Jugendliche in Deutschland Was die Krisen mit jungen Menschen machen
Corona, Klimawandel, Krieg - die Krisen hinterlassen ihre Spuren bei jungen Menschen. Viele klagen laut einer Studie über eine hohe psychische Belastung und ein Gefühl von Unsicherheit. Auch Schulden sind ein Thema.
Als die erste Corona-Welle über Deutschland hereinbrach, ging Michelle Pennington in die 11. Klasse. Schon davor hatte sie mit psychischen Belastungen zu kämpfen. Doch mit Onlineunterricht und Kontaktverboten wurde alles noch schlimmer, erzählt die heute 19-Jährige: "Das war ein extremer Einbruch. Allein mit der Schule ist ein großes Stück von meinem Leben und meiner Tagesstruktur verloren gegangen."
Michelle fiel in ein tiefes Loch. Sie habe keine Lust mehr gehabt aufzustehen, war unmotiviert und habe sich abgeschottet. Den Tag habe sie im Bett verbracht, war viel auf Social Media unterwegs, um irgendwie die Zeit totzuschlagen. "Diese Zeit ist mir sehr im Kopf geblieben und hat mich geprägt. Ich bin viel vorsichtiger geworden", sagt sie.
Psychische Abwehrkräfte sind aufgebraucht
So wie Michelle geht es vielen Jugendlichen in Deutschland. Die Corona-Pandemie hinterlässt in der Psyche der Jugend dramatische Langzeitspuren, wie die aktuelle Studie "Jugend in Deutschland" zeigt. Dort gibt ein Viertel der Befragten an, unzufrieden mit seiner psychischen Gesundheit zu sein. "Es ist nicht zu übersehen: Bei vielen jungen Menschen sind die psychischen Abwehrkräfte verbraucht und die Risikofaktoren mehren sich. Wir werten das als ein dringendes Warnsignal", sagen die Studienautoren Simon Schnetzer und Klaus Hurrelmann.
Auch der Kinder- und Jugendpsychologe Julian Schmitz von der Universität Leipzig sieht das Ergebnis mit Sorge: "Nur weil die Pandemie abklingt und Maßnahmen zurückgefahren werden, bedeutet das nicht, dass die psychische Belastung bei jungen Menschen abnimmt. Die bleibt weiterhin hoch."
Die Studie macht deutlich, wie sehr junge Menschen zwischen 14 und 29 Jahren unter der Last der Krisen - Corona, Klimawandel, Ukraine-Krieg - leiden. Denn auch Faktoren wie Lebensqualität, wirtschaftliche Lage, gesellschaftlicher Zusammenhalt und politische Verhältnisse bewerten sie aktuell viel schlechter. "Diese Krisen tragen dazu bei, dass Jugendliche sich fühlen, als würden sie aus dem Tunnel gar nicht mehr herauskommen. Die Krisen überlagern sich und hören nicht auf", sagt Schnetzer.
"Massives Gefühl von Unsicherheit"
Mehr als zwei Drittel der Jugendlichen sorgen sich wegen der Inflation. Sorgen bereiten ihnen auch der Krieg in Europa, der Klimawandel, die Wirtschafts- und Energiekrise sowie Altersarmut. Beim Thema Inflation sind es vor allem hohe Preise für Lebensmittel sowie bei Strom und Gas, die die Jugendlichen finanziell belasten. Jede und jeder Fünfte gab außerdem an, Schulden zu haben. "Hier hat sich ein massives Gefühl von Unsicherheit festgesetzt, das dazu führt, dass Jugendliche stärker im Jetzt leben als für die Zukunft zu streben", sagt Jugendforscher Schnetzer.
Die Corona-Pandemie habe den Nährboden für die psychische Belastung der jungen Menschen gelegt, meint Kinder- und Jugendpsychologe Schmitz. "Die Lebensumwelt der Jugendlichen hat sich in der Pandemie so gedreht, viele wurden sehr zurückgeworfen und sind nun psychisch belastet." Das zeige sich in den Ergebnissen der Studie: "Wenn man psychisch belastet ist, dann ist man auch empfänglicher für weitere Sorgen und bei neuen Themen eher negativ. Man wird vulnerabler."
Der durch die Pandemie stark angestiegene Medienkonsum der Kinder und Jugendlichen spiele dabei eine große Rolle. In sozialen Medien würden harte Themen wie Klimakrise und Ukraine-Krieg oft ungefiltert und manchmal auch "katastrophisiert" geteilt. Mit entsprechend negativen Folgen: "Einerseits sind mehr Krisen da, andererseits kriegen die Jugendlichen davon viel mehr mit", sagt Schmitz.
Mehr Anerkennung und Beteiligung
"Die jungen Menschen haben das Gefühl, die letzten zweieinhalb, drei Jahre auf wahnsinnig viel verzichtet zu haben und schauen in die Zukunft und wissen gar nicht so genau, für welche Zukunft es sich richtig lohnt zu leben und zu streben", berichtet Studienautor Schnetzer. "Wir werden als Gesellschaft eine Riesenaufgabe haben, diesen jungen Menschen die Zuversicht zu geben, dass es sich lohnt, in diesem System dabeizubleiben."
Damit das gelinge, müssten Kinder und Jugendliche stärker anerkannt und aktiv beteiligt werden: "In der Pandemie waren sie Opfer der Krise und wurden nicht beteiligt, um Lösungen zu entwickeln. Dadurch hat sich ein Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit festgesetzt."
Das sieht auch Psychologe Schmitz so: "Wir brauchen Raum für diese Sorgen und Ängste der jungen Menschen. Und es muss gesellschaftlich mitgedacht werden, dass junge Menschen aktuell so sehr belastet und vielleicht auch nicht so leistungsfähig sind. Das Thema psychische Gesundheit muss in der Schule oder im Studium einen größeren Platz haben."
Für Michelle Pennington sind die negativen Gedanken und Gefühle aus der Corona-Zeit immer noch sehr präsent. Sie habe große Angst, dass ihr Alltag wieder so werden könnte wie damals. Die Erfahrung bleibe im Kopf, auch bei vielen ihrer Freunde. Die 19-Jährige wünscht sich deshalb, dass die Sorgen ihrer Generation anerkannt werden: "Mehr Akzeptanz und Toleranz gegenüber psychischen Defiziten ist wichtig, auch in der Arbeitswelt. Man sollte versuchen, uns ein bisschen mehr einzubinden, damit unsere Stimmen mehr gehört und unsere Probleme ernst genommen werden."