Ukraine-Konflikt Wie erklärt man Kindern den Krieg?
Der Krieg in der Ukraine ist allgegenwärtig. Bilder im Fernsehen, Gespräche unter Erwachsenen, Sorgen der Eltern - das bekommen auch Kinder mit. Kindertherapeut Huss erklärt, wie Eltern mit dem Thema Krieg umgehen sollten.
tagesschau.de: Wie sollten Eltern gegenüber ihren Kindern mit dem Thema Krieg umgehen?
Michael Huss: Eltern sollten das Thema bewusst ansprechen. Sie sollten den Krieg nicht verschweigen oder schönreden. Gleichzeitig sollten Erwachsene das Thema aber auch nicht dramatisieren oder emotionalisieren. Am besten reden Erwachsene nüchtern und sachbezogen darüber mit einem offenen Ohr für die Fragen der Kinder. Aber dann muss man auch ein Ende finden und nicht die ganze Zeit über Krieg reden.
tagesschau.de: Machen wir es konkret, wie genau können Eltern ihren Kindern das Thema erklären?
Huss: Konkret könnten Eltern beispielsweise zu ihren Kindern sagen: Wir leben in einer schwierigen Zeit. Es gibt Krieg in einem Land in unserer Nähe. Das macht uns Erwachsenen Sorgen, weil das schlimm ist für die Menschen, die dort leben. Aber bei uns im Land ist dieser Krieg nicht.
Prof. Dr. Michael Huss ist seit 2007 Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie an der Universitätsmedizin Mainz; sowie seit 2018 Ärztlicher Direktor der Rheinhessen-Fachklinik Alzey.
"Besser durch die Eltern als auf dem Spielplatz"
tagesschau.de: Ab welchem Alter sollten Eltern mit ihren Kinder über das Thema Krieg sprechen?
Huss: Da möchte ich bewusst kein konkretes Alter nennen, es kommt sehr auf das einzelne Kind und seine Fragen an. Eltern sollten sich auf ihr Gefühl verlassen. Es gibt Kinder, die sind sehr wissbegierig, mit denen kann man erstaunlich früh über das Thema reden. Eltern brauchen ihre Kinder nicht in Watte einpacken. Es ist immer besser, Kinder erfahren von sowas durch ihre Eltern als auf dem Spielplatz oder aus den Medien.
tagesschau.de: Es gibt schlimme Bilder in Kriegszeiten, inwiefern sollten Eltern ihre Kinder davor schützen?
Huss: Bilder haben eine sehr viel stärkere psychische Wirkung als Worte oder Text. Deshalb sollten Eltern vermeiden, dass stark belastende Bilder von schwer verletzten oder verzweifelten Menschen geschaut werden.
Zwar ist mein Eindruck, dass bei den öffentlich-rechtlichen Medien die notwendige Sensibilität existiert, es werden keine Leichen gezeigt, man sieht Raketeneinschläge nur aus der Ferne, dennoch würde ich jetzt nicht regelmäßig mit Kindern Nachrichtensendungen für Erwachsene verfolgen. Ich würde da eher auf Kinderformate setzen, zum Beispiel im KiKa. Die achten dann auch auf pädagogische Schutzfaktoren. Je nach individueller Reife können Jugendliche so mit 13 oder 14 Jahren dann normale Nachrichten mitschauen.
"Eltern repräsentieren den Gefährdungsgrad"
tagesschau.de: Jugendliche kommen in den sozialen Medien mit durchaus schlimmen Kriegsbildern in Berührung, wie sollten Eltern sich da verhalten?
Huss: Mediennutzung und -kompetenz lässt sich nicht von heute auf morgen vermitteln. Es ergibt daher wenig Sinn, nun zu versuchen, Jugendlichen die Nutzung sozialer Medien zu verbieten. Daher würde ich das eher laufenlassen, aber mit den Jugendlichen im Gespräch bleiben und fragen, ob die Bilder sie belasten. Sollten die Bilder die Jugendlichen nicht mehr loslassen, kann auch die Empfehlung angebracht sein, sich nicht den ganzen Abend Kriegsbilder reinzuziehen.
tagesschau.de: Wie sollten Eltern auf mögliche Ängste ihre Kinder reagieren?
Huss: Mögliche Belastungen lassen sich oft beim Schlafengehen erkennen. Wenn Kinder im Moment nicht gut einschlafen, können Eltern ihre Kinder unterstützen, zum Beispiel über die Sorgen sprechen, einen Tee kochen, ein Licht anmachen, die Zimmertüre offen lassen oder vorübergehend das Kind im Elternbett übernachten lassen. Auf jeden Fall sollten Eltern die Ängste ernst nehmen, aber nicht weiter schüren. Die Gefahr von Angststörungen bei Kindern sehe ich aktuell nicht.
tagesschau.de: Wie sollten Eltern in der aktuellen Situation mit den eigenen Ängsten umgehen?
Huss: Da sollten Erwachsene sehr zurückhaltend sein. Kinder orientieren sich an dem Verarbeitungsmodell der Eltern. Wenn die Eltern Panik kriegen, dann wissen Kinder, es ist was Schlimmes passiert. Die Eltern repräsentieren den Gefährdungsgrad der Situation. Sollte die aktuelle Situation Eltern Angst machen, dann sollten sie das nicht ungefiltert an ihre Kinder durchlassen, das ist wichtig. Eltern sollten Gefahren nicht ignorieren, aber realistisch betrachten und nicht zusätzliche Ängste schüren.
Das Interview führte Johanna Wahl, SWR