Kampfpanzer "Leopard 2" "Vorschlaghammer, aber kein Gamechanger"
Der "Leopard 2" war noch nie in einem "richtigen" Krieg, sagt Militärhistoriker Raths. Was der deutsche Kampfpanzer in der Ukraine leisten könnte und warum die Ausbildung "keine Raketenwissenschaft" ist, erklärt er im Interview.
tagesschau.de: Welche Rolle spielen Kampfpanzer wie der "Leopard 2" in der modernen Kriegsführung?
Ralf Raths: Der Begriff "Kampfpanzer" stammt aus dem Kalten Krieg. Ein Kampfpanzer fährt auf Ketten, ist relativ stark gepanzert und relativ schwer bewaffnet. Er soll andere Kampfpanzer ausschalten und ist damit der Vorschlaghammer einer Armee.
tagesschau.de: Was kann der "Leopard 2" aus deutscher Produktion, den mehrere europäischen Staaten der Ukraine liefern wollen?
Raths: Der "Leopard 2" hat in der ganzen Welt einen ausgezeichneten Ruf. Zu Recht. Er verbindet Feuerkraft, Mobilität und Panzer-Schutz in sehr ausgewogenem Maße. Britische Kampfpanzer sind besonders stark gepanzert, andere besonders schnell. Der "Leopard" hingegen ist ein sehr ausgeglichenes Fahrzeug, mit dem man alles Mögliche leisten kann. Seine Systeme sind zuverlässig und er ist schnell zu warten und instand zu setzen. Das ist ein wichtiger Faktor für Armeen.
Was Kampfpanzer der aktuellen Generation wie den "Leopard 2", den US-amerikanischen "Abrams" und den französischen "Leclerc" von vorherigen Panzern unterscheidet: Sie können aus voller Fahrt schießen und treffen - und das über mehrere Kilometer, auch im Rückwärtsfahren.
Das können die sowjetischen bzw. russischen Modelle, wie etwa der "T-90", mit dieser Geschwindigkeit nicht. Sie sind weniger flexibel auf dem Gefechtsfeld.
tagesschau.de: Kann ein "Leopard 2" einen "T-90" mit einem Schuss außer Kraft setzen?
Raths: Ja. Andersrum geht das auch, wenn es schlecht läuft. Das muss man sich klar machen. Der Panzer-Kampf ist sehr dynamisch und tödlich. Die Panzerung schützt vor Granatsplittern und dem Kanonenfeuer eines Schützenpanzers. Aber wenn zwei Kampfpanzer aufeinandertreffen, dann gilt: Wer zuerst schießt und trifft, siegt im Feuergefecht. Das sehen wir auch in der Ukraine. Wir werden auch Bilder sehen, wo westliche Panzer so detonieren wie russische Panzer bisweilen.
tagesschau.de: Wie schneidet der "Leopard 2" gegenüber dem US-amerikanischen "Abrams" und dem britischen "Challenger"-Kampfpanzer ab?
Raths: "Leopard" hat einen Vielstoffmotor für Diesel, der "Abrams" eine Gasturbine als Antrieb. Ansonsten sind sie von der Konzeption fast gleich. Der "Challenger" hingegen ist stärker gepanzert und mehr eine fahrende Festung.
tagesschau.de: Wie sind solche Panzer im Feld unterwegs?
Raths: Im Idealfall fahren Kampfpanzer mindestens in Kompanie- oder Bataillon-Stärke, also zehn bis 40 Panzer. Dabei sind sie nicht allein unterwegs, sondern mit jeder Menge verschiedener Fahrzeuge, die sich gegenseitig schützen. Schützenpanzer etwa, von denen Fußsoldaten absetzen können. Die schützen den Panzer im Nahkampf. Dahinter fährt ein Flugabwehr-Panzer gegen Angriffe aus der Luft. Panzer-Artillerie gibt weitere Feuerkraft. Das ist die hohe Kunst der Gefechtsführung. Aber meistens hat der Gegner etwas dagegen.
tagesschau.de: Vom "Leopard 2" gibt es verschiedene Varianten. Die Verbündeten der Ukraine besitzen unterschiedliche Modelle. Welche Herausforderungen kämen im Falle einer Lieferung auf die Ukraine zu?
Raths: Die Kampfweise des "Leopard" ändert sich nicht durch die Varianten. Im Regelfall sollte der "2A4" geliefert werden. Der "2A6" und der "2A7" bauen darauf auf. Wenn die ukrainischen Streitkräfte den "Leopard 2A4" kennenlernen, können sie zumindest auch die anderen europäischen Varianten fahren.
Für die Logistiker und Monteure, die die Panzer reparieren, instandhalten und warten müssen, wird es schwieriger. Sie brauchen andere Ersatzteile. Gefechtsentscheidend ist das allerdings nicht.
tagesschau.de: Wie wäre die Versorgungslage bei Munition, Ersatzteilen und Treibstoff?
Raths: Diesel wird die Ukraine immer haben. Und die 120-Millimeter-Kanone des "Leopard 2" ist ein NATO-Standard. Mehrere Länder können dafür Munition liefern - ein weiterer Vorteil gegenüber dem "Challenger". Dessen Kanonenrohr können nur die Briten versorgen.
Schwieriger wird es bei den Ersatzteilen. Bis zum Kriegsbeginn hatten alle Staaten ihre Panzerbaukapazitäten zurückgefahren. Wenn man eine Panzerflotte mit 100 Panzern hat, ist ein gutes Drittel in der Wartung und Reparatur. Panzer sind hochkomplexe Waffensysteme, die ständig irgendwas haben. Ohne Wartung gehen sie kaputt.
"Keine Raketenwissenschaft"
tagesschau.de: Wie lange bräuchten die Ukrainer für den Umstieg auf den "Leopard 2"?
Raths: Die Ausbildung ist nicht so schwierig, wie allgemein behauptet. Für die Ukrainer ist es ein grundlegender Wechsel, weil die Besatzung nun aus vier statt drei Leuten bestehen würde. Ein Ladeschütze kommt hinzu. Die Abläufe muss man lernen. Aber das ist keine Raketenwissenschaft.
Die Ukrainer sind momentan die Praktiker Europas. Sie agieren kreativ und dynamisch. Man sollte sich da in der Diskussion nicht zu sehr hinter den Dienstvorschriften des Kalten Krieges verstecken.
tagesschau.de: Welche Kampferfahrungen hat der "Leopard 2"?
Raths: Die großen deutschen Waffensysteme - die Panzerhaubitze, der "Marder", der "Gepard" - genießen in der ganzen Welt einen hervorragenden Ruf. Aber sie wurden nie im intensiven Gefecht gegen einen gleichwertigen Gegner eingesetzt.
Der "Leopard 2" wurde für den Kalten Krieg gebaut, nicht für den Ukraine-Krieg. Die Kanadier und Türken haben ihn lediglich in Afghanistan bzw. Syrien eingesetzt. Anders als der "Abrams" war der "Leopard 2" nie in einem richtigen Krieg.
Da liegt ein psychologisches Problem, auf das wir noch nicht vorbereitet sind. Diese so hochgelobten Fahrzeuge können in der Ukraine vernichtet werden. Das wird passieren. Wir sind noch nicht richtig dafür sensibilisiert worden, dass dieser "Leopard" kein unverwundbarer Gamechanger ist. Welchen Einfluss er haben wird, hängt von der Größe der Lieferungen ab.
300 Panzer gefordert
tagesschau.de: Wie viele "Leopard 2" gibt es?
Raths: Weltweit sind nach meiner Kenntnis 2670 "Leopard 2" im Dienst verschiedener Armeen. Davon sind circa 1000 "A4". Die Bundeswehr nutzt die "A6" und die "A7". Davon hat sie rund 320 Stück. Ich sehe noch nicht, dass die tatsächlich in die Ukraine exportiert werden. Eher ersetzen sie "A4" aus anderen Staaten.
tagesschau.de: Wie viele Kampfpanzer benötigt die Ukraine, um die Initiative zurückzuerlangen?
Raths: Eine große Gegenoffensive mit den berühmten Flankenangriffen und Kesselschlachten benötigt viele Fahrzeuge. Der ukrainische Oberkommandierende, Walerij Saluschnyj, sagt, die Ukraine brauche mindestens 300 zusätzliche Kampf- und Schützenpanzer. Das ist die untere Grenze.
tagesschau.de: Vor dem ukrainischen Frühling wartet die Schlammperiode. Kann der 60 Tonnen schwere "Leopard 2" da bestehen?
Raths: Die Schlammperiode kann auch moderne Kampfpanzer mit 1500 PS verschlucken. Das trifft alle Panzer, auch die russischen. Panzer müssen und dürfen nur in Panzer-günstigem Gelände auf die richtige Art und Weise eingesetzt werden. Wenn ein Panzer im Moor versinkt, sind schon viele Fehler gemacht worden.
Das Gespräch führte Thomas Vorreyer, tagesschau.de