Vater des Hanau-Attentäters "Er spielt mit unserem Schmerz"
Hanau kommt auch knapp drei Jahre nach dem rassistischen Attentat mit neun Toten nicht zur Ruhe. Überlebende und Hinterbliebene fühlen sich durch den Vater des Täters bedroht. Eine Lösung ist nicht in Sicht.
Der Mann sei mit seinem Schäferhund schon öfter demonstrativ vor ihrem Haus aufgetaucht. So beschreibt Serpil Unvar Begegnungen mit dem Vater von Tobias Rathjen, der ihren Sohn Ferhat umgebracht hat. Der 75-Jährige habe sie mit rassistischem Unterton nach ihrer Herkunft gefragt und warum sie nach Deutschland gekommen sei - eine für sie bedrohliche Situation. "Er spielt mit unserem Schmerz, er spielt mit unserer Trauer", sagt sie.
Der Vater des Täters, die Überlebenden und auch die Hinterbliebenen leben nach wie vor in unmittelbarer Nachbarschaft im Hanauer Stadtteil Kesselstadt. Das Reihenhaus, in dem der Vater des Täters weiterhin lebt, liegt nur wenige hundert Meter entfernt von dem Platz, auf dem sein Sohn Tobias mehrere Menschen erschoss. Offenbar teilt er das rechtsextreme Weltbild seines Sohnes.
Der ermordet am 19. Februar 2020 aus rassistischen Gründen neun Menschen. Vorher stellt Tobias Rathjen Texte und Video ins Netz, die sein Weltbild offenbaren. Nach seinen Morden kehrt der 43-Jährige in das Reihenhaus, in dem er zusammen mit seinen Eltern lebte, zurück. Dort erschießt der offenbar psychisch gestörte Sohn erst seine bettlägerige Mutter und dann sich selbst. Sein Vater bleibt unversehrt.
Kein Beleg für direkte Tatbeteiligung
Die Polizei nimmt den 75-Jährigen kurz danach in seinem Reihenhaus fest, in dem er noch heute wohnt. Allerdings finden die Ermittler nichts, was eine direkte Tatbeteiligung des Vaters belegt. Es wird aber deutlich, dass er ähnlichen Verschwörungstheorien und rechtsextremen Vorstellungen anhängt wie sein Sohn. Der Polizei sagt er später, sein Sohn sei das Opfer einer weltweit agierenden Geheimdienstorganisation.
Familie Unvar findet das Treiben des 75-Jährigen immer bedrohlicher. Sie erstatten schließlich Anzeige und erwirken per gerichtlichen Beschluss ein Kontaktverbot. "Die Polizei steht von fünf Uhr morgens bis 23 Uhr in der Nacht vor der Haustür der Unvars", sagt Newroz Duman, die Sprecherin der "Initiative 19.Februar", in der sich Überlebende und Hinterbliebene der Terrornacht zusammengeschlossen haben. Der Vater soll dennoch versucht haben, sich der Familie zu nähern. Die Polizei will sich aus polizeitaktischen Gründen nicht äußern.
Anklage wegen Beleidigung
Im September dieses Jahres muss sich der 75-Jährige in einem Prozess auch wegen Beleidigung verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, Menschen, die in der Nähe seines Wohnhauses demonstriert hatten, darunter auch Angehörige der Opfer seines Sohnes als "wilde Fremde" beschimpft zu haben. Zusätzlich habe er eine Polizeieinheit, die in der Tatnacht in seinem Haus war, als "Terrorkommando" und "Terroreinheit" bezeichnet.
Der Vater nutzt den Prozess, um stundenlang seine wirre Weltsicht auszubreiten. Er behauptet etwa, sein Sohn habe eine Geheimorganisation aufgedeckt. Das Gericht verurteilt den Vater wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 4800 Euro, wogegen sowohl Verteidigung als auch Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt haben.
Die Angehörigen und Hinterbliebenen wünschen sich sehnlichst, der Vater des Täters möge aus ihrem Leben verschwinden. Doch der will den Stadtteil nicht verlassen, zwingen kann man ihn nicht. Und so werden die Auseinandersetzungen in Hanau-Kesselstadt wohl weitergehen.