Christian Lindner und Olaf Scholz
analyse

Nach Berichten über FDP-Pläne Kampf um die Deutungshoheit über das Ampel-Aus

Stand: 18.11.2024 21:31 Uhr

Das Ampel-Aus liegt fast zwei Wochen zurück. Doch die Frage, wie es genau zum Bruch kam, sorgt zunehmend für Diskussionen. Vor allem FDP-Chef Lindner muss sich Fragen nach seiner Glaubwürdigkeit stellen.

Eine Analyse von Philipp Eckstein und Hans-Joachim Vieweger, ARD-Hauptstadtstudio

Von Betrug ist die Rede, einem Schmierentheater, einer Inszenierung: Die FDP und besonders ihr Vorsitzender Christian Lindner sind durch zwei Medienberichte unter Druck geraten. Die Partei habe bei internen Treffen einen Plan entworfen und gezielt auf das Ampel-Aus hingearbeitet, so lautet der Vorwurf, der Lindner und die FDP im anlaufenden Wahlkampf vor ein Problem stellen könnte.

Allerdings: Inwieweit sich die FDP auf das Ampel-Aus nicht nur als eines von mehreren Szenarien vorbereitete - so die FDP-Darstellung - oder ob sie die Ampel-Partner bewusst provozieren wollte - was Recherchen von Süddeutscher Zeitung und Zeit nahelegen, lässt sich nicht eindeutig feststellen.

Der Kampf um die Darstellung

Aussage steht gegen Aussage und in Berlin tobt ein Kampf um die Deutungshoheit. Wer hat Schuld am Ampel-Aus? Wer ist mehr Opfer, wer mehr Täter? In vielen vertraulichen Gesprächen versuchen Politiker aller drei Ampel-Parteien Journalistinnen und Journalisten von ihrer Sichtweise zu überzeugen. Das alles findet vor dem Hintergrund eines anlaufenden Wahlkampfs statt, bei dem alle Beteiligten ein Interesse daran haben, selbst besonders gut und aufrichtig dazustehen.

Dabei sind einige Fakten unstrittig: Christian Lindner hat mit seinem Wirtschaftspapier Ende Oktober als Finanzminister Forderungen erhoben, die für SPD und Grüne wie eine Provokation wirken mussten. Er rief unter anderem dazu auf, die deutschen Klimaziele zu verschieben und beim Bürgergeld zu kürzen. Forderungen, die deutlich über die noch im Juli gemeinsam verabschiedete Wachstumsinitiative hinausgingen. Das Lindner-Papier wurde als Scheidungsbrief verstanden, ähnlich wie das sogenannte Lambsdorff-Papier aus dem Jahr 1982, das den Anlass für das Aus der damaligen sozial-liberalen Regierung bot.

Scholz stellte Lindner vor unerfüllbare Forderung

Unstrittig ist ebenfalls, dass Bundeskanzler Olaf Scholz bei der letzten Sitzung des Koalitionsausschusses eine für Lindner politisch unerfüllbare Forderung erhob - nämlich die nach dem Aussetzen der Schuldenbremse.

Dabei hätte es eine Alternative zum anschließenden Rauswurf von Lindner gegeben: ein geordnetes Ende der Ampel mit Verabschiedung des Bundeshaushalts für 2025 und schnellen Neuwahlen. Doch auf diese Variante, die Lindner vorgeschlagen hatte, ließ sich Scholz nicht ein.

Unterschiedliche Deutungen zu den Gründen

Warum? Das ist nicht klar. Und hier setzen die unterschiedlichen Deutungen an. Lindner habe schon seit Langem destruktiv gewirkt, er habe daher schon längst kein Vertrauen mehr in den FDP-Chef gehabt - so die öffentliche Begründung von Scholz. Laut Spiegel hat der Kanzler bereits im Sommer über die Vertrauensfrage nachgedacht und sich dazu auch mit der Spitze der Grünen beraten. In der SPD-Fraktion machte in dieser Zeit die Überlegung einer Minderheitsregierung ohne die FDP die Runde.

Lindner wiederum wirkt nach dem Rauswurf angefasst, mit der massiven Kritik des Kanzlers hat er offenbar nicht gerechnet. Möglicherweise hat er geglaubt, sich mit dem Vorschlag von einem geordneten Ampel-Aus zum Herrn des Verfahrens zu machen, was ihm Scholz freilich nicht gönnt.

Nun redet Lindner von Anstand in der Politik und wirft Scholz öffentlich eine "Entlassungsinszenierung" vor. Er verweist darauf, dass Scholz seine 14-minütige Abrechnung mit ihm bereits Tage zuvor vorbereitet habe. Die Äußerung von Lindners Nachfolger Jörg Kukies, dass er bereits einen Tag vor dem Ampel-Aus von Scholz auf einen möglichen Wechsel ins Finanzministerium angesprochen worden sei, scheint diese Darstellung zu stützen.

Material aus internen FDP-Sitzungen kommt ans Licht

Doch Lindners Darstellung erscheint offenbar auch einigen in seiner Partei zu einseitig, sonst würde es nicht dazu kommen, dass nun Informationen aus internen Sitzungen durchgestochen werden. Tenor: Der Ampel-Bruch sei von Lindner akribisch vorbereitet worden, Gegenstimmen wie die von Verkehrsminister Volker Wissing seien nicht ernsthaft gehört worden. Von "Lindners falscher Erzählung" spricht ein Insider laut Süddeutscher Zeitung.

Was aber bedeutet das nun für Lindner als Person und für die Wahlchancen der FDP? Kein führender FDP-Politiker stellt im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio die Führung von Christian Lindner infrage, auch nicht hinter vorgehaltener Hand. Vielmehr wird betont, dass die Stimmung in der Partei gut sei und man motiviert in den Wahlkampf gehe, auch mit vielen neuen Mitgliedern.

Kann die FDP auch Fehleranalyse?

Diese Geschlossenheit kann ein Vorteil sein. Dennoch stellt sich - ähnlich wie nach den vielen Niederlagen bei den Landtagswahlen der vergangenen Jahre - die Frage, inwieweit die FDP in der Lage ist, auch Kurswechsel zu vollziehen und nötigenfalls auch mit neuem Personal ein Angebot den Wählerinnen und Wählern zu machen.

Zuletzt vermittelten die Liberalen häufig den Eindruck, ihre interne Fehleranalyse bestehe allein darin, mit dem Finger auf SPD und Grüne zu zeigen. Etwas wenig für eine Partei, die sich Eigenverantwortlichkeit auf die Fahnen schreibt.

Für Lindner und die FDP wird es jetzt darauf ankommen, in der Öffentlichkeit möglichst schnell wieder über Inhalte zu sprechen, anstatt sich mit Fragen nach ihrer Aufrichtigkeit und Glaubwürdigkeit auseinandersetzen zu müssen.

Helfen kann den Liberalen dabei, dass die Ampel-Koalition äußerst unbeliebt war und die, die sich jetzt besonders laut und empört über die FDP äußern, die Partei wohl ohnehin nicht wählen würden. Zumal sich CDU und CSU auffällig mit Kritik zurückhalten und damit der Eindruck entstehen kann, SPD, Grüne und FDP streiten sich nach dem Ampel-Aus einfach weiter.