Folgen des Merkel-Rückziehers "Es klaffen weiter inhaltliche Lücken"
Merkels Rücknahme der Osterruhe könnte Bund und Ländern Vertrauen zurückbringen, sagt Politologe Faas. Doch die Regierungspanne sei deswegen nicht behoben - der entscheidende Schritt fehle.
tagesschau.de: Angela Merkels überraschendes Fehlereingeständnis - war das eine Art Insolvenzerklärung der Regierung oder ein Befreiungsschlag?
Thorsten Faas: Das war ein Schritt aus der ehrlichen Sorge heraus, nicht in tiefere Abgründe abzudriften, sondern zu sagen: Wir bemühen uns weiter, bitte vertrauen Sie mir weiter.
tagesschau.de: Hat die Kanzlerin mit ihrem ungewöhnlichen Schritt Vertrauen zurückgewinnen können?
Faas: Es war zumindest ein Versuch, Vertrauen in Personen und Prozesse zu sichern - ein starkes Zeichen zu setzen, was in dieser Dimension fast einmalig ist. Ich kann mir schon vorstellen, dass ihr das gelungen ist - der Respekt ist ihr aus vielen Richtungen zuteil geworden, auch seitens der politischen Gegner. Und er sollte natürlich zeigen: Wir reagieren, hören auf die Bevölkerung und auch die Wissenschaft, wenn wir Fehler machen oder überziehen.
Aber ihrem ersten prozeduralen Schritt muss ein inhaltlicher Schritt folgen: Wenn sie eingesteht, dass der Entscheidungsprozess und vor allem das Ergebnis nicht optimal waren, dann müssen diese jetzt korrigiert werden. Letztlich interessiert uns nicht, ob die Bund-Länder-Runde als Organ gut oder schlecht funktioniert, sondern ob wir gut durch die Pandemie kommen. Dieser Beweis steht noch aus. Da sind die Aussichten düster, weil es bis Ostern keine anberaumten Treffen gibt. Das ist die Lücke, die jetzt gefüllt werden muss. Denn die aktuellen Infektionszahlen sind sehr besorgniserregend.
tagesschau.de: Ungewöhnlich war, dass sie allein alle Schuld auf sich geladen hat, obwohl die Länderchefs ja mit im Boot waren. Warum macht sie das?
Faas: Erst einmal war das sehr bemerkenswert und entspricht ja auch nicht der Logik der Bund-Länder-Runde, in der sie - wenn überhaupt - nur Erste unter Gleichen ist. Es war wohl letztlich ein Versuch, Vertrauen in Prozesse und Institutionen zu sichern nach dem Motto: Wir machen manchmal auch Fehler, aber dann korrigieren wir sie auch.
Aber sie hat damit natürlich auch die anderen, die mit am Tisch saßen, ein klein wenig bloßgestellt. Aber unabhängig davon: Die klaffende Lücke auf der inhaltlichen Ebene - die bleibt. Das ist das wirklich drängende inhaltliche Problem, was für die Pandemiebekämpfung, aber auch für das Ansehen von Politikerinnen und Politikern, für das politische System insgesamt von zentraler Bedeutung ist - und was einem aktuell durchaus Sorge bereiten kann. Denn von der jüngsten Bund-Länder-Runde und ihren Beschlüssen bleibt kaum etwas übrig. Komplexe Prozesse, die zu guten Ergebnissen führen, kann man verkaufen und vermitteln, aber Komplexität, die zu nichts führt, das ist wirklich gefährlich.
tagesschau.de: Wo sehen Sie die anderen bloßgestellt?
Faas: Auch verschiedene Länderchefs haben ja vor ihren Parlamenten nach der Erklärung Merkels eingestehen müssen, dass das alles nicht optimal war. Die standen massiv unter Zugzwang, weil doch jedem klar war, dass das eben nicht allein Merkels Entscheidung war, die sie per Richtlinienkompetenz einfach durchdrücken konnte. Sondern vielmehr ein letzter Zug Merkels, um aus einer verfahrenen Situation rauszukommen.
Per Richtlinienkompetenz Dinge durchsetzen, das kann sie auf der Bundesebene. Aber wir reden hier von hochkomplexen Bund-Länder-Beziehungen. Und wenn sie da so exponiert und alleine die Schuld auf sich nimmt, dann lässt es die anderen doch plötzlich sehr klein erscheinen. Das entspricht nicht der Rolle der anderen und führt dazu, dass alle anderen sagen: Das haben wir schon gemeinsam zu verantworten - sei es aus Loyalität, sein es aus minimal gekränkter Eitelkeit heraus.
