Friedrich Merz
analyse

Asyl-Debatte nach Solingen Sind die Merz-Forderungen rechtlich umsetzbar?

Stand: 29.08.2024 13:12 Uhr

CDU-Chef Merz will eine härtere Migrationspolitik und hat nach dem Solingen-Anschlag konkrete Forderungen gestellt. Doch diese Vorschläge sind teils rechtlich kaum umsetzbar.

Von Philip Raillon, ARD-Rechtsredaktion

CDU-Chef Friedrich Merz hat in einer E-Mail an Interessierte und CDU-nahe Bürgerinnen und Bürger am Sonntag verschiedene Forderungen zum Asylrecht gestellt. Diese adressierte er konkret an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Merz nahm dazu auch teils nochmal in Interviews Stellung, manche Forderungen hat er so auch nicht wiederholt.

Wie diese Aspekte juristisch zu bewerten sind, ist teils umstritten und hochkomplex. Denn gerade das Asylrecht ist stark von europarechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben geprägt. Außerdem ist die Rechtsprechung sehr einzelfallabhängig und daher kaum zu verallgemeinern.

Acht Forderungen von Merz auf dem Prüfstand:

1. Dauerhafte Kontrollen an den deutschen Grenzen mit konsequenter Zurückweisung

Es klingt so einfach: Grenzen kontrollieren und keiner kommt mehr rein. Doch dem steht das EU-Recht entgegen. Die Grundidee: Die Grenzen innerhalb des Schengenraums sind offen, dafür sollen die Außengrenzen abgeschottet sein. Zum Schengenraum zählen die meisten EU-Länder sowie die Schweiz, Liechtenstein und Norwegen.

Deutschland kann seine Grenzen als Mitglied des Schengenraums daher nicht einfach so und zeitlich unbefristet kontrollieren. Aktuell finden Kontrollen zwar an den Grenzen zu Polen, Tschechien, Österreich und der Schweiz wegen Asylbewerbern statt. Und auch an der Grenze zu Frankreich gab es während der Olympischen Spiele Kontrollen.

Diese sind aber immer nur zeitlich begrenzt möglich und müssen bei der EU-Kommission in Brüssel extra begründet werden. Nötig ist dafür eine besondere Notlage.

2. Inkraftsetzung der Dublin-Verordnung

Die Dublin-III-Verordnung soll eigentlich für ein geordnetes Asylverfahren sorgen. Die EU-Mitgliedsstaaten wollen sicherstellen, dass nicht mehrere Asylverfahren stattfinden. Grundsätzlich ist das Land für das Verfahren zuständig, das der Geflüchtete zuerst in Europa betreten hat. Weil Deutschland keine EU-Außengrenze hat, kann es quasi nie das zuständige Land sein. Und: Durch Dublin III soll das Ganze möglichst schnell geschehen, das unterstreicht auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.

Die Dublin-III-Verordnung sorgt aber dafür, dass Geflüchtete nicht an der deutschen Grenze abgewiesen werden können, sondern sie von Deutschland wieder in das Land an der Außengrenze gebracht werden müssen. Sie sollen also etwa von Deutschland aus direkt nach Italien oder Bulgarien geflogen werden. Die deutschen Behörden stellen dafür ein Übernahmegesuch an das jeweilige Mitgliedsland. Wenn es zustimmt, wird die Person dorthin überstellt - noch bevor über dessen Asyl überhaupt entschieden wurde.

Es gibt allerdings mehrere Probleme: Oft weigern die jeweiligen EU-Länder sich, die Geflüchteten zu übernehmen. In manchen Ländern, wie Griechenland, herrschen Bedingungen, die eine Überstellung unmöglich machen - sie verstoßen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Und selbst, wenn alles wie im Fall des mutmaßlichen Attentäters von Solingen bereit ist, können die Überstellungen praktisch oft nicht stattfinden. Zum Beispiel, weil die Behörden die Geflüchteten kurzfristig nicht finden können oder diese sich gerichtlich wehren.

3. Dublin-III-Verordnung aussetzen

Aus diesen Gründen schlägt CDU-Chef Merz vor, die Dublin-III-Verordnung auszusetzen. Stattdessen soll schon direkt an der Grenze kontrolliert und die Menschen dort zurückgeschickt werden. Allerdings in das Land, aus dem sie einreisen, nicht das eigentlich zuständige erste EU-Land.

Tatsächlich wäre so eine Aussetzung nach EU-Recht möglich, sagt der Experte für Asylrecht, Professor Daniel Thym von der Universität Konstanz. Voraussetzung ist aber, dass sonst - also mit Beibehaltung des Dublin-III-Verfahrens - die öffentliche Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit gefährdet wären. Ob diese Voraussetzung aktuell erfüllt ist, müsste wohl der Europäische Gerichtshof entscheiden. Bislang hat er diese Voraussetzungen in seinen Entscheidungen, insbesondere zu Ungarn, aber immer verneint. Die Hürden sind also hoch. 

Bis es so ein Urteil gäbe, würde viel Zeit ins Land gehen. Bis dahin könnte Deutschland sich theoretisch auf die Ausnahmeregel berufen. Es könnte also an den Grenzen zurückweisen und Fakten schaffen. Damit würde Deutschland aber auch riskieren, rechtswidrig zu agieren. Das müsste politisch getragen und verantwortet werden.

4. Pauschaler Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien oder Afghanistan

Eine solche Pauschallösung hat Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) als Reaktion auf den Vorschlag abgelehnt. Er habe da rechtliche Bedenken. Tatsächlich steht dem aktuell das Recht auf Asyl entgegen. Das ist im Grundgesetz in Artikel 16a verankert. Schon deshalb muss immer eine Einzelfallprüfung stattfinden.

Selbst wenn der Bundestag das Grundgesetz diesbezüglich mit der nötigen Zweidrittelmehrheit ändern würde, bliebe Deutschland aber an EU- und Völkerrecht gebunden. Die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention verpflichten da zum Beispiel weiter zu Schutz und erfordern von einem Rechtsstaat wie Deutschland Einzelfallentscheidungen.

Das gilt ebenso für einen niedrigeren Schutzstatus, der momentan eine Aufenthaltserlaubnis darstellt. Der Subsidiäre Schutz etwa könnte daher ebenfalls nicht aus dem deutschen Recht gestrichen werden, ohne dass es eine vergleichbare Regelung gibt.

Noch weiterzugehen und europa- sowie völkerrechtliche Bindungen aufzulösen, wird wohl auch Friedrich Merz nicht beabsichtigen. Theoretisch wäre so eine Auflösung zwar möglich. Es wäre aber ein System- und Paradigmenwechsel ohne Vergleich, der wohl internationale, politische sowie diplomatische Verwerfungen bedeuten würde.

5. Aufenthaltstitel aberkennen, sobald jemand in sein Heimatland reist

Schon aktuell gibt es die Regel, dass Geflüchtete nicht ohne Weiteres in ihr Heimatland zurückdürfen, wenn sie weiter die Aufenthaltserlaubnis behalten möchten. Die Flüchtlingseigenschaft wird etwa widerrufen, wenn jemand freiwillig ins Heimatland zurückkehrt "und sich dort niedergelassen" hat.

Bei Subsidiär Schutzbedürftigen gelten ähnliche Maßstäbe. Wann diese erfüllt sind, hängt immer vom Einzelfall ab. Bislang entscheiden die Gerichte dabei unterschiedlich. Es wäre allerdings denkbar, dass der Bundestag diese Regeln ändert. Die CDU fordert, dass das EU-Recht entsprechend angepasst wird. Es würde aber vermutlich Jahre dauern, bis solche Verhandlungen abgeschlossen sind.

Kolja Schwartz, ARD Rechtsredaktion, zu Forderungen in der Asyl-Debatte

tagesthemen, 28.08.2024 22:15 Uhr

6. Ausreisepflichtige Syrer und Afghanen in die Heimatländer abschieben

Eine Abschiebung kommt nur in Betracht, wenn jemand ausreisen muss, das aber nicht freiwillig macht. Ausreisen muss, wer keine Aufenthaltserlaubnis hat - etwa in Form eines subsidiären Schutzes.

Doch es gibt zwei Hürden - eine rechtliche und eine praktische. Rechtlich darf nämlich nicht abgeschoben werden, wenn dem Flüchtling in seinem Heimatland ein ernsthafter Schaden wie Tod oder Folter drohen. Auch dann nicht, wenn der Geflüchtete keinen Schutzstatus mehr hat. Es greift dann ein Abschiebungsverbot. Das heißt: Menschen von dort haben zwar keine Aufenthaltserlaubnis, dürfen aber nicht abgeschoben werden. Auch dann nicht, wenn es sich um Straftäter handelt. Wenn der Tod ernsthaft im Heimatland droht, sind Deutschland die Hände gebunden - letztlich auch aufgrund des Grundgesetzes.

Ob diese rechtliche Hürde vorliegt, ist letztlich immer eine Frage des Einzelfalls. Die Behörden und auch die Gerichte schauen sich das jeweils individuell an. Eine pauschale Abschieberegel, die diese Hürde außer Acht lässt, ist nicht möglich - denn das wäre in einem Rechtsstaat wie Deutschland nicht umsetzbar.

Neben den rechtlichen Hemmnissen gibt es ganz praktische Hürden: Länder wie Syrien und Afghanistan wollen oftmals ihre Bürger gar nicht zurücknehmen. Im Falle von Afghanistan möchte die Bundesregierung auch nicht mit den Taliban verhandeln. Deutschland hatte als eins der letzten Länder erst kurz vor der Machtübernahme durch die Taliban 2021 Abschiebungen eingestellt.

An Alternativlösungen werde daher momentan laut Medienberichten gearbeitet - etwa durch Abschiebungen über die Nachbarländer, die die Abgeschobenen dann nach Afghanistan bringen lassen. Doch auch dorthin darf Deutschland nicht einfach so abschieben. Es muss sichergestellt sein, dass die Menschen am Ende nur in afghanische Regionen gebracht werden, wo ihnen kein Tod und keine Folter drohen.

7. Ausreisepflichtige Straftäter zeitlich unbegrenzt in Abschiebungshaft nehmen

Diese Forderung lässt sich allein durch Gesetzesänderungen wohl nicht umsetzen. Ein Ausreisegewahrsam ist derzeit nur wenige Wochen möglich, wenn es um die Überstellung nach dem Dublin-Verfahren geht. Bei Abschiebungen ins Heimatland und drohender Flucht ist die Abschiebungshaft in der Regel bis zu sechs Monate möglich, muss aber von einem Richter angeordnet werden. Nötig ist daher jedes Mal eine Einzelfallprüfung. Und diese Regelungen können auch nicht ohne weiteres geändert werden.

Eine Haft stellt immer einen krassen Eingriff in die Grundrechte dar, die auch für abgelehnte Asylsuchende gelten. Die Haft muss daher zumindest verhältnismäßig sein. Das ist bei einer unbegrenzten Abschiebungshaft nur schwer vorstellbar und müsste zumindest mit einer tatsächlich schnelleren Durchführung der Abschiebungen verbunden sein. Anders gesagt: Wenn eine Abschiebung gar nicht oder nicht sehr zeitnah möglich ist, darf auch nicht endlos inhaftiert werden.

8. Pläne mit der CDU umsetzen, nötigenfalls ohne die Ampel-Parteien FDP und Grüne

Die CDU fordert SPD-Bundeskanzler Scholz außerdem dazu auf, die Abstimmung über solche Maßnahmen im Bundestag freizugeben oder sie direkt mit der CDU-/CSU-Fraktion im Bundestag umzusetzen. Dahinter steckt der Gedanke, dass die SPD dazu bereit wäre, die Koalitionspartner FDP und Grüne aber nicht.

Beide Vorschläge von Friedrich Merz wären rechtlich möglich, würde aber wohl zu einem Bruch der Ampelkoalition führen. Der politische Preis wäre daher für den Kanzler und die Bundesregierung extrem hoch, der Vorschlag daher wohl unrealistisch.