Gruppenanträge Warum ein AfD-Verbot Thema im Bundestag wird
Das von einigen Bundestagsabgeordneten angestrebte AfD-Verbotsverfahren wird heute im Bundestag diskutiert. Welche Vorschläge gibt es? Und was sind die Argumente für ein Verbot? Ein Überblick.
Kurz vor der Bundestagswahl sprechen sich Vertreter verschiedener Parteien für ein AfD-Verbotsverfahren aus. Aus ihrer Sicht drängt die Zeit: Umfragen zufolge könnte die AfD nach der Wahl ihren Sitzanteil etwa verdoppeln und damit eine Mehrheit unwahrscheinlicher machen.
Kritiker hingegen warnen, dass ein Verfahren sehr langwierig und der Ausgang in Karlsruhe offen wäre. Zudem gibt es Bedenken, eine Partei mit hoher Wählerzustimmung zu verbieten. Und die AfD sieht die Diskussion als Kampagne gegen sich.
Wie kann eine Partei überhaupt verboten werden?
Eine politische Partei kann in Deutschland nur vom Bundesverfassungsgericht verboten werden. Den Antrag dafür können die Bundesregierung, der Bundestag oder der Bundesrat stellen. Die Richter in Karlsruhe würden dann prüfen, ob die AfD nach Artikel 21 Grundgesetz verfassungswidrig ist. Wörtlich heißt es dort:
Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.
Wann die grundgesetzlichen Voraussetzungen für ein Verbot erfüllt sind, definierte das Bundesverfassungsgericht im NPD-Urteil vom Januar 2017. Das Gericht machte aber auch klar: Ein Parteiverbot kann nur im extremen Ausnahmefall erfolgen. Denn es stelle "die schärfste und überdies zweischneidige Waffe des demokratischen Rechtsstaats gegen seine organisierten Feinde dar".
Vereinfacht gesagt müssen dafür zwei Dinge zusammenkommen: eine inhaltliche Verfassungswidrigkeit und eine gewisse Wirkmacht der Partei. Unbedeutende Parteien, die mangels politischer Relevanz gar nicht in der Lage sind, ihre Ziele umzusetzen, können also trotz inhaltlicher Verfassungswidrigkeit nicht verboten werden.
Welche Anträge gibt es?
Ein unter anderem von Carmen Wegge (SPD), Marco Wanderwitz (CDU), Till Steffen (Grüne), Martina Renner (Linke) und Stefan Seidler (SSW) eingebrachter Antrag zielt darauf ab, dass der Bundestag die Einleitung eines Parteiverbotsverfahrens gegen die AfD beschließt.
In dem Antrag heißt es, die AfD richte sich gegen zentrale Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung: "Die Würde des Menschen sowie das Diskriminierungsverbot werden durch die AfD, ihre führenden Funktionäre sowie zahlreiche Mandatsträger und Mitglieder mittlerweile unverhohlen infrage gestellt. Die Rechte von Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderungen oder solcher mit nicht heteronormativer Sexualität sowie Angehörigen autochthoner nationaler Minderheiten und Volksgruppen sollen nach dem Willen der AfD zugunsten einer völkisch-nationalen Stärkung eines vermeintlichen Deutschtums beschränkt oder beseitigt werden."
Wanderwitz verteidigte die kurz vor der Neuwahl des Bundestags gestartete Initiative. "Wenn uns das Verbotsverfahren nicht auf Sicht gelingt, dann können wir im Grunde die weiße Fahne hissen", sagte er vergangene Woche im Deutschlandfunk. Insgesamt stehen 113 Abgeordnete hinter dem Antrag.
Ein zweiter eingebrachter Antrag um die Grünen-Politikerin Renate Künast sieht vor, den Bundestag zunächst Gutachter die Erfolgsaussichten eines entsprechenden Verfahrens prüfen zu lassen und dann über die mögliche Einleitung zu entscheiden.
Ein Parteiverbotsverfahren könne nur Erfolg haben, wenn eine umfassende Grundlage an belastbaren Beweisen vorliege, so Künast. In dem Antrag der 43 Grünen-Abgeordneten heißt es: "In Ausübung der Verantwortung, die dem Deutschen Bundestag obliegt, ist es daher richtig, sich jetzt das Material für eine gründliche Prüfung zu verschaffen und dann auf Grund einer fundierten Begutachtung über das Stellen eines Verbotsantrages zu entscheiden."
Wie lange würde ein Verbotsverfahren dauern?
Genau prognostizieren kann man das nicht. Das jüngste gerichtliche Verbotsverfahren gegen die NPD hat etwas länger als drei Jahre gedauert: Von der Einreichung des Antrags im Dezember 2013 über die mündliche Verhandlung im März 2016 bis zum Urteil im Januar 2017.
Allerdings lag seinerzeit das letzte Urteil in einem Parteiverbotsverfahren schon mehr als 70 Jahre zurück. Karlsruhe musste darum zunächst die rechtlichen Maßstäbe für ein Parteiverbot in die Gegenwart übertragen. Das wäre nun nicht mehr in nötig - und eine kürzere Verfahrensdauer als bei der NPD daher möglich.
Ganz schnell würde es aber trotzdem nicht gehen. Denn auch in einem neuen Verbotsverfahren müsste das Bundesverfassungsgericht alle vorgebrachten Belege genau prüfen, was eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt.
Wie sind die Erfolgsaussichten für ein Parteiverbot?
Die Hürden für ein Parteiverbot sind hoch. Das Grundgesetz sagt ausdrücklich, dass Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken. Und das kann durchaus auch abseitige oder extreme Ansichten einschließen.
In juristischen Kreisen gibt es Stimmen, die für die Stellung eines Verbotsantrags werben und einem solchen gute Erfolgsaussichten bescheinigen. Aber auch solche, die sich bei Prognosen deutlich zurückhaltender äußern. Im Vergleich zur NPD liefert das Parteiprogramm der AfD deutlich weniger offenkundige Anknüpfungspunkte für ein mögliches Verbotsverfahren. Man müsste also mehr auf öffentliche Aussagen der Parteispitzen, das Verhalten der AfD-Anhänger und auch das Verhalten der Partei in den Parlamenten abstellen.
Eine Rolle im Verfahren dürfte sicher auch spielen, wie die Partei mit erwiesenen extremistischen Vorfällen im eigenen Lager umgeht und welches Menschenbild sie tatsächlich vertritt. Die Belege, die der Verfassungsschutz auf Bundes- und Landesebene bislang gesammelt hat, könnten eine Grundlage für einen Verbotsantrag liefern. Aber aus dessen Einstufung einzelner AfD-Landesverbände als "gesichert rechtsextremistisch" muss nicht zwingend auch ein Verbot der Partei erfolgen. Das sind unterschiedliche Verfahren.
Welche Einschätzung hat der Verfassungsschutz?
Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet die AfD seit 2021 als rechtsextremistischen Verdachtsfall. Die Einstufung der Bundespartei von einem bloßen Verdachtsfall zu "gesichert extremistisch und verfassungsfeindlich" galt bis vor wenigen Wochen als sehr wahrscheinlich. Doch vor der Bundestagswahl ist mit keiner Neubewertung mehr zu rechnen, um die Chancengleichheit der Parteien vor der Wahl nicht zu verletzen.
"Gesichert extremistisch" ist die höchstmögliche Kategorie, die der Verfassungsschutz einem Beobachtungsobjekt geben kann. Sie gilt für die Landesverbände der AfD in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Laut Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung gab es auch im Verfassungsschutz Brandenburg konkrete Pläne, den Landesverband der AfD als "erwiesen rechtsextrem" hochzustufen. Wegen der vorgezogenen Bundestagswahl wurde dies bislang nicht öffentlich gemacht.
Auch die Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) wird bundesweit als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Sie gilt als noch radikaler als die Mutterpartei. Beim Parteitag in Riesa hat die AfD nun beschlossen, sie durch eine neue Organisation zu ersetzen. Dadurch erhofft sich die AfD-Spitze nach eigener Aussage mehr Durchgriff etwa bei Fehlverhalten. Experten sehen als Motivation auch, dass die AfD-Jugend, wenn sie kein eigenständiger Verein mehr ist, besser vor einem möglichen Verbot geschützt wäre.
Welche anderen Einschätzungen gibt es?
Für ein AfD-Verbotsverfahren argumentierten im November einige Rechtswissenschaftler. Ein Verbotsverfahren hat ihrer Ansicht nach Aussicht auf Erfolg. Eine "völkisch-nationalistische Ideologie" werden von einer Breite der Partei getragen. Die "identitäre Volks- bzw. Gesellschaftskonstruktion, zu Lasten individueller Menschenrechte" stehe in klarem Widerspruch zur Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes.
Auch das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) hält die fraktionsübergreifende Initiative von Bundestagsabgeordneten für ein Verbot der AfD für aussichtsreich. "Das Instrument des Verbotsverfahrens einer Partei ist aus historischer Erfahrung für eine Situation wie die jetzige geschaffen worden", heißt es in einer Mitteilung.
Es gibt aber auch Zweifel unter Rechtsexperten: Unter anderem der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hatte sich in der Vergangenheit skeptisch gezeigt, ob ein solches Verfahren erfolgreich sein könne und zu einem vorsichtigen Umgang mit dem "scharfen Schwert" des Parteiverbots geraten.
Wie geht es weiter?
Wie viel Unterstützung die Anträge im Bundestag bekommen, ist unklar. Die Parteispitzen zeigten sich bisher zurückhaltend. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) etwa hatte sich im Dezember gegen ein AfD-Verbotsverfahren ausgesprochen. Zunächst sollten die Verfassungsschutzbehörden ihre Beobachtung fortsetzen und Material sammeln. Auch CDU-Chef Friedrich Merz und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatten betont, dass sie den Vorstoß deutlich ablehnen.
Heute ist zu den Anträgen im Bundestag eine Debatte von etwa 70 Minuten eingeplant. Zur weiteren Beratung werden sie dann an den Ausschuss für Inneres und Heimat überwiesen.
Mit Informationen von Christoph Kehlbach, ARD-Rechtsredaktion