Berlins CDU-Chef Wegner Einer, der Spagat kann
Kai Wegner könnte Berlins nächster Regierender Bürgermeister werden. Vom Roten Rathaus ist der Chef der Hauptstadt-CDU nur noch einen Schritt entfernt - auch wenn ihm dafür eine wichtige Erfahrung fehlt.
Kai Wegner jubelt nicht. Er triumphiert nicht am Wahlabend, als seine CDU in den Hochrechnungen durch die Decke geht, und auch nicht in den Tagen danach. Noch am Wahlabend spricht er von "Augenhöhe", die er in den Gesprächen mit SPD und Grünen zeigen wolle - obwohl beide Parteien weit hinter ihm durchs Ziel gingen. Dass er die Samthandschuhe überstreift, hängt maßgeblich mit dem Auftritt seiner CDU im Wahlkampf zusammen.
Noch im Dezember hätte sich Wegner einen solchen Erfolg nicht träumen lassen. Die CDU lag in Umfragen zwar gut im Rennen, blieb aber auf Abstand zu den führenden Grünen. Dann aber kam der Jahreswechsel. Die Krawalle der Silvesternacht änderten schlagartig die Tagesordnung. Im Wahlkampf dominierte auf einmal die innere Sicherheit.
Die CDU polarisiert im Wahlkampf
Aus der CDU kommen scharfe Töne von ganz oben. Bundesparteichef Friedrich Merz heizt die Debatte an, spricht von "Jugendlichen aus dem arabischen Raum", die sich wie "kleine Paschas" verhielten und nicht bereit seien, sich "in Deutschland an die Regeln zu halten". Und die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus will vom Senat die Vornamen der deutschen Tatverdächtigen wissen.
Wegners Idee ist es nicht, diese Frage zu stellen. Als Fraktionschef stoppt er sie aber auch trotz Rassismusvorwürfen nicht. Stattdessen versucht er es mit Zuwendung. Es seien "Berliner Jungs" in der dritten Generation mit einem deutschen Pass, die sich nicht dazugehörig fühlten. Von "Berliner Jungs" hatte auch seine grüne Konkurrentin Bettina Jarasch zuvor mehrfach gesprochen.
SPD und Grüne auf Distanz
Geschadet hat Wegner die provokative Frage am Wahltag nicht - im Gegenteil. Sie dürfte zumindest dazu beigetragen haben, die AfD unter die Zehn-Prozent-Marke zu drücken. Das Risiko, das Wegner mit diesem Kurs einging, war allerdings hoch. SPD und Grüne gingen spürbar auf Distanz. Es hätte ein Wahlsieg ohne Machtgewinn werden können.
In den Sondierungsgesprächen musste Wegner zunächst die Scherben des Wahlkampfs auffegen. Das gelang ihm erstaunlich gut, besonders bei den Grünen. Am Ende waren die Gespräche mit ihnen so herzlich, dass bei Wegner unverhohlen Wehmut mitschwang, als er Koalitionsverhandlungen mit der SPD ankündigte - wegen der größeren inhaltlichen Schnittmengen. Die wertschätzenden Worte an die Grünen fielen dabei aber nicht zu knapp aus.
Wegner galt lange als konservativer Hardliner
Dass Wegner selbst sich in der Sicherheitsdebatte im Wahlkampf eher zurückhaltend gab, ist beim Blick auf seine Vita keinesfalls selbstverständlich. Noch vor zwanzig Jahren hätte wohl auch er verbal zugelangt. Bis in die 2000er Jahre hinein galt er als konservativer Hardliner.
Noch nicht mal volljährig trat er 1989 in die CDU ein, war Landeschef von Schüler-Union und Junge Union, war Bezirksverordneter in seiner Heimat Berlin-Spandau, saß und sitzt wieder im Abgeordnetenhaus und dazwischen 16 Jahre im Bundestag. Besonders diese Phase hat ihn geprägt und über den Tellerrand blicken lassen.
Politikjunkie mit Netzwerker-Begabung
Immer mehr wurde seitdem der Spagat zu seiner bevorzugten Turnübung: altgediente Parteifreunde nicht verschrecken und gleichzeitig neue gewinnen. Das ist sein Credo seit seinem Antritt als Landesvorsitzender 2019. In der Verkehrspolitik etwa entdeckt die CDU unter seiner Führung das Fahrrad neu.
"Wenn ich heute mit jungen Menschen spreche, haben noch einige einen Führerschein, aber es ist nicht mehr der große Wunsch, ein eigenes Auto zu haben", stellt Wegner 2020 vor Parteifreunden fest und schickt sich an, die CDU vom Image der Autofahrer-Partei zu befreien. Zwei Jahre später entscheidet er sich im Wahlkampf dann aber doch dafür, eher Auto-Lobbyist zu sein. "Berlin, lass dir das Auto nicht verbieten" war auf den Wahlplakaten zu lesen.
Die zuvor über Jahrzehnte immer wieder intrigengeschüttelte Partei hält unter seiner Führung zusammen. Zwar gibt es vereinzelt Unmut, aber spätestens seit dem Wahlsieg stellt niemand mehr Wegners Führungsanspruch infrage. Das hängt auch damit zusammen, dass Wegner Politikjunkie mit ausgewiesenen Netzwerker-Qualitäten ist. "Sieben Tage die Woche, unermüdlich" für die Partei da zu sein, ist für ihn nicht Pflichtübung, sondern Leidenschaft.
Noch nie in einer Behörde gearbeitet
Dieser kompromisslose Politikeinsatz, gepaart mit seinem Gespür für politische Entwicklungen, dürfte für ihn nun wichtiger werden denn je. Denn etwas Wichtiges fehlt ihm für den Job als Regierungschef: Verwaltungserfahrung. Der gelernte Versicherungskaufmann hat noch nie in einer Behörde gearbeitet, geschweige denn eine geleitet. Als Regierender Bürgermeister würde er in ein Rathaus einziehen, das 22 Jahre lang fest in SPD-Hand war. An Fallstricken und Fettnäpfchen dürfte es nicht mangeln.
Obendrein ist die Zeit, die Wegner bleibt, um sich zu profilieren, denkbar kurz: Gerade mal dreieinhalb Jahre sind es noch bis zur nächsten Wahl. Dreieinhalb Jahre, in denen er zeigen muss, dass er nicht nur seine Partei zusammenhalten sondern auch eine Stadt in einer Koalition regieren kann.