Bundeswehr als Arbeitgeber Warum die Truppe ein Personalproblem hat
Karrierecenter, Kampagnen oder der heutige "Tag der Bundeswehr": Die Truppe präsentiert sich gern als attraktiver Arbeitgeber. Doch zu wenig junge Menschen kann sie davon überzeugen. Woran liegt das?
Die Bundeswehr will eine "Trendwende Personal" einleiten. Das gleichnamige Programm sieht eine Offensive bei den Neueinstellungen vor. Bereits 2016 wurde es unter der ehemaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) beschlossen. Schon damals zeigte sich, dass die Personaldecke nicht für das gestiegene Aufgabenspektrum der Bundeswehr in aller Welt reichte - und das noch vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Bis 2031 soll die Armee auf 203.000 Beschäftigte wachsen.
Doch von einer Trendwende beim Personal ist die Bundeswehr weit entfernt. Stattdessen stagniert der Personalbestand seit Jahren bei rund 183.000 Soldatinnen und Soldaten. Der demografische Wandel trifft auch die Truppe: Rund 20.000 Neueinstellungen braucht es jährlich, um die Zahl der Abgänge auszugleichen. Dabei sind die Wachstumspläne der "Trendwende" noch nicht einmal berücksichtigt. Der Nachwuchsmangel entpuppt sich als größter Nebenschauplatz für Verteidigungsminister Boris Pistorius.
"Noch größere Herausforderung als Material"
Wie realistisch das selbst gesteckte - und mehrfach verschobene - Ziel von 203.000 Soldatinnen und Soldaten ist, wusste zuletzt auch Pistorius nicht zu beantworten. "Ich wage keine Prognose, ob wir die Zahl erreichen können", sagte er Anfang des Monats bei einem Besuch im Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr in Köln.
Mehr Fregatten und neue Kampfjets sind in aller Munde. Die 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr fließen mehrheitlich in die Modernisierung der Ausrüstung. Doch es fehlen genug Männer und Frauen, die die Fregatten und Kampfjets bedienen können. "Personal ist aktuell eine fast noch größere Herausforderung als Material", sagte die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), gegenüber tagesschau.de.
Idealismus als Hauptmotiv
Die Zeichen stehen nicht gut für die Personalpläne der Bundeswehr. In Zeiten des Fachkräftemangels ist die Konkurrenz für das Militär groß. Die Privatwirtschaft winkt mit flexiblen Arbeitszeiten, Kinderbetreuung und höherer Bezahlung. Die Bundeswehr hat vielerorts defekte Ausrüstung und marode Kasernen zu bieten. Auch das Interesse junger Menschen für den Dienst an der Waffe sinkt.
"Bei denen, die sich tatsächlich bewerben, stehen eher idealistische Aspekte im Vordergrund", berichtet Martin Elbe, der als Militärsoziologe am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam forscht. Zahlen der von ihm durchgeführten "Bewerberstudie 2022" zeigten dies.
Auch der Kanzler sitzt gerne mal im Eurofighter.
Karrierecenter und Kampagnen
Dabei sind die Verantwortlichen bemüht, den schlechten Ruf zu verbessern. Seit Jahren gibt die Bundeswehr hohe Summen für Werbung aus, ließ sich Webserien wie "Die Rekruten" mehr als sechs Millionen Euro kosten. Hinzu kommen Karrierecenter in der ganzen Republik, Sommercamps schon für Jugendliche und eben den heutigen "Tag der Bundeswehr".
Eine neue Kampagne namens "Was zählt" nennt explizit die "Ereignisse in der Ukraine" als Grund, bei der Bundeswehr anzufangen. Die großformatigen Anzeigen und schnell geschnittenen Videos verschaffen der Armee zweifelsohne Aufmerksamkeit - schlagen sich bislang aber nicht in steigenden Bewerberzahlen nieder.
Ganz im Gegenteil: 2022 sank die Zahl sogar. Im Jahr der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufenen "Zeitenwende" gingen knapp 44.000 Bewerbungen für eine militärische Laufbahn ein - elf Prozent weniger als im Vorjahr. Auch die Abbrecherquote bei den Rekruten liege mit 21 Prozent viel zu hoch, sagte die Wehrbeauftragte Högl. Unterdessen waren zum Ende des Jahres fast 18.692 Posten oberhalb des Mannschaftsgrads bei der Bundeswehr nicht besetzt. Das ist fast jede sechste militärische Stelle.
Mundpropaganda ist wichtig
Ein Teil des Personalproblems ist aber hausgemacht. Denn es sind nicht nur die Mängel bei der Ausrüstung, die den Soldatinnen und Soldaten zu schaffen machen. Im Bericht der Wehrbeauftragten wird deutlich, dass den Soldatinnen und Soldaten viel zugemutet wird. Von Überstunden, die sich auf mehrere Wochen summieren, ist dort die Rede. Beispiele wie diese sind es, die dazu beitragen, dass viele Soldatinnen und Soldaten frühzeitig der Armee den Rücken kehren.
Die negativen Erfahrungen können auch der Mundpropaganda schaden. Und auf die kommt es an: Empfehlungen von Freunden, Familie und Bekannten sind - neben den Angeboten im Internet - ein entscheidender Beweggrund für Bewerberinnen und Bewerber, sich für den Dienst an der Waffe zu verpflichten. Das geht aus den Umfragen des Militärsoziologen Elbe hervor. Die Bewerberstudie zeigt außerdem, dass rund 70 Prozent der Bewerbungen mit einer Absage vom Bund enden. Elbe schlägt daher vor, mehr Einstellungszusagen zu geben. Eine Herabsetzung des Qualifikationsniveaus sieht er darin nicht.
Debatte über Dienstpflicht
Die Wehrbeauftragte sieht Handlungsbedarf, um die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeberin zu steigern. Als wichtige Bausteine nannte Högl unter anderem die Vereinbarkeit von Familie und Dienst, aber auch moderne Kasernen - nicht zuletzt mit funktionierendem WLAN.
CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter nimmt die Probleme zum Anlass, um grundlegende Strukturreformen der Bundeswehr zu fordern. Der Oberst a.D. bringt auch die Einführung einer Dienstpflicht gegenüber tagesschau.de ins Gespräch. Ein Modell wie in Norwegen oder Schweden sei überlegenswert, dort würde die Dienstpflicht mit Freiwilligkeit verbunden und verschiedene Anreize geboten. Zur Zeitenwende gehöre auch, die Nachwuchsgewinnung bei der Bundeswehr anzupacken.