Sozialverbände kritisieren Kürzungen "Dann gibt es kein soziales Netz mehr"
Caritas und Diakonie schlagen Alarm: Der Bund will weniger Geld für Kinder- und Jugendhilfe, Migrations- und Schuldnerberatung ausgeben. Die Sozialverbände befürchten Risse im sozialen Netz.
Immer mehr Menschen in Deutschland haben finanzielle Sorgen. Sie stehen bei der Suppenküche an, um eine warme Mahlzeit zu bekommen, oder gehen zur Schuldnerberatung. Oft springen die Sozialverbände ein, wenn Not ist. Aber im Bundeshaushalt werden viele Posten zusammengestrichen, von der Migrationsberatung über Psychosoziale Zentren bis hin zur Müttergenesung.
Andrea Betz ist zutiefst besorgt. Die Chefin der Diakonie München und Oberbayern fürchtet massive Einschnitte bei der Beratung: "Wir werden eine alleinerziehende Mutter abweisen müssen. Wir werden traumatisierte oder kranke Menschen abweisen müssen." Das entspreche nicht ihrem Verständnis von sozialer Gerechtigkeit, so Betz.
Bund plant Einsparungen
Die evangelische Diakonie ist nicht allein betroffen, auch den anderen Wohlfahrtsverbänden sollen die Mittel gekürzt werden. Die Präsidentin des katholischen Caritas-Verbands Deutschlands, Eva Maria Welskop-Deffaa, wundert sich über die Bundesregierung. Noch zu Zeiten der Corona-Pandemie habe sie gesagt, die Wohlfahrtsverbände seien das Gerüst der sozialen Infrastruktur. Offenbar habe man in Berlin die Erfahrungen der Corona-Zeit vergessen, sagte Welskop-Deffaa beim Jahrestreffen der deutschen Caritas-Delegierten in München.
Im Regierungsentwurf für den Haushalt 2024 hat das Bundesfinanzministerium an vielen Stellen den Rotstift angesetzt. Zum Beispiel bei der Migrationsberatung für Erwachsene: Dort helfen die Beraterinnen und Berater beim Zugang zu Sprachkursen, beim Weg in die Ausbildung, zu einer eigenen Wohnung oder einem Arbeitsplatz. Die Bundesregierung will in Zukunft 24 Millionen Euro weniger zahlen, das wäre eine Kürzung um 30 Prozent. Gekürzt werden soll unter anderem auch bei der psychosozialen Betreuung traumatisierter Flüchtlinge. Hier sollen zehn Millionen Euro gestrichen werden.
"Dann gibt es kein soziales Netz mehr"
Die Caritas warnt, ohne eine solche Basisfinanzierung durch den Bund drohe den Einrichtungen das Aus. "Wenn man jetzt hier die Schere ansetzt", so Caritas-Präsidentin Welskop-Deffaa, "dann sind nicht nur einzelne Fäden durchschnitten, sondern die Knoten." Dann gebe es kein soziales Netz mehr und die Leute fielen ins Ungewisse.
Cornelia Thron, Geschäftsführerin des Caritas-Verbands im Landkreis Kronach, befürchtet auch bei der Wohnungslosenhilfe und bei der Kinder- und Jugendhilfe gefährliche Auswirkungen. Viele Familien wüssten bei steigenden Preisen immer weniger, wie sie ihren Lebensunterhalt bezahlen sollen. Jegliche Kürzung im Sozialsystem würde zur Vervielfachung der Probleme führen.
Verbände fordern Rücknahme der Kürzungen
Ihr Kollege Bernhard Mones vom Caritasverband der Diözese Görlitz spricht von einem "Schlag gegen die Integrationsbemühungen für zugewanderte Menschen". Je kleiner diese Bemühungen, desto schwieriger sei dann die soziale und vor allem die berufliche Integration.
Mones sieht in den Kürzungsplänen noch ein anderes Problem: Werde der Rotstift auch bei den Freiwilligendiensten angesetzt, hätten junge Menschen weniger Möglichkeiten, sich für einen Beruf in den sozialen Diensten zu interessieren und zu begeistern. Das sei ein "Schlag ins Gesicht für die Nachwuchsförderung". Zahlreiche Sozialverbände fordern deshalb bei den laufenden Haushaltsberatungen im Bundestag die Rücknahme der Kürzungen.