Angela Merkel

Nach Unionsvotum mit der AfD Merkel geht auf Distanz zu Merz

Stand: 30.01.2025 14:17 Uhr

Nach der Abstimmung mit der AfD hagelt es weiter Kritik an der Union. Ex-Kanzlerin Merkel nannte das Vorgehen von CDU-Chef Merz "falsch". Mehrere CDU-Länderchefs appellieren eindringlich an den demokratischen Zusammenhalt - und ihre eigene Partei.

Das gemeinsame Votum von Union und AfD zur Migrationspolitik sorgt nicht nur bei Abgeordneten von SPD und Grünen für massive Kritik. Am Vorgehen von CDU-Chef Friedrich Merz äußerte nun auch die frühere Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel Bedenken.

In einer Erklärung betonte sie, dass sie Merz' Position von November 2024 für richtig halte, dass man Mehrheiten nur mit Parteien der Mitte suchen solle. "Dieser Vorschlag und die mit ihm verbundene Haltung waren Ausdruck großer staatspolitischer Verantwortung, die ich vollumfänglich unterstütze", erklärte Merkel. Sie fügte jedoch hinzu: "Für falsch halte ich es, sich nicht mehr an diesen Vorschlag gebunden zu fühlen und dadurch am 29. Januar 2025 sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen."

Es sei erforderlich, "dass alle demokratischen Parteien gemeinsam über parteipolitische Grenzen hinweg, nicht als taktische Manöver, sondern in der Sache redlich, im Ton maßvoll und auf der Grundlage geltenden europäischen Rechts, alles tun, um so schreckliche Attentate wie zuletzt kurz vor Weihnachten in Magdeburg und vor wenigen Tagen in Aschaffenburg in Zukunft verhindern zu können", mahnte Merkel.

Appelle mit Blick auf Abstimmung am Freitag

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) bezeichnete die Geschehnisse am Bundestag als "bittere Stunde". "Wir haben jetzt echt eine historische Verantwortung, vor der wir stehen." Mit Blick auf Freitag, den Tag, an dem die Union ihren Entwurf für das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz im Bundestag zur Abstimmung stellen will, sagte er, alle Parteien, die es gut mit der Demokratie meinten, müssten zusammenrücken und eine gemeinsame Abstimmung hinbekommen.

Ähnlich äußerte sich auch sein Parteifreund, NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst. Die Unions-Bundestagsfraktion habe klargemacht, dass sie für Gespräche über das Asylrecht bereitstehe. "Zeigen wir gemeinsam Handlungsfähigkeit aus der demokratischen Mitte", sagte er.

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) forderte die CDU im Bund auf, den Entwurf für das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz zurückzuziehen. "Mein klarer Rat und meine dringende Empfehlung an die CDU ist es, die Stunden bis morgen zu nutzen, in sich zu gehen, sich genau anzuschauen, was sie für eine verheerende Wirkung erreicht haben durch die faktische Zusammenarbeit mit der AfD."

Mützenich: "Lebensader der Demokratie beschädigt"

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich warf der Union vor, der Demokratie schwer geschadet zu haben. "Hier ist nicht nur die Lebensader der Demokratie beschädigt worden", sagte er im Deutschlandfunk. "Ich befürchte, wenn das so weitergeht, ist sie sogar durchtrennt."

Mit seinem Zusammenwirken mit der in Teilen als rechtsextremistisch eingestuften AfD habe Merz "eine Tür aufgestoßen, die er jetzt offensichtlich nicht mehr zubekommt", sagte der SPD-Politiker weiter. Der CDU-Chef sei "offensichtlich bereit, mit den Demokratieverächtern zu gehen". Daher könne nicht mehr ausgeschlossen werden, dass nach der Wahl in Deutschland Ähnliches wie in Österreich passiere, wo die konservative ÖVP derzeit mit der extrem rechten FPÖ über eine Koalition verhandelt.

Mützenich rief Merz dazu auf, nun wenigstens die von ihm am Freitag geplante Verabschiedung eines Gesetzentwurfs zur Migration zu stoppen. Bei diesem wollen CDU und CSU ebenfalls auf eine Mehrheit mithilfe der AfD setzen.

Faeser warnt vor "gefährlichen nationalen Alleingängen"

"Unverantwortlich" und "geschichtsvergessen" nannte Bundesinnenministerin Nancy Faeser das Vorgehen von Merz mit Blick auf die vorherigen Versprechen des CDU-Chefs, nicht mit Rechtsextremen zusammenzuarbeiten. Die SPD-Politikerin warnte zudem vor "gefährlichen nationalen Alleingängen" in der Migrationspolitik. "Oberste Priorität hat für uns nach wie vor die schnellstmögliche Umsetzung des gemeinsamen Asyl- und Migrationspaktes" der EU, sagte Faeser am Rande eines Treffens mit ihren EU-Kollegen in Warschau.

In ihrem am Mittwoch angenommenen Antrag ruft die Union die Bundesregierung unter anderem dazu auf, umfassende Zurückweisungen an deutschen Grenzen zu veranlassen. Auch Menschen, die Asylanträge stellen wollen, sollen nicht mehr einreisen dürfen. Faeser sprach sich auch im Zusammenhang mit Abschiebungen für ein EU-weit einheitliches Vorgehen aus. "Ein effektives Rückkehrsystem auf europäischer Ebene ist zwingend", betonte die Ministerin.

Habeck: "Sargnagel für die deutsche Wirtschaft"

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck warf der Union vor, der deutschen Wirtschaft zu schaden. "Diese Entscheidung gestern wird auch ökonomisch eine schlimme Schleifspur durch Deutschland ziehen", sagte der Grünen-Politiker. "Menschen, die nicht Mayer, Müller oder Habeck heißen" würden jetzt überlegen, das Land zu verlassen.

Im Bundestag berichtete der Wirtschaftsminister, dass er nach der Abstimmung Nachrichten aus der Wirtschaft erhalten habe, die sich um die Abwanderung von Fachkräften sorgten. Bereits jetzt hätten Unternehmen in den ostdeutschen Bundesländern, wo die AfD "ja schon Einfluss auf die Politik" habe, große Schwierigkeiten, Beschäftigte aus anderen Ländern zu gewinnen. "Jenseits von demokratischen Fragen und Wortbrüchen" wäre eine weitere Zusammenarbeit der Union mit der AfD "der Sargnagel für die deutsche Wirtschaft".

Kritik vom Zentralrat der Juden

Empört zeigte sich auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. "Ich finde es enttäuschend, dass die demokratischen politischen Kräfte in unserem Land - auch in Zeiten des Wahlkampfs - nicht in der Lage waren, sich auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen und damit der AfD diese Bühne bereitet haben", sagte Schuster der Jüdischen Allgemeinen.

Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, warf Merz vor, aus Wahlkampftaktik den Grundsatz der Menschenwürde zu verletzen. "Friedrich Merz verlässt wissentlich in der Frage des Asylrechts den Boden des Grundgesetzes", sagte sie der Augsburger Allgemeinen.

Chrupalla: AfD steht bereit für schwarz-blaue Regierung

Die AfD sieht sich im Aufwind. Parteichef Tino Chrupalla bekräftigte die Bereitschaft der Partei für eine schwarz-blaue Regierung. Zugleich übte er aber auch Kritik an Merz. "Wir stehen für alle Parteien bereit, die es gut mit Deutschland meinen. Das ist immer unsere Position gewesen. So wie wir es bei Gesetzesanträgen machen", sagte er den Sendern RTL und ntv.

Eine gemeinsame Koalition sei jedoch davon abhängig, ob diese von Merz angeführt werde. "Unter einem Bundeskanzler Merz, der die AfD als Gesindel beschimpft, wird es schwierig sein, eine Zusammenarbeit durchzuführen." Merz sei ein Politiker von gestern, sagte Chrupalla.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 30. Januar 2025 um 12:10 Uhr.