dem jetzigen Treffen am Runden Tisch?
Dembowski: Politische Institutionen nutzen solche Treffen, um medienwirksam Maßnahmen gegen Gewalt zu verkünden. So ein Sicherheitstreff soll also vor allem die Massen beruhigen, die mit Unterstützung der Medienberichterstattung verängstigt wurden. Wenn es mehr als zwei mal bei Fußballspielen knallt, spricht man gleich von einer neuen Dimension der Gewalt. Dann wird ein Treffen einberufen und darüber diskutiert. Wenn man bedenkt, wie oft bereits eine neue Dimension von Gewalt im deutschen Fußball ausgerufen wurde, müssten wir schon längst massenweise Mord und Totschlag haben. Das ist aber nicht der Fall. Gewalt im Fußball ist durch die Fernsehübertragungen schlichtweg sichtbarer als andere Gewalt: Wenn bei einem Fußballspiel 40 Menschen über den Zaun springen, wird das als gefährlicher wahrgenommen als wenn 40 Menschen in eine Kneipenschlägerei verwickelt sind. Und die passiert viel häufiger.
Wichtig ist die Anwesenheit von Vertretern der Fan-Projekte bei dem Treffen am Runden Tisch: Das Treffen ist nur dann sinnvoll, wenn eine kontinuierliche und gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen Verantwortlichen, Fan-Projektlern und Fans beschlossen wird. Sonst bleibt es eine populistische Reaktion auf die aktuellen Ereignisse.
tagesschau.de: Können Sanktionen wie Spiele vor leeren Rängen gegen Fan-Gewalt helfen?
Dembowski: Fans können derartige Sanktionen, vor allem die Abschaffung von Stehplätzen, als Kampfansage sehen. Insofern können populistische Sanktionen die Gewaltbereitschaft unter den Fans nicht vermindern. Solche Sanktionen werden eher Innovationen bei den Fans erzeugen.
Interessant ist, dass die meisten Gewalttäter den Behörden bekannt sein sollten: Die Polizei lobt stets ihre umfassende "Gewalttäter-Datei Sport". Sanktionen gegen alle Fans wie Geisterspiele wären nicht nötig, wenn eine solche Datei greifen würde.
tagesschau.de: Die Deutsche Polizeigewerkschaft fordert eine Beteiligung von DFL und DFB an den Polizeikosten für Stadioneinsätze. Wäre diese Beteiligung gerechtfertigt?
Dembowski: Fakt ist, dass die Vereine der ersten, zweiten und auch dritten Ligen große Steuerzahler sind. Insofern finanzieren die Vereine bereits die Polizeieinsätze mit. In welcher Relation dies zu den tatsächlichen Kosten der Gewaltbekämpfung steht, kann ich nicht sagen. Viel wichtiger finde ich jedoch den Bereich der Gewaltprävention. Hier hält sich der Staat sehr zurück, obwohl es sich dabei nicht nur um ein Fußballphänomen, sondern ein gesellschaftliches Problem handelt.
Seit Jahren werde ich vom Sportausschuss des Bundestages eingeladen und kläre dort über das Thema Fan-Gewalt auf. Jedes Jahr erzähle ich eine ähnliche Geschichte. Aber es gibt keine Anzeichen für eine Bereitschaft, verstärkt auch von staatlicher Seite Finanzen in eine soziale Prävention von Fan-Gewalt zu stecken. Wenn es dann im Fußball knallt, schreien alle laut. Dann müssen die Fan-Projekte als Alibi herhalten - und das finde ich nicht fair.
tagesschau.de: Wie stark engagiert sich der DFB bei der Prävention von Fan-Gewalt?
Dembowski: Der DFB, aber auch die DFL als zuständige Organisation für die Fan-Projekte der ersten und zweiten Liga, zeigen eine hohe Bereitschaft. Hier hat sich insbesondere durch die DFB-Präsidentschaft von Theo Zwanziger viel getan: Die erste Handlung seiner Amtszeit bestand darin, einen Fan-Kongress einzuberufen. Unter Zwanziger hat der DFB zum ersten mal in seiner Geschichte Fans direkt befragt und ihnen zugehört. Genau dieser Dialog ist ungemein wichtig.
DFB-Präsident Theo Zwanziger: Als erste Amtshandlung Fan-Kongress einberufen.
tagesschau.de: Wo könnten die Vereine noch mehr tun?
Dembowski: Die Vereine müssen ihr gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein ausbauen. Mehr und mehr wird Fußball ökonomisiert, die identitätsstiftende Funktion der Vereine geht verloren. Die Fans merken natürlich auch, dass die Knappen bei Schalke nur noch eine Marke sind. Das führt zu einer Entfremdung vom Verein.
Die Fragen stellte Ole Neugebauer für tagesschau.de