Delegierte halten bei der Antragsberatung bei der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen die Stimmkarten hoch.

Bundesparteitag in Wiesbaden Grüne wollen Reform statt Ende der Schuldenbremse

Stand: 17.11.2024 01:26 Uhr

Die Grünen fordern auf ihrem Bundesparteitag in Wiesbaden unter anderem eine Reform der Schuldenbremse - statt ihrer Abschaffung. Die neu gewählte Co-Chefin Brantner betonte in den tagesthemen die Anpassungsfähigkeit ihrer Partei.

Die Grünen wollen die Schuldenbremse im Grundgesetz - bei aller Kritik daran - nicht komplett abschaffen. Ein entsprechender Antrag der Parteibasis, der von der Grünen Jugend unterstützt wurde, fand nach kontroverser Debatte auf dem Bundesparteitag in Wiesbaden keine Mehrheit.

Der neugewählte Co-Parteichef Felix Banaszak griff erstmals in die Debatte ein und stellte sich mit seinem neuen politischen Gewicht gegen den Antrag. "Wir sind kurz davor, diesen Kampf für die Zukunft unserer Gesellschaft zu gewinnen", sagte Banaszak mit Blick auf die Forderung der Grünen, die Schuldenbremse zu reformieren. "Lasst es uns nicht an der falschen Stelle verspielen."

Statt einer Abschaffung fordern die Grünen wie bisher eine Reform mit dem Ziel, die Aufnahme von staatlichen Krediten in dem Umfang zu ermöglichen, wie vom Staat Investitionen getätigt werden.

Für Verbotsverfahren gegen die AfD

Mit großer Mehrheit stellten sich die Delegierten hinter die Initiative von Bundestagsabgeordneten für ein Verbotsverfahren gegen die AfD. Das Grundgesetz biete die Mittel, die Grundrechte, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen, heißt es in dem verabschiedeten Antrag. Es sei die Verantwortung aller demokratischen Parteien, diese Mittel im Kampf gegen Verfassungsfeinde zu nutzen. Man begrüße deshalb die im Bundestag geplante parteiübergreifende Initiative als ersten Schritt zu einem AfD-Verbot, heißt es in dem Papier weiter.

Abschaffung von Arbeitsverboten für Migranten

Intensiver verhandelt und diskutiert wurde beim Thema Arbeitsverbote für Ausländer. Mit sehr großer Mehrheit beschlossen die Grünen, dass diese vollständig abgeschafft werden sollen. "Außerdem soll im Aufenthaltsrecht verankert werden, dass all jene, die hier arbeiten, eine Ausbildung machen oder studieren und sich nichts zu Schulden kommen lassen haben, hier bleiben dürfen", heißt es in dem Antrag. Wer kein Aufenthaltsrecht habe und die angebotenen Chancen für einen Spurwechsel in den Arbeitsmarkt oder andere Möglichkeiten nicht nutze, müsse Deutschland dagegen verlassen. In solchen Fällen sei eine gute "Rückkehrberatung" sinnvoll.

Eine freiwillige Ausreise sei besser als eine Abschiebung, denn wer ohne eine Perspektive oder eine Idee für eine eigene Zukunft anderswo abgeschoben werde, sei oft schnell wieder da. Die Grünen hielten weiter fest: "Doch besonders bei schweren Straftätern oder religiösen Extremisten muss der Rechtsstaat hart durchgreifen."

Weitere Beschlüsse

Außerdem bekräftigen die Delegierten ihre Forderung nach einem Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen. Und es soll mehr Entscheidungsspielräume für Kommunen geben, um innerorts flächendeckend Tempo 30 einzuführen.

Zudem traten die Deligierten für eine Legalisierung von Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche ein. Es gehe um eine Frage von Selbstbestimmung und Gesundheitsversorgung, sagte Ex-Parteichefin Ricarda Lang, die den Antrag einbrachte.

Die Delegierten stimmten auch für stärkere Anstrengungen gegen Desinformation und für die Einführung eines Klimagelds. Dafür hatten sie schon im vergangenen Bundestagswahlkampf geworben, es kam während der Regierungszeit der Ampelkoalition aber nicht dazu. Das Klimageld soll die steigende Belastung durch die CO2-Bepreisung ausgleichen, die dafür sorgt, dass Tanken und Heizen mit fossilen Brennstoffen immer teurer wird.

"Haben ganz Deutschland im Blick", Franziska Brantner, Vorsitzende Bündnis 90/Die Grünen, zum bevorstehenden Wahlkampf

tagesthemen, 16.11.2024 23:15 Uhr

Brantner: "Sind bereit, uns den Aufgaben auch anzupassen"

Die frische gewählte Co-Vorsitzende Franziska Brantner räumte im Interview mit den tagesthemen angesichts der vergangenen Niederlagen bei Landtagswahlen ein, dass die Grünen Vertrauen bei den Bürgern verloren hätten und dieses nun wiedergewinnen müssten.

In Bezug auf Themen wie Asyl- und Klimapolitik sowie Waffenlieferungen an die Ukraine, bei denen die Grünen in der Vergangenheit Zugeständnisse gemacht haben, sagte Brantner: "Wir haben klare Werte. Wir stehen für Freiheit, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, sind aber immer bereit, sie den Aufgaben unserer Zeit auch anzupassen."

Das könne dann eben auch bedeuten, so Brantner, die Freiheit der Ukraine zu verteidigen und dafür Waffen zu liefern. "Aber in dem klaren Verständnis, dass es um unsere Freiheit geht, um den Frieden in Europa und dass wir dafür bereit sind, uns den Aufgaben, die uns gestellt werden, auch anzupassen."

Banaszak: Auf Unsicherheiten und Ängste stärker eingehen

Was den kommenden Bundestagswahlkampf angeht, zeigte sich der neue Co-Chef Banaszak zuversichtlich: Man stelle sich jetzt klar auf für die nächsten Wochen und Monate im Wahlkampf, sagte Banaszak im Interview mit dem WDR. Auf Unsicherheiten und Ängste in der Gesellschaft müssten die Grünen stärker eingehen. 

Zuvor hatte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir seine Partei dazu aufgerufen, im Wahlkampf insbesondere auf die Inhalte zu setzen, die viele Menschen in Deutschland bewegen. "Lasst uns bitte erst über die Themen reden, die gerade die Gesellschaft am dringendsten betreffen", sagte Özdemir auf dem Parteitag. "Dann werden sie uns zuhören bei allen anderen Themen. Die Reihenfolge ist wichtig", betonte er.

Die Grünen müssten "Angebote an die Mitte der Gesellschaft formulieren". Mit dem Blick auf die Weltlage sagte er: "Was Europa jetzt braucht, das ist ein starkes, ein handlungsfähiges Deutschland." Der designierte Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck stehe für Pragmatismus und "Werteorientierung".

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 16. November 2024 um 20:00 Uhr.