Polizisten führen eine Person auf einer Demonstration ab.
interview

Nach Demos in Leipzig "Es braucht jetzt Ruhe und Gelassenheit"

Stand: 05.06.2023 20:33 Uhr

Nach dem "Tag X" steht das Handeln von Polizei und Stadt in Leipzig in der Kritik. Im Interview verteidigt der Bundestagsabgeordnete Fiedler die Behörden und plädiert gegen Aktionismus in der Linksextremismus-Debatte.

tagesschau.de: Herr Fiedler, Sie haben im Vorfeld die weitreichenden Einschränkungen von Versammlungen in Leipzig bis hin zu einem Demonstrationsverbot verteidigt. Ist das Verbot aus heutiger Sicht zu Recht ergangen?

Sebastian Fiedler: Das Verbot von Versammlungen war offenkundig rechtsstaatlich geboten. Es gab im Vorfeld viele Gewaltankündigungen. Dadurch war klar, dass die Grenzen des Versammlungsrechts überschritten werden würden. Gerichte haben diese Sicht bestätigt.

Am Wochenende kam es dann trotzdem zu massiven Gewaltausbrüchen und verletzten Polizisten. Schwerer Landfriedensbruch steht in Rede. Das sind keine harmlosen Tage gewesen.

Sebastian Fiedler
Zur Person
Sebastian Fiedler sitzt seit 2021 für die SPD im Bundestag. Der kriminalpolitsche Sprecher seiner Fraktion war zuvor Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK).

tagesschau.de: Wie bewerten Sie die Taktik der Polizei, an der es auch Kritik aus der SPD gibt?

Fiedler: Ich kenne das Vorgehen nicht im Detail. Aber ich kann jedenfalls nicht erkennen, dass die Polizei gravierende Fehler gemacht hat. Ganz im Gegenteil. Bei den Demos haben sich viele Personen weit außerhalb des Demonstrationsrechts bewegt.

Keine Rechtfertigung für Gewalt

tagesschau.de: Die Kritik richtet sich unter anderem gegen einen Polizeikessel, in dem Menschen bis zu elf Stunden ausharren mussten.

Fiedler: Die Polizei hat versucht, die Lage so gut wie möglich im Griff zu behalten. Wenn es zu schwerem Landfriedensbruch gekommen ist, dann ist sie in der Pflicht, die Personalien festzustellen und Strafverfahren einzuleiten. Deshalb der Kessel. Es mag sein, dass das eine Weile gedauert hat. Aber es hat nicht normale Demonstranten oder zufällige Spaziergänger getroffen, sondern offenkundig diejenigen, die im Verdacht dieser schwerwiegenden Gewalttaten standen. Die Versammlung war vorher aufgelöst worden.

tagesschau.de: Die Zusammensetzung der Menschen im Kessel schätzen Beobachter vor Ort anders ein. Und Ihr Parteikollege aus Sachsen, Albrecht Pallas, der wie Sie Polizist ist, sagt allgemein, die Massivität der Polizeipräsenz habe eine eskalierende Wirkung gehabt, was überwiegend Unbeteiligte getroffen habe. Trifft das nicht zu?

Fiedler: Das kann ich nicht bewerten, weil ich nicht vor Ort war. Aber Ursache und Wirkung sind hier doch klar verteilt. Überhaupt gar nichts rechtfertigt, dass man Steine oder Brandsätze auf Polizisten wirft.

tagesschau.de: Es hieß im Vorfeld, die friedliche linke Szene solle auf gewaltbereite Gruppen einwirken. Das ist laut Berichten kaum bis gar nicht gelungen. Liegt das nicht auch am massiven Auftreten der Polizei?

Fiedler: Wer Gewalttaten an Polizisten begeht, der begeht sie an uns selbst, an der Gesellschaft. Dafür gibt es keine Rechtfertigung. Das hängt auch nicht mit einem "Auftreten der Polizei" oder dergleichen zusammen. Wer so etwas macht, der ist schon vorher völlig verblendet gewesen.

Dieser Teil der linksextremen Szene verfolgt schon lange das ideologische Programm, unseren freiheitlich demokratischen Rechtsstaat zu beseitigen und unter anderem die Polizei abzuschaffen. Gewalt halten sie für legitim. Niemand von denen hat sich das erst an diesem Wochenende überlegt.

Behörden strukturell gut aufgestellt

tagesschau.de: Bundesinnenministerin Faeser will die gewaltbereite linksextremistische Szene jetzt "ganz genau im Fokus" behalten. Aus Sachsen fordert CDU-Innenminister Armin Schuster ein bundesweites Gesamtkonzept gegen Linksextremismus. Da stellt sich die Frage: Was haben die Behörden denn bislang gemacht?

Fiedler: Die kriminalstrategischen Schwerpunkte von Bund und Ländern lagen in der Vergangenheit nicht beim Linksextremismus. Wir haben uns vor allem anlassbezogen, etwa beim Hambacher Forst, damit befasst.

Der Bund hat da aber nur eingeschränkte Kompetenzen. Qua Aufgabenverteilung sind zunächst die Länder in der Pflicht. Die haben ein massives Ressourcenproblem. Sie müssen sich hier personell verstärken und Konzepte harmonisieren. Daher ist es sinnvoll, wenn sich die Innenministerkonferenz dem am Donnerstag annehmen sollte. 

Strukturell sind viele Vorkehrungen längst getroffen. Es gibt das Gemeinsame Extremismus-und Terrorismusabwehrzentrum, das GETZ. Über 40 Landes- und Bundesbehörden sind dort vertreten und nehmen unter anderem den Linksextremismus in den Blick.

Und so schrecklich diese Ausschreitungen in Leipzig sind: Man kann daraus nicht schließen, dass wir strukturell falsch aufgestellt sind. Bislang war der Linksextremismus nur eben kein politischer Schwerpunkt.

tagesschau.de: 2022 wurden laut BKA-Statistik die wenigsten links motivierten Gewalttaten in den vergangenen zehn Jahren erfasst. Sie liegen deutlich unter den Werten rechtsextrem motivierter Taten. Ist die aktuell verstärkte Diskussion um Linksextremismus gerechtfertigt?

Fiedler: Zum Teil. Ich kritisiere seit vielen Jahren eine reaktive Kriminalpolitik, die von einzelnen Ereignissen getrieben wird. Worüber wir jetzt diskutieren, steht schon lange analytisch präzise in den Verfassungsschutzberichten des Bundes und der Länder. Da ist aufgeschrieben, wie viele gewaltorientierte Linksextremisten wir haben und was das im Detail bedeutet, diese Gewalttätigkeiten. Die Ereignisse in Leipzig dürften uns nicht völlig überrascht treffen.

Ich halte wenig von politischem Aktionismus. Es braucht jetzt Ruhe und Gelassenheit für eine strategische Aufstellung der Behörden. Die muss ausgewogen sein. Extremistische Strömungen kann man nicht in drei Wochen abbauen. Und Nummer eins ist und bleibt dabei der Rechtsextremismus. Denn der trifft den Staat von innen.

Das Gespräch führte Thomas Vorreyer, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 05. Juni 2023 um20:05 Uhr.