"Union mit dem Schritt wieder geschlossener"
tagesschau.de: Sehen Sie schon eine Regierungskrise, also Zersetzungserscheinungen einer späten Merkel-Regierung?
Faas: In diesen Tagen macht sich schon deutlich bemerkbar, dass es ein Wahljahr ist. Alle machen sich Gedanken, wie sie sich profilieren. Das ist erstmal nachvollziehbar und keineswegs verwerflich. Kritisch wird es dann, wenn man den Eindruck gewinnt, dass es nicht mehr um die Sache geht, sondern nur noch um kurzfristige taktische Manöver, in denen dann auch Fakten und Institutionen keine Rolle mehr spielen. Der Ruf nach der Vertrauensfrage gestern etwa, der war schon speziell.
tagesschau.de: Die SPD klatschte nicht einmal mehr in einem Moment der Regierungsbefragung, in dem es um Vertrauen in Merkels Politik ging.
Faas: Zumindest die Union scheint Merkel mit diesem Schritt nochmals zu größerer Geschlossenheit geführt zu haben, denn auch da gab es ja durchaus Fliehkräfte in den letzten Tagen. Innerhalb der Koalition scheint mir es derzeit schon so zu sein, dass parteipolitische Überlegungen solche Bund-Länder-Runden nun stärker prägen, als das vielleicht im vergangenen Jahr noch der Fall gewesen ist.
Die SPD-regierten und die Unions-regierten Länder haben sich enger untereinander abgestimmt. Aber auch das ist nicht per se schlimm. Es gibt nicht die eine, für alle Zeiten anwendbare Antwort auf die Pandemie. Klar ist nur, nichts zu machen, das ist auch keine Lösung. Wenn aus den Runden nichts heraus kommt, geht die dritte Welle weiter, und das ist maximal unbefriedigend.
"SPD in schwieriger Doppelrolle"
tagesschau.de: Kann die SPD aus den Schwierigkeiten der Kanzlerin für sich Honig ziehen?
Faas: Die SPD ist mit einem Vizekanzler Olaf Scholz in einer schwierigen Doppelrolle. Einerseits versucht er als Kanzlerkandidat und die SPD sich insgesamt mit eigenen Vorschlägen zu positionieren und auch zu profilieren. Zugleich hat Scholz immer wieder betont, dass darunter das gute Regieren nicht leiden soll. Das ist ja auch ein Narrativ seines Wahlkampfes. Dazwischen liegt nur ein schmaler Grat.
Für Laschet und Söder heißt es jetzt "crunch time"
tagesschau.de: Bei der Union sind zwei potenzielle Kanzlerkandidaten in diesen Bund-Länder-Runden beteiligt und mitverantwortlich - wird ihnen das schlechte Corona-Management für ihre Kandidaturen zum Verhängnis?
Faas: Das ist eine Bürde, keine Frage. Das ist schwierig für die beiden - vor allem schwierig für Laschet, der den ersten Schritt Richtung Entscheidung der Kanzlerkandidatur wird machen müssen. Das ist schon "crunch time", würde man im Sport sagen. Sie müssen zeigen, ob sie ihren Mann stehen können.
tagesschau.de: Merkel hat es ihnen also nun nicht gerade leichter gemacht?
Faas: Ein Wahlkampf der Union, der aus Ämtern heraus geführt wird, fußt natürlich schon sehr stark auf der Erzählung, dass man eben gut regiert habe, dass man die Kompetenz habe, dass man "wegen morgen" vertrauen soll, "für ein Land in dem wir gut und gerne leben". Das ist die Basis dieser CDU-Slogans: Ihr kennt uns, wir können das, ihr könnt uns vertrauen. Wenn das durch massive Regierungsdefizite konterkariert wird, ist das für die ganze Unionsspitze schwierig: Die K-Frage ist offen, wirklich große inhaltliche Akzente gibt es kaum. Und wenn jetzt noch die Ebene der Kompetenz des guten Regierens ins Wanken gerät, dann bleibt nicht mehr viel übrig für einen Wahlkampf 2021.
Das Interview führte Corinna Emundts, tagesschau.de