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Baerbock nach Sicherheitskonferenz Schuldenbremse ändern, um Europas Frieden zu retten

Stand: 16.02.2025 16:37 Uhr

Europa dürfe sich vom verwirrenden Verhalten der USA nicht kirre machen lassen und müsse die Ukraine weiter unterstützen, sagt Außenministerin Baerbock im ARD-Interview. Für Deutschland bedeute das: die Schuldenbremse flexibilisieren.

ARD: Auf einmal soll alles sehr schnell gehen. US-Medien berichten von direkten Verhandlungen zwischen Russland und den USA auf Ministerebene noch in der kommenden Woche und einem möglichen Gipfel zwischen Trump und Putin noch im Februar. Wie ist Ihr Stand?

Annalena Baerbock: Sehr unterschiedlich. Ich habe hier mit dem amerikanischen Außenminister zusammengesessen, in Vier-Augen-Gesprächen, im Kreis der G7-Staaten. Und da wurde deutlich gemacht, dass es eine andere Geschwindigkeit gibt. Das wissen wir auch schon aus der Trump-1-Administration. Zugleich war der Außenminister noch selber nicht im Bilde, wann, wo welche Gespräche stattfinden.

Ich glaube, das ist wichtig in dieser Situation, die natürlich alles andere als einfach ist, dass man sich nicht kirre machen lassen darf, sondern dass man verstehen muss, dass das eine andere Arbeitsweise ist, die dieser neue US-Präsident hat. Es gibt unterschiedliche Akteure, die parallel zueinander agieren: Sonderbeauftragte für die Ukraine, den Außenminister, den Vizepräsidenten - und dass die gerade auf unterschiedlichen Pfaden unterwegs sind. Das, was wir hier vor allem mitnehmen, ist, dass dann daraus - und dann zwar schnell - eine gemeinsame Haltung gebildet werden kann.

Für uns ist das Wichtigste, dass wir sagen, wo wir stehen als Europäer. Wir stehen ein für unsere Werte, für unsere Interessen. Und unser wichtigstes Interesse ist, dass endlich wieder Frieden auf unserem europäischen Kontinent herrscht. Und deswegen kann es keine Gespräche über die Köpfe der Europäer hinweg geben.

"Ein Diktatfrieden ist kein Frieden"

ARD: Trump hat jetzt schon Einiges konkret gemacht: Er hat gesagt, es soll jetzt sehr schnell einen Waffenstillstand geben und Europa müsste dann mit Truppen diesen Frieden sichern - ohne Beteiligung von US-amerikanischen Truppen. Ist so ein Szenario für Sie überhaupt vorstellbar?

Baerbock: Einen Scheinfrieden oder ein Diktatfrieden ist kein Frieden. Das haben wir Europäer hier unisono deutlich gemacht, und zwar nicht nur EU-Staaten, sondern geschlossen mit den Briten.

Es ist vollkommen klar, dass dieses Desaster, was der russische Präsident über Europa gebracht hat, ein Ende finden muss. Aber es ist kein Ende, wenn es nur eine Vorbereitung zu einem weiteren Krieg, zu weiterer Gewalt ist. Wir haben das kleine Land Moldau, was seit drei Jahren fürchtet, dass Russland auch dort aktiv wird. Wir haben die Balten, die große Sorge haben. Und wir brauchen einen dauerhaften, verlässlichen Frieden für alle europäischen Länder und vor allen Dingen auch für die Zukunft, für uns selber, für unsere Kinder.

"Kein Gewinn für den amerikanischen Präsidenten"

ARD: Sie selber fordern es, das tut auch der Kanzler: Deutschland oder Europa muss an den Friedensgesprächen direkt beteiligt sein. Aber der US-Sondergesandte sagt, das sei unrealistisch. Ist der Zug da nicht schon abgefahren?

Baerbock: Nein, zum einen möchte ich noch mal unterstreichen: Ich meine, was wären wir für Politiker, was wären wir für ein Land, was wären wir für ein Europa, wenn Andere Dinge in die Welt tragen und wir sagen, 'das widerspricht zwar unserem eigenen Interesse, aber wir fügen uns einfach?' Europa ist stark und selbstbewusst und deswegen haben wir klar und deutlich gesagt - und ich wiederhole mich - alle Europäer mit den Briten zusammen: Es kann gar keinen Frieden geben...

ARD: Aber, Frau Baerbock, wie wollen Sie denn Trump überzeugen? Europa ist ja eben nicht stark. Das hat der ukrainische Präsident Selenskyj auf der Sicherheitskonferenz sehr deutlich klar gemacht. Wie wollen Sie Trump überreden?

Baerbock: Es geht nicht um Überreden - auch hier ist es eine Haltungsfrage. Wenn wir duckmäuserisch in solche Gespräche gehen und sagen "bitte, bitte, bitte", dann wird man bei so einem Präsidenten nicht weiterkommen - ich glaube, das hat jeder in den letzten Jahren gesehen. Wir müssen deutlich machen, dass wir auch etwas in die Waagschale werfen.

Es gibt aber auch ein großes Interesse, dass Trump nicht als Verlierer dasteht. Und ein Frieden, der kein Frieden ist, weil die Ukraine ihn gar nicht mittragen kann, weil Europa ihn nicht mittragen kann, ist dann kein Gewinn für den amerikanischen Präsidenten. Sondern dann würde Putin als Gewinner dastehen.

Nicht zu unterschätzen auch die Rolle Chinas: Die schauen sich das ganze ja sehr interessiert an. Und auch das haben wir deutlich gemacht, wenn auf der Welt jetzt andere Akteure das Gefühl haben, man muss nur mit absoluter Brutalität gegen sein Nachbarland vorgehen und nach ein paar Jahren knicken dann die Amerikaner und die Europäer ein, dann würde man aus meiner Sicht eher als Schwächling dastehen und nicht als Gestärkter.

Wir Europäer müssen mehr tun. Ich habe hier vor einem Jahr auf der Sicherheitskonferenz deswegen für ein großes Finanzpaket geworben. Und dann auch dafür geworben, dass es weitreichende Waffen geben muss. Auch das habe ich gestern mit meinem französischen und britischen Kollegen auf dem Podium, die das ja bereits getan hat, deutlich gemacht. Und wir wurden hier gerade von den amerikanischen Vertretern gefragt: "If we go strong, will you follow us?" Und deswegen müssen wir so klar und deutlich sagen, wir können den Frieden nur durch Stärke gewinnen und deswegen müssen wir als Europäer mehr drauflegen.

"Schuldenbremse flexibilisieren, damit wir unseren Frieden retten"

ARD: Der Bundeskanzler forderte heute in einem Interview im Deutschlandfunk einen Notlagenbeschluss für mehr Hilfe noch vor der Bundestagswahl. Dafür gab es bis jetzt keine Mehrheit im Bundestag. Die Union andererseits wollte das Geld längst schon anders zur Verfügung stellen. Ist das jetzt noch realistisch vor der Wahl?

Baerbock: Die drei Milliarden Euro hätten wir bereits letzte Woche auf den Weg bringen können, wenn sich da nicht Einzelne gesperrt hätten. Wir hätten auch ein zweites Sondervermögen oder die Erweiterung der Schuldenbremse beschließen können.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz ist klar geworden - und das gebe ich an alle demokratischen Parteien hier nochmal weiter: Wenn wir verhindern wollen, dass andere über unsere Freiheit und Sicherheit entscheiden, dann müssen wir als Europäer klar sein. Deutschland ist das größte Land in Europa. Wenn Deutschland hier eine Rolle spielen möchte, dann muss man auch die Kraft und die Verantwortung in die Hand nehmen.

Ich werbe intensiv dafür, dass wir als Deutsche und Europäer für unseren Frieden einstehen, finanziell mit weiterer Unterstützung der Ukraine zur Verteidigung, weil ansonsten wird uns das in der Zukunft irgendwann unbezahlbar sein. Wenn wir unseren eigenen Frieden verloren haben und dann auf die Schulter klopfen: aber die Schuldenbremse haben wir gerettet. Es muss andersherum sein. Wir müssen die Schuldenbremse flexibilisieren, damit wir unseren Frieden in Europa retten.

ARD: Ist es dann heute nicht an der Zeit, die Deutschen noch vor der Wahl darauf vorzubereiten, dass es bei einer Friedenssicherung Bundeswehrsoldaten in der Ukraine geben kann?

Baerbock: Auch da bitte ich um Differenzierung. Ich habe ja bereits im Dezember deutlich gemacht: Elemente für Frieden bedeuten natürlich auch eine Friedenssicherungsmission. Dann haben bewusst Leute in Deutschland suggeriert, jetzt sofort Soldaten zu schicken. Darum geht es überhaupt gar nicht. Man kann in diesen Krieg keine deutschen Soldaten hereinschicken. Das ist klipp und klar und das ist die Position aller demokratischen Parteien...

ARD: ... es geht ja auch um eine Friedenssicherung...

Baerbock: ... genau - diese Frage gibt es jetzt aber noch gar nicht. Wenn die Frage kommt, werden ja viele andere Elemente wichtig sein. Wenn Putin sich entscheidet, dass er seine Truppen zurückzieht, weil er möchte, dass alle Sanktionen aufgehoben werden, dann ist es eine ganz andere Situation. Wenn die Ukraine ihr ganzes Staatsgebiet wieder zurück hat, dann reden wir über die Sicherung der Außengrenze der Ukraine. Dafür wäre eine NATO-Mitgliedschaft, eine EU-Mitgliedschaft hilfreich.

Wenn der russische Präsident sagt, ich ziehe überhaupt gar keine Truppen zurück, ich möchte sowas machen wie nach 2014 schon mal, dann müssen wir hoch alert sein. Weil wir haben gesehen, dass damals diese sogenannte Kontaktlinie, die von einer OSZE-Mission - also zivilen Kräften - überwacht worden ist, nur eine Vorbereitung für einen noch größeren Krieg ist. Wir müssen uns auf alle unterschiedlichen Fragen vorbereiten.

"Europäische Armee - für eine Zukunft irgendwann"

ARD: Präsident Selenskyj hat in München eine europäische Armee gefordert. Die Idee ist ja nicht neu, aber Polens Außenminister hat heute gleich gesagt, das wird nicht stattfinden. Müssen Sie Herrn Selenskyj sagen, dass es diese Armee nicht geben wird?

Baerbock: Es ist ja auch ein Ziel des russischen Präsidenten, vielleicht auch seit neuestem von anderen Akteuren, Differenzen zwischen den Europäern zu streuen. Wenn das passieren würde, dann sind wir wirklich verloren. Deswegen haben wir eine gemeinsame europäische Linie, die wir hier auf der Sicherheitskonferenz deutlich gemacht haben. Die hat zum Beispiel beinhaltet, dass man die NATO-Mitgliedschaft definitiv in solchen Zeiten nicht vom Tisch nehmen darf.

Eine europäische Armee ist etwas anderes, im Zweifel für eine Zukunft irgendwann. Wir reden ja auch über die EU-Mitgliedschaft der Ukraine. Auch das ist wichtig, um sie in Zukunft zu schützen. Aber Moment ist wichtig, dass wir überhaupt erstmal zu Friedensverhandlungen kommen, die ihren Namen überhaupt wert sind.

Das Interview führte Matthias Deiß, stellvertretender Chefredakteur ARD-Hauptstadtstudio. Es wurde für die schriftliche Fassung gekürzt und leicht angepasst. In voller Länge finden Sie es als Video auf dieser Seite.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste in der Sendung "Bericht aus Berlin" am 16. Februar 2025 um 18:00 Uhr.