Feindbild Wissenschaft Pöbeleien, Drohmails und Ekelbriefe
Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die sich öffentlich zu Themen wie Corona-Pandemie oder Klimakrise äußern, werden immer häufiger bedroht und angefeindet.
Es ist erst wenige Tage her, da bezeichnete die Brandenburger CDU-Politikerin Saskia Ludwig den international bekannten Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber auf Twitter als "Ökofaschisten". Zuvor hatte er in einer Dokumentation seinen alten Vorschlag wiederholt, den CO2-Verbrauch jedes einzelnen Bürgers zu bemessen und zu bepreisen.
"Ökofaschismus ist ein neuer Eintrag in meiner Sammlung", sagt Schellnhuber im Interview mit rbb24 Recherche. Eigentlich würde er eine solche Anfeindung gar nicht ernst nehmen. "Aber wenn jemand, der gewählter Volksvertreter ist, mich quasi zum Abschuss freigibt, wird es wirklich gefährlich."
Sexistische Anfeindungen
Wenn Wissenschaftlerinnen wie die Wirtschaftsprofessorin Claudia Kemfert oder die Ethikrat-Vorsitzende Alena Buyx Beiträge in den sozialen Medien posten, lässt die Reaktion der "Wutbürger" nicht lange auf sich warten. Sie werden als "Systemhuren", "Dummschwätzer" oder gar als "Faschisten" beschimpft. Auf Twitter wird ihnen gedroht, sie würden noch erleben, was "nicht vergessen und nicht verzeihen" bedeute. "Nürnberg 2.0" stehe unmittelbar bevor, das Leben möge für sie fortan "eine Qual" sein und "hoffentlich kurz".
Dabei unterscheiden sich die Anfeindungen von Frauen häufig grundsätzlich von denen, die Männern gelten. "Da, wo Männer sehr oft inhaltlich angegriffen werden, werden Frauen sehr schnell auf ihr Äußeres reduziert", sagt die Juristin Anna Wegscheider von der Hilfsorganisation HateAid. "Ihr Geschlecht wird thematisiert. Sie werden herabgewürdigt und die Beleidigungen und Angriffe sind häufig sexualisiert." Die sexistischen Anfeindungen reichen vom Vorwurf der "Pummeligkeit" bis hin zu Vergewaltigungsfantasien und dem zynischen Hinweis: "Ich weiß, wo Deine Kinder zur Schule gehen."
Anfeindungen gegen Drosten
Ziel derartiger Angriffe sind auch Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten: der Meteorologe Özden Terli etwa, oder die Chemikerin Mai Thi. Prominenz schützt dabei nicht - im Gegenteil: Der Virologe Christian Drosten stand mit seiner großen öffentlichen Präsenz in der Pandemie-Zeit geradezu im Auge des "Wutbürger"-Orkans, genauso wie der scheidende RKI-Chef Lothar Wieler.
Zahlen der Berliner Staatsanwaltschaft, die in den vergangenen drei Jahren Dutzende Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Anfeindungen gegen die beiden einleitete, belegen das. Zwei internationale Studien - veröffentlicht in "Nature" (Oktober 2021) und "Science" (März 2022) - haben nachgewiesen, dass sich weltweit ein hoher Prozentsatz von Corona-Forscherinnen und -forschern wegen ihrer Arbeit bedroht fühlt.
Auch deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wurden für diese Studien befragt, allerdings fehlt eine nationale Auswertung. Aus der "Science"-Studie geht hervor, dass 38 Prozent der befragten 9585 Corona-Forscherinnen und -Forscher Anfeindungen erfahren haben. Für "Nature" wurden mehr als 300 von ihnen befragt: Demnach haben mehr als zwei Drittel negative Erfahrungen gemacht, nachdem sie in den Medien präsent waren. 15 Prozent erfuhren Todesdrohungen, 22 Prozent wurden physische oder sexuelle Gewalt angedroht.
rbb24-Recherche hat mit rund einem Dutzend betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gesprochen. Sie erzählen von Pöbeleien auf der Straße, von bedrohlichen E-Mails und Briefen. In einem Fall wurde ein Schreiben mit einem weißen Pulver verschickt, in einem anderen klebten Exkremente im Umschlag. Doch nur wenige sind bereit, über die Anfeindungen, denen sie ausgesetzt sind, öffentlich zu reden.
Klimaforscher seit Jahren angefeindet
Stefan Rahmstorf, Professor für Ozeanphysik am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), kennt die Anfeindungen schon seit Jahren. "Ich versuche, es einfach professionell zu nehmen", sagt er. "Und ich weiß ja, dass es nicht gegen mich persönlich geht, sondern denen gefallen die Ergebnisse der Klimaforschung nicht."
Die Umweltökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin verantwortet zahlreiche Studien, die belegen, dass wirksamer Klimaschutz nur mit einem Abschied von fossilen Energien möglich ist. Sie vermutet, dass es sich bei den zunehmenden Hass-Posts gegen sie auch um gezielte PR-Kampagnen der fossilen Industrie handelt, "die gerade mich im Blick haben, um gezielte Denunziationen und Diffamierungen zu machen". Ziel sei es, sie einzuschüchtern und ihr die Kompetenz abzusprechen. "Aber ich verstumme nicht. Im Gegenteil, mich spornt das eher noch an, noch lauter und deutlicher zu werden", sagt Kemfert.
Gefährliche Tendenz
Die These, dass es sich bei den Anfeindungen um orchestrierte Kampagnen handeln könnte, bestätigt auch der Extremismusforscher Gideon Botsch vom Moses Mendelssohn Zentrum der Universität Potsdam. "Es gibt Netzwerke, die das organisieren", sagt er. "Wir konnten deutlich beobachten, dass über bestimmte Internetplattformen gezielt dazu aufgerufen wurde, gegen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vorzugehen, und dass auch Tipps und Tricks verbreitet wurden, wie man das machen kann."
Die Tendenz sei gefährlich, das sehe man auch an den Bedrohungen, die Kommunalpolitikerinnen und -politiker seit einiger Zeit massiv treffen. Der Mord an Walter Lübcke oder an dem jungen Studenten, der an einer Tankstelle in Idar-Oberstein jobbte, seien die gewalttätigen Auswüchse dieser Atmosphäre: "Sie müssen ja nur eine kleine Zahl von Personen haben, die sich so weit radikalisieren, dass sie zum Handeln übergehen." Grundsätzlich sei Deutschland aber ein wissenschaftsfreundliches Land, betont Botsch.
Neue Notfall-Adresse
Der Bundesverband Hochschulkommunikation in Deutschland hat das Problem erkannt. Nachdem dort ein "rasanter Anstieg" von Anfragen und Fallberichten registriert wurde, soll noch im Frühjahr das Projekt "Scicomm-Support" starten - mit eigener Webseite, einem Rund-um-die-Uhr-Krisentelefon und einer bundesweiten zentralen Anlaufstelle, wenn es um psychologische, juristische und kommunikationsstrategische Fragen der betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geht. Unterlegt ist das Ganze mit einer mittleren sechsstelligen Finanzierungssumme, die vom Verband und einigen Stiftungen kommen soll.
Julia Wandt, im Rektorat der Universität Freiburg zuständig für sämtliche Kommunikationsfragen, hat das Projekt mit initiiert. "Das Schlimmste ist, wenn sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zurückziehen aus der Öffentlichkeit", sagt Wandt. Wenn am Ende statt einer faktenbasierten Diskussion, für die die Wissenschaft die Grundlagen liefert, nur noch Meinungen und Fake-News den Diskurs bestimmen, dann stehe es schlecht um die Grundwerte der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit.