Reaktion auf Krieg in der Ukraine Berlin im Schockzustand
Auch in Berlin jagte am Donnerstag eine Krisensitzung die nächste. Kanzler, die Außen- und Verteidigungsministerin, alle melden sich zu Wort - und doch bleiben mehr Fragen als Antworten. Die Politik ist im Schockzustand.
An einem mangelt es an diesem Tag im Regierungsviertel in Berlin nicht: Solidaritätsbekundungen mit der Ukraine. Das Brandenburger Tor leuchtet in blau-gelb, den Farben der ukrainischen Flagge. Auf dem Pariser Platz fordern Demonstranten den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf, den Krieg zu stoppen.
Kurz vor 10 Uhr tritt als erste Vertreterin der Bundesregierung Außenministerin Annalena Baerbock vor die Kameras. Sie wirkt betroffen und entschlossen. Man sei in einer anderen Welt aufgewacht. Es werde nun ein Paket mit massivsten Sanktionen gegen Russland geben. Der Krieg werde auch Folgen für Deutschland haben, so die Grünen-Politikerin.
Knapp zwei Stunden später meldet sich Bundeskanzler Olaf Scholz zu Wort. Auch er droht Sanktionen an. Putin habe mit seinem Krieg einen schweren Fehler begangen. Scholz lässt keinen Zweifel daran, wen er für die Eskalation verantwortlich hält. Es ist ein kurzes Statement, Nachfragen sind nicht zugelassen. Der Kanzler muss weiter. Wahrscheinlich hätte er aber auf viele Fragen auch noch keine Antworten.
Die Zeit der Diplomatie ist vorbei
Eine Krisensitzung jagt in Berlin die nächste, eine Pressekonferenz die andere: Die deutsche Politik ist in einer Art Schockzustand. Die Zeit der Diplomatie, worauf man so lange gesetzt hatte, ist vorbei. Ein Zurück an den langen Verhandlungstisch im Kreml? In diesen Stunden undenkbar.
Doch was nun? Die Sanktionen gegen Russland werden auf europäischer Ebene abgestimmt. Sie dürften auch Deutschland hart treffen. Das schärfste Schwert ist wohl der Ausschluss Russlands vom internationalen Zahlungssystem Swift. Alle russischen Finanzinstitutionen wären dann vom internationalen Zahlungsverkehr abgeschnitten, Handel mit Russland nicht mehr möglich. Nichts sei mehr ausgeschlossen, sagt Bundesfinanzminister Christian Lindner.
Wie abhängig ist Deutschlands Energieversorgung von Russland? Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck rechnet am Nachmittag vor: 55 Prozent der Gasversorgung, 50 Prozent der Kohle und 35 Prozent des Öls stammten aus Russland. Beim Öl gebe es eine strategische Reserve, bei Gas und Kohle müssen man nun aufrüsten. Wie genau, da bleibt Habeck unkonkret.
Klar ist für Grünen-Politiker Habeck, dass Deutschland eigene Flüssiggasterminals braucht, um dort Fracking-Gas zum Beispiel aus den USA anzuliefern. Gas, das unter hohem Druck mit Chemikalien aus dem Boden gepresst wird. Ein umstrittenes und umweltschädigendes Verfahren. Erstmal aber sei Deutschlands Energieversorgung sicher, sagt Habeck. Dies gelte auch für den Fall eines kompletten Stopps der russischen Gaslieferungen.
Es werden Flüchtlinge kommen
Die EU und Deutschland sind nach eigenen Aussagen auf alles vorbereitet. Doch die Dimensionen der Folgen des Krieges kann noch niemand abschätzen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser schaltet sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern zusammen. Es werden Flüchtlinge aus der Ukraine kommen. Wie viele, ist unklar. Die meisten von ihnen werden wohl zunächst in den Nachbarländern wie Polen unterkommen. Dort zeigt man sich offen, die Ukrainer aufzunehmen. Die Frage ist auch hier, wie vielen Menschen Polen Zuflucht gewährt und ob die Regierung in Warschau um Verteilung auf europäische Nachbarländer bittet. Wie fast alle Pressekonferenzen der Bundesregierung am heutigen Tag hinterlässt auch die der Bundesinnenministerin mehr Fragen als Antworten.
Debatte um Waffenlieferungen
Ganz eindeutig positioniert sich dagegen der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk: Das sei ein russischer Vernichtungskrieg und eine offene Kriegserklärung an die gesamte freie Welt. In den vergangenen Wochen hatte er immer wieder Waffenlieferungen aus Deutschland gefordert. So auch heute.
Es bleibt beim Nein im zuständigen Ministerium, es hört sich aber nicht mehr ganz so überzeugt an. Zur Frage, wie es um die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr stehe, versichert Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht: Deutschland sei ein verlässlicher Partner. Man sei entsprechend aufgestellt.
Offene Zweifel und Selbstkritik kommen hingegen von der ehemaligen Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. "Ich bin so wütend auf uns, weil wir historisch versagt haben. Wir haben nach Georgien, Krim und Donbass nichts vorbereitet, was Putin wirklich abgeschreckt hätte", schreibt sie auf Twitter. Nun könnten die EU und Deutschland nur noch reagieren.