Endlagerpläne der Schweiz "Atommüll - das rüttelt wach"
Die Schweiz will ein Atommüll-Endlager an der deutschen Grenze errichten - quasi in Sichtweite der Gemeinde Hohentengen in Baden-Württemberg. Die Menschen sind besorgt - und misstrauisch.
Rosi Drayer ist fassungslos - und auch ein bisschen aufgeregt. Seit Jahren ist sie in der Anti-AKW-Bewegung aktiv. Oft wollte ihr in der Vergangenheit keiner zuhören. Nun aber aber richten sich Kameras auf die Gemeinde Hohentengen in Baden-Württemberg und Drayer gibt Interviews.
"Sicher ist nur das Risiko" ist auf einem Transparent ihrer etwa ein Dutzend Mitstreiter zu lesen, sie verteilt Flugblätter, auf denen von einer "Standortentscheidung mit vielen Fragezeichen" die Rede ist. Und die Menschen? Hören ihr zu. "Ich glaube, die Menschen wachen jetzt hier auf. Hier kommt ein Atommüllendlager unter ihrem Boden, das rüttelt wach."
"Die Menschen wachen jetzt auf": Anti-AKW-Aktivistin Rosi Drayer
Der "Boden", das ist das Gebiet "Nördlich Lägern" auf der anderen Seite der Grenze. Eine Fläche von mehreren Quadratkilometern in der benachbarten Schweiz, Felder und Wiesen, direkt an der Grenze zu Deutschland - wo man über diesen Plan nicht erfreut ist. Vom grenznahen Hohentengen sind es nur zwei Kilometer bis zum geplanten Schweizer Endlager.
Muss das wirklich hier sein?
Fragt man bei einigen der knapp 4000 Einwohner von Hohentengen nach, ist die Stimmung eindeutig: "Für uns ist es bedrückend, beängstigend und nicht ganz nachvollziehbar", sagt ein Mann. Eine Mutter schaut besorgt auf die Zukunft und die ihrer Kinder. Und einer zweifelt an der Eignung des Standortes: "Man muss sich schon fragen, auch geologisch, ob das wirklich an der deutsch-schweizerischen Grenze sein muss", gibt er zu bedenken.
Geht es nach der Nagra, der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle in der Schweiz, muss es in diesem Grenzgebiet sein, denn hier habe man die geologisch beste Situation vorgefunden: ein großes Gebiet aus Opalinuston, tief unter der Erde. Hier sollen in Zukunft die radioaktiven Abfälle aus Atomkraftwerden, Industrie und Forschung der gesamten Schweiz in Hunderten Metern Tiefe eingebettet werden. "Dieses Gestein ist sehr dicht und es bindet radioaktive Materialien quasi wie ein Magnet", erklärt Matthias Braun, der Leiter der Nagra Schweiz.
Auswirkungen auf das Grundwasser?
Und doch reagiert man auf deutscher Seite verhalten bis misstrauisch. "Das Wichtigste ist natürlich das Thema Sicherheit", sagt Martin Benz, seit mehr als 30 Jahren der Bürgermeister von Hohentengen. Dennoch, oder gerade deshalb, fordert er weitere Untersuchungen. "Es müssen Aussagen zu radiologischen, zu radioaktiven Auswirkungen, zu Störfällen gemacht werden. Uns machen die Auswirkungen auf das Grundwasser erhebliche Sorgen."
Bürgermeister Benz: "Das Wichtigste ist natürlich das Thema Sicherheit."
Dabei kommt der geplante Standort an der Schweizer Grenze keinesfalls überraschend. Seit fast 50 Jahren sucht die Nagra nach dem besten Platz für den Schweizer Atommüll - drei Standorte wurden in die nähere Auswahl genommen, einer davon war "Nördlich Lägern" am Hochrein. 2015 dann ein Rückzug: "Nördlich Lägern" sei als Standort ungeeignet, hieß es. Eine Kehrtwende, die keineswegs politisch, sondern rein geologisch begründet sei: "Es hat sich herausgestellt, dass die Festigkeit des Gesteins etwa doppelt so gut ist, wie das damals im vorsichtigen Szenario bewertet wurde", erläutert Nagra-Chef Braun.
Nagra-Chef Braun: "Dieses Gestein bindet radioaktive Materialien quasi wie ein Magnet."
Kehrtwende sorgt für Misstrauen
Und doch ist es eben diese Kehrtwende, die für Misstrauen sorgt auf deutscher Seite. "Wir haben immer gesagt, wenn es der sicherste Standort ist, dann tragen wir das mit", sagt Hohentengens Bürgermeister Benz. "Aber noch 2015 hat man uns vollmundig erklärt, jeder renommierte Experte würde raten, die Finger von diesem Standort zu lassen. Wir haben also durchaus noch Gesprächsbedarf."
Rosi Drayer hofft nun durch die neu entflammte Diskussion auf einen Zulauf ihrer Bürgerinitiative. "Wir haben so viele Neuanmeldungen für unseren Verein. Wir haben immer gedacht, die Menschen hier sind weniger an dem Thema interessiert." Das habe sich nun geändert.
In Kürze soll es in der Hohentengener Mehrzweckhalle eine Informationsveranstaltung zum geplanten Schweizer Endlager geben. Mit dem Bürgermeister, mit einem Vertreter der Nagra - und mit vielen empörten Bürgerinnen und Bürgern. Das hofft zumindest Rosi Drayer